Satte 37 Songs werden wir, das erlauchte Publikum, dieses Jahr am Eurovision Song Contest in Basel zu hören bekommen. 31 davon während der beiden Halbfinals am 13. und am 15. Mai, wobei deren 20 ins Finale am 17. Mai kommen, wo sie dann auch noch gegen die Beiträge der Big Five Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien und Spanien antreten müssen – und der Schweiz, Gastgeberland und Vorjahressiegerin.
37 Songs. Boah.
Okay. Alle krassen ESC-Superfans, die längst alle 37 YouTube-Videos gebingewatched haben (dochdoch, bingewatchen ist ein neudeutsches Verb) können hier getrost abschalten. Für den Rest von uns eher gelegentlichen Eurovision-Zuschauern gibt es hier einen Versuch, die Beiträge etwas einzuordnen:
Wie jedes Jahr lassen sich Songs nach Kriterien kategorisieren: nach Musikgenre, etwa. Oder nach Absicht. Und stets lassen sich jeweils Trends ausmachen. Heuer, 2025, also? Nun, sicher mal das hier:
Bereits letztes Jahr wurde ein Trend bemerkbar, der sich mehr oder minder als ... «Retro-Rave» bezeichnen liesse? Ach, ihr wisst schon: 90s-Eurotrance-NZ-NZ-Beats und dergleichen. Waren es 2024 noch eine kleine Handvoll Songs, welche diesen Stil verfolgten, sind es heuer JENSTE.
Uff.
Oh ja, 2025 ist das Jahr der Elektro-Basspauke. Irland, Dänemark, Australien und Finnland, etwa, machen da wacker mit. Manchmal auch in der 12/8-Rhythmus-Variante, wie etwa bei Armenien ... oder dieser Grausamkeit aus Island:
Viele kombinieren ihre Techno-Beats gerne mal mit etwas, das man als «crazy dramatischen Gesang» bezeichnen könnte, wie etwa Belgien (einer der Favoriten, by the way):
... Womit wir bei der nächsten Kategorie wären:
Hochfliegende, dramatische Gesangsperformances gehören zum ESC seit eh und je. Und letztes Jahr räumte Nemos beeindruckender, mit eklektischen Stilbrüchen versetzte Gesang ab. So wundert es nicht, dass das Kontingent «sphärischer Gesang» so präsent ist wie noch nie.
Setz dich wieder hin, Enya!
Die Ukraine, etwa, bedient sich ebenfalls weiblicher Stimmen in hohen Tonlagen ...
... nur kombiniert sie dies mit einem eher unerwarteten Progressive Rock, wie wir ihn seit den Siebzigerjahren kaum mehr gehört haben. Doch der absolute Überflieger in dieser Hinsicht ist «Wasted Love» vom österreichischen Kontertenor JJ, der sich mit seiner exzentrischen Falsettstimme auf den zweiten Favoritenplatz der Wettquoten gesungen hat.
Etwas unterrepräsentiert ist in diesem Jahr jener Evergreen des Eurovision-Multiverse: der Folklore-Beitrag. Ein wenig Ethno-Klänge, dazu noch Volkstrachten, Flöten, Hurdy-Gurdys, Bouzoukis, Zither und Co.
Nebst Albanien setzen noch Litauen und der griechische Nana-Mouskouri-Klon ein klein wenig auf den Ethno-Style ... wie auch – auf die humoristische Art – Favorit Schweden:
Womit wie bei dem folgenden Thema wären:
Dieser Ansatz hat eine lange Tradition bei Eurovision. Unvergessen bleibt etwa die ukrainische Drag Queen Verka Serduchka mit «Dancing Lasha Tumbai» 2007. Anno 2023 war der finnische Beitrag «Cha Cha Cha» der unangefochtene Publikumsliebling (Loreens «Tattoo» schaffte ihren Sieg nur aufgrund der Jury-Stimmen). Und letztes Jahr hauten Kroatien, Estland, Finnland und die Niederlande alle in diese Kerbe. Heuer wären das nebst dem vorhin erwähnten Schweden auch noch dieser nervige Este mit seiner Italo-Klischee-Auflistung ...
... und Australien mit dem hier ...
... was sich doch als ein ziemlicher Banger an den Gay-Partys entpuppen dürfte, nicht? Ach ja – natürlich:
Will man beim ESC punkten, muss man bei den drei grossen «G» ankommen: Girlies, Grosis, Gays. Und ja, die Schnittmenge dieser Publikumsgruppen ist meist ordentlich gross. Wohl hat aber der queere Anteil in den vergangenen Jahren noch stärker an Bedeutung und Einfluss gewonnen, was regelmässig zu Darbietungen geführt hat, die sich ganz gezielt auf The Gay Vote richten.
Malta ist heuer der offensichtlichste Beitrag – nicht nur aufgrund der Aesthetik und der Einbettung in der Drag-Kultur, sondern auch durch die Verwendung des Ausdrucks «serving cunt», welcher der nordamerikanischen Trans- und Queer-Kultur entstammt.
Doch auch die lustigen Engländerinnen (WOW, wie gut ist eigentlich ihr Harmoniegesang??!!) zelebrieren einen überkandidelten Hedonismus und Glam-Swag, der ganz klar ihre Wurzeln in der Schwulenszene hat.
Meist ist es Frankreich, das mit etwas aufwartet, das niemanden ausser Frankreich interessiert. Nicht, dass dies schlecht wäre – jener Zigaretten-zum-Frühstück-Vibe, den nur die Franzosen glaubwürdig hinbekommen –, nein. Bloss geht dies mehrheitlich am Geschmack von Resteuropa vorbei. Aber: Hey, heuer ist Frankreich einer der Favoriten!
Und, ja, natürlich ist Louanes «Maman» as French as f**k – insbesondere was den Premierenauftritt vor 80'000 Menschen im Stade de France betraf, mit Feuerwerk und Trommlern in Massen (if you want it BIG, call the French). Aber La Grande Nation scheint kein Sonderling zu sein wie in den letzten Jahren.
Nein, dieses Jahr ist es – tadaa! – Portugal, das sich scheinbar einen Dreck um Konventionen und Kommerzialität schert und diese seltsam intime Jazz-Fusion-Kuriosität präsentiert:
Zur Erinnerung: Anno 2017 gewann Portugal zum Erstaunen alles, als der introvertierte Salvador Sobral mit der zart-filigranen Jazz-Ballade «Amar Pelos Dois» alle Bombast-Feuerwerk-Auftritte der Konkurrenz in die Schranken wies.
Was einmal mehr beweist: Anything goes.