Eine mehr als 14 Jahre zurückliegende Polizeikontrolle hat am Donnerstag das Zürcher Obergericht beschäftigt. Vor Gericht stand ein 48-jähriger Zürcher Stadtpolizist. Er soll einen dunkelhäutigen Mann geschlagen und gewürgt haben.
Das Bezirksgericht Zürich sprach den Polizisten sowie zwei weitere am Einsatz beteiligte Polizisten im April 2018 vom Vorwurf der Gefährdung des Lebens und weiterer Vorwürfen frei. Auch die zuständige Staatsanwältin beantragte damals Freisprüche.
Der Fall beschäftigt nicht nur die Zürcher Justiz seit geraumer Zeit, sondern auch mehrere Nichtregierungsorganisationen. Sie verfolgen jeden Schritt in dem Verfahren. Die «Allianz gegen Racial Profiling» lud am Donnerstag zu einer Medienkonferenz, wo sie darlegte, warum es sich aus ihrer Sicht um einen typischen Fall einer rassistisch motivierten Polizeikontrolle handle.
Dutzende Sympathisantinnen und Sympathisanten von Wilson A. versammelten sich vor dem Zürcher Obergericht zu einer Kundgebung und begleiteten ihn auch in den Gerichtssaal. Ein ungläubiges Raunen ging durch den Saal, als der beschuldigte Polizist davon sprach, dass ihn das langwierige Gerichtsverfahren persönlich stark belaste. Der Richter drohte, im Wiederholungsfall den Saal räumen zu lassen.
Weil die Staatsanwältin, die mit den Freisprüchen ja einverstanden war, gar nicht mehr zur Berfungsverhandlung erschien, forderte einzig der Anwalt des Privatklägers weiterhin eine Verurteilung des Polizisten, der bei der Polizeikontrolle im Oktober 2009 als Gruppenführer amtierte. Die Freisprüche für die beiden anderen beteiligten Polizisten sind rechtskräftig.
Der mittlerweile 50-jährige Wilson A. war an einem Abend im Oktober 2009 nach einer Party zusammen mit einem ebenfalls dunkelhäutigen Freund auf dem Heimweg im Tram.
Als eine Polizistin und ein Polizist in das Tram stiegen, und ihre Ausweise verlangten, kippte die gute Laune der beiden Männer schnell. Sie vermuteten, dass sie nur wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert würden.
Die beiden Polizisten stiegen mit den beiden Männern an der nächsten Haltestelle aus, wo bereits ein dritter Polizist wartete. Es war der Gruppenführer, der am Donnerstag vor Obergericht stand.
Ab diesem Zeitpunkt gehen die Darstellungen der beiden Männer und der Polizisten weit auseinander. Die Polizisten hätten sich grundlos auf Wilson A. gestürzt, ihn mit Pfefferspay und Schlägen eingedeckt. Schliesslich sei er auch noch gewürgt worden, sagte der Anwalt von Privatkläger Wilson A.
Gemäss den Polizisten wiederum habe sich Wilson A. von Anfang an unkooperativ und aggressiv verhalten und sie angegriffen. Sie hätten sich deshalb wehren müssen, und ihn schliesslich mit vereinten Kräften zu Boden gebracht und festgenommen.
Grund der Kontrolle sei gewesen, dass einer der Männer Ähnlichkeiten mit einer damals zur Fahndung ausgeschriebenen Person hatte.
Das Ergebnis der Auseinandersetzung ist unstrittig: Wilson A. erlitt zahlreiche Verletzungen, die ärztlich dokumentiert wurden. Unter anderem hatte er einen gebrochenen Lendenwirbel und eine schwere Knieverletzung.
Der Anwalt von Wilson A. machte am Donnerstag geltend, dass die Kontrolle durch die Polizisten von Anfang nicht rechtens gewesen sei, es handele sich um einen Fall von so genanntem Racial Profiling. Die Version der Polizisten, wonach überprüft werden sollte, ob es sich um eine gesuchte Person handeln könnte, sei eine reine Schutzbehauptung.
Der vorsitzende Richter machte indes klar: «Racial Profling ist nicht Gegenstand dieses Strafverfahrens.» Der Grund dafür sei, dass die zuständige Staatsanwältin in der Anklage davon ausgegangen sei, dass die Personenkontrolle zurecht erfolgt sei. Von dieser Annahme dürfe das Gericht gar nicht mehr abweichen.
Auch der Anwalt des beschuldigten Polizisten sagte, es liege kein Fall von Racial Profiling vor. Die Polizisten hätten den Privatkläger verhaften müssen, nachdem dieser sich fürchterlich über die Kontrolle aufgeregt und die Beamten angegriffen habe. Von einem Gewaltexzess seitens der Polizisten könne keine Rede sein. Der Freispruch müsse deshalb bestätigt werden.
Das Gericht hat sich zur Beratung zurückgezogen. Um 18 Uhr soll das Urteil bekanntgegeben werden.