Es war schon vorher nicht okay: dass ein Mann eine Frau weiterhin küsst, wenn sie sich abwendet; dass ein Mann Sex erzwingt, wenn die Frau nach dem Kuscheln Nein gesagt hat; oder dass einem jemand die Hand auf den Po legt, obwohl man die Avancen des anderen vorher abgeblockt hat. Seit dem 1. Juli 2024 können solche Übergriffe auf die sexuelle Integrität auch strafrechtlich verfolgt werden. Eine Ablehnung – ob wörtlich oder in Gesten – reicht dazu.
«Die Wahrnehmung, was ein Sexualdelikt ist, hat sich in den letzten Jahren stark verändert», sagte Mirjam Schlup, Amtsleiterin Justizvollzug des Kantons Zürich, an einer Medienkonferenz letzte Woche. «Das neue Gesetz ist ein wichtiger Schritt, um die Opfer besser schützen zu können.»
Sie sieht dabei durchaus auch die Situation der Täter, wenn sie sagt: «Diese scheitern nach der Verurteilung oft an ihren Vorsätzen. Ein guter Wille allein reicht nicht.» Und ja, das sei nicht viel anders als beim Vorsatz, nicht mehr so viel Süsses zu essen, bestätigt sie auf Nachfrage. «Es braucht mehr Reflexion», sagt sie, «die Täter müssen verstehen, warum sie so reagiert haben. Sie müssen neue Gewohnheiten einüben und für Risikosituationen gewappnet sein.» Damit ist zum Beispiel gemeint: Ein Mann ist im Ausgang in der Gruppe unterwegs, es entstehen ungute Dynamiken, der Alkoholpegel steigt, vielleicht auch der Frust oder die Lust.
An sechzehn Abenden während je zweieinhalb Stunden in der Gruppe oder in fünfzehn bis zwanzig Einzelstunden sollen Sexualstraftäter künftig an einem Rückfall in alte Muster gehindert werden. Und dann folgen im Abstand von einem halben Jahr drei Nachkontrollen «zur Lernerfolgsprüfung», wie Martin Schiesser, Abteilungsleiter Lernprogramme, sagt.
Es gehe während des Trainings um die Einstellung gegenüber Frauen, den Dominanzanspruch der Männer, ihr Suchtverhalten, ihr Impulsverhalten oder Persönlichkeitsstörungen. Allerdings: Wer eine psychiatrische Diagnose wie zum Beispiel Schizophrenie hat, wird das Programm nicht besuchen können. Für solche Personen sei es nicht geeignet, sagt Schiesser.
Der Justizvollzug des Kantons Zürich hat bereits Erfahrung mit solchen Lernprogrammen aus dem Bereich der häuslichen Gewalt. Dort zeigte eine Evaluation, dass Täter, die an einem solchen Programm teilgenommen haben, ein zu 80 Prozent geringeres Risiko haben, rückfällig zu werden. Nun erhofft man sich einen ebenso grossen Erfolg bei Sexualstraftaten. Bis zu 100 Personen sollen es jährlich künftig durchlaufen.
Anordnen kann die Justiz aber ein solches Lernprogramm nur, wenn das Urteil eine Probezeit beinhaltet. Oder aber, eine Behörde verpflichtet eine beschuldigte Person zum Besuch des Lernprogrammes. Wenn sie es absolviert, wird dafür das Verfahren eingestellt.
Damit soll auch Geld gespart werden: Pro Person kostet ein Lernprogramm 3200 bis 4100 Franken, das die Teilnehmer nicht selbst bezahlen müssen. Die Gesamtkosten eines Rückfalls werden auf ein Vielfaches geschätzt. Bei häuslicher Gewalt zum Beispiel sind sie sechsmal höher als ein Lernprogramm.
Martin Schiesser sagt: «Wir fordern die Täter in einem ersten Schritt auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden, die sie für das Delikt haben.» Das falle vielen schwer, weiss Joder Regli, Bereichsleiter Lernprogramme, von seiner Erfahrung mit Tätern häuslicher Gewalt. «Zuerst ist das geschlagene Opfer an allem schuld: Zum Beispiel, dass die Frau mit ihrem Mann geschimpft hat, als er zu spät und alkoholisiert nach Hause kam und das Nachtessen verpasste. Aus der Sicht des Mannes hat sie damit nicht gewürdigt, dass er lange arbeiten musste und sich deswegen danach noch ein Bier gegönnt hat.» Und doch sei im Raum während eines solchen Lernprogramms von Anfang an jeweils viel Scham zu spüren. Zwei Täter sexueller Übergriffe wurden dem neuen Lernprogramm bereits zugewiesen – es wird nicht weniger Scham dabei sein.
die Straftat wurde ja begannen und sollte auch mit einer anschliessenden Schulung vollzogen werden.