Die Zürcher Staatsanwaltschaft sieht sich mit einem «ungebremsten Fallwachstum» konfrontiert: Im vergangenen Jahr gingen bei ihr 32'270 Geschäfte neu ein. Einzelne Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben bis zu 100 offene Fälle.
Die Zahl der neuen Fälle nahm innert zwei Jahren um über 15 Prozent zu und liegt heute deutlich über dem Niveau der Vor-Pandemiejahre. Teilweise hätten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte rund 100 pendente Fälle. «Das ist zu viel», sagte Andreas Eckert, leitender Staatsanwalt, am Donnerstag vor den Medien.
Das vergleichsweise neue Phänomen der Intensivtäter aus dem Maghreb, die etwa durch Diebstähle aus Autos auffallen, schlägt sich gemäss Eckert bereits in den Fallzahlen nieder. In Zürich und im Limmattal werden den Staatsanwaltschaften auch wegen dieser Fälle 20 bis 30 Verdächtige zugeführt – pro Tag.
Stark beschäftigt die Staatsanwaltschaften auch der Telefonbetrug. Erwischt werden dabei meist nur die «kleinen Fische», etwa die Abholer. Im letzten Jahr konnten dank internationaler Zusammenarbeit aber auch mehrere Hintermänner in der Türkei festgenommen werden.
Weitaus am meisten beschäftigten Vermögensdelikte und Vergehen im Strassenverkehr die Staatsanwaltschaften – sie machten im letzten Jahr rund 42 Prozent der Fälle aus.
Einen besonders starken Anstieg gab es 2023 bei den Urkundenfälschungen. Um rund 67 Prozent nahmen diese Delikte zu. Das könne auf die Corona-Pandemie zurückgeführt werden, sagte Eckert. Genauer auf gefälschte Corona-Zertifikate.
So nannte er den Fall einer medizinischen Praxisassistentin aus dem Oberland oder einer Ärztin aus Zürich, die hunderte falsche Zertifikate ausgestellt haben sollen. Strafrechtlich verfolgt werden dabei nicht nur sie, sondern auch die «Kunden».
Im vergangenen Jahr hätten sich zwar die zusätzlichen Stellen ausgewirkt. So konnten knapp 31'000 Fälle abgeschlossen werden – 2,2 Prozent mehr als im Jahr davor. Doch weil auch die Menge der neuen Geschäfte um 6 Prozent zunahm, stieg die Zahl der offenen Fälle per Ende Jahr auf 12'586. Dies entspricht einem Plus von 11,3 Prozent.
Die Staatsanwaltschaften versuchen, sich gegenseitig auszuhelfen. So kümmerten sich die Stadtzürcher Staatsanwälte um Fälle, die sich am Flughafen ereigneten. Zuständig wäre dafür eigentlich Winterthur/Unterland.
Die zunehmende Arbeitslast ist kein spezifisches Zürcher Phänomen. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) warnte kürzlich, die Schweizer Justiz stehe vor einem Kollaps. Es gebe über 100'000 offene Fälle.
Die KKJPD vermutet die Ursache unter anderem in einer «Verkomplizierung des Strafverfahrens» seit der Einführung der neuen Strafprozessordnung vor zwölf Jahren. Diese habe die Bestimmungen immer komplexer ausgestaltet.
Einen besonderen Fokus legte die Zürcher Staatsanwaltschaft vor den Medien auf die Untersuchungshaft. «Im letzten Jahr mussten nur 0,7 Prozent der Tatverdächtigen in U-Haft», sagte die leitende Staatsanwältin Ines Meier. Diese einschneidende Massnahme werde sehr selten eingesetzt und nur, wenn Wiederholungsgefahr, Verdunkelungsgefahr oder Fluchtgefahr bestehe. Häufig reichten bereits Ersatzmassnahmen wie Rayon- oder Kontaktverbote.
Die Gerichte bewilligen 87 Prozent der Anträge auf U-Haft. Pro Jahr stellen die Staatsanwaltschaften und die Jugendanwaltschaften rund 1200-mal einen solchen Antrag. 40 Prozent der Inhaftierten zwischen 2018 und 2022 kamen innert eines Monats wieder auf freien Fuss. (rbu/sda)