Der FC Zürich marschiert scheinbar unaufhaltsam in Richtung des 13. Schweizer Meistertitels der Klub-Geschichte. Gibt es überhaupt noch Argumente gegen den Titelgewinn des FCZ? Die gibt es – aber es spricht deutlich mehr für die Zürcher als gegen sie.
Mit dem 4:2-Sieg am Sonntag gegen den FC Basel hat sich der FC Zürich eines weiteren Verfolgers quasi entledigt. Der FCB hat jetzt 13 Punkte Rückstand auf den Leader. Aber auch die Young Boys auf Rang 2 liegen bereits satte 10 Punkte hinter dem FCZ.
Einen so grossen Vorsprung zu diesem Zeitpunkt (noch 13 Spiele ausstehend) hat in der Geschichte der Super League noch kein Klub verspielt. Am nächsten kommt noch der FC Basel, der 2005/06 nach 23 Spieltagen sechs Punkte vor dem FCZ lag und den Meistertitel am letzten Spieltag noch an die Zürcher verlor.
Es ist nicht so, als würde der FC Zürich in dieser Saison immer überzeugen. Zum Start der Rückrunde gewann der FCZ gegen Servette glücklich mit 1:0, vor Wochenfrist gegen Sion erzielte Antonio Marchesano den Ausgleichstreffer durch einen Penalty in der 97. Spielminute.
Man könnte dabei natürlich von Glück sprechen, aber es sind eben genau diese «Big Points», die eine gute Mannschaft von einem Meisterkandidaten unterscheiden. In Deutschland beweisen es die Bayern seit Jahren, dass man nicht immer überzeugen, aber (fast) immer gewinnen kann. Genau das schafft der FCZ in dieser Saison auch – er findet seit Monaten immer einen Weg zum Sieg oder zumindest zum Punktgewinn.
Seit dem 26. September 2021 hat der FC Zürich in der Super League kein Spiel mehr verloren. In nunmehr 15 Spielen holte der FCZ zwölf Siege und drei Remis. Die Zürcher haben in diesem Zeitraum 39 Tore erzielt und nur 15 Tore erhalten. Zudem hat man in dieser starken Phase die beiden grössten Konkurrenten um den Meistertitel geschlagen (1:0 gegen YB und 4:2 gegen Basel).
Der FC Zürich hat dementsprechend guten Grund, mit breiter Brust in die Schlussphase der Saison zu gehen. Das Selbstvertrauen ist zwar gross, dennoch haben die Auftritte des FCZ etwas Demütiges. Der so schwierige Mix zwischen selbstbewusst sein, ohne überheblich aufzutreten, gelingt den Stadtzürchern seit Monaten perfekt.
Der FC Zürich kommt für einen Tabellenführer auf äusserst tiefe Ballbesitz-Werte. Nur zu 46,7 Prozent der Zeit ist der Ball in den Reihen der Zürcher. Es sind Werte, bei denen sich ein Pep Guardiola allfällige Haare raufen würde. Auf weniger kommen in der Super League nämlich nur der FC Sion und Schlusslicht Lausanne-Sport.
Doch der FC Zürich braucht diesen Ballbesitz gar nicht. Was nämlich viel entscheidender ist, ist, was eine Mannschaft mit dem vorhandenen Ballbesitz anfangen kann. Und in diesen Qualitätsmetriken ist der FCZ Ligaspitze.
128 Schüsse auf das Tor hat der FCZ bisher abgegeben – auf mehr kommt ligaweit bloss YB (156). Pro Spiel sind das bei den Zürchern 5,57 Schüsse auf den gegnerischen Kasten.
Was noch wichtiger ist als die Anzahl Schüsse, ist deren Qualität und diesbezüglich ist der FCZ der Krösus der Liga. 0,37 Tore erzielt der FCZ pro Torschuss, mithalten kann da bloss der FC Basel einigermassen (0,35 G/SoT). YB lässt die Effizienz diesbezüglich etwas vermissen (0,31 G/SoT).
In der Defensive nehmen sich die Topteams kaum etwas. YB und Basel haben bisher 29 Gegentore kassiert, der FC Zürich 30.
Auffällig ist jedoch, dass YB bloss 68 Schüsse auf das Tor zuliess. Beim FCZ (104) und Basel (101) waren es deutlich mehr. Dass diese beiden Klubs dennoch so wenig Gegentore erhalten, hängt einerseits damit zusammen, dass die Defensive wenig Grosschancen zulässt, aber auch an den starken Torhüterleistungen.
Basels Heinz Lindner hält 76,2 Prozent der Schüsse auf seinen Kasten, Zürichs Schlussmann und Kapitän Yanick Brecher ebenfalls auf starke 73,1 Prozent. YB ist mit 63,2 Prozent am anderen Ende der Grafik anzutreffen.
Der FCZ hat mit Antonio Marchesano (11 Tore, 4 Assists) und Assan Ceesay (13 Tore, 7 Assists) zwei überragende Skorer in seinen Reihen. Dazu kommt mit Linksverteidiger Adrian Guerrero (3 Tore, 8 Assists) ein weiterer Spieler, der in der ligaweiten Skorerliste einen Platz in den ersten 10 einnimmt.
Doch der FCZ hat nicht nur die beiden Torgaranten Ceesay und Marchesano, sondern auch starke Alternativen. Im Sturm kann André Breitenreiter auf einen Superjoker zählen. Der erst 18-jährige Wilfried Gnonto wurde in dieser Spielzeit schon 19 Mal eingewechselt und traf dabei fünfmal. Insgesamt steht der Italiener bei 7 Saisontoren in 22 Spielen. Beeindruckend ist Gnontos Torquote vor allem auf die Minuten runtergerechnet. Gnonto trifft im Schnitt alle 96 Minuten, das ist Liga-Bestwert.
Daneben hat die FCZ-Offensive mit Blaz Kramer (13 Spiele, 3 Tore, 2 Assists) eine bullige Mittelstürmer-Option und dann ist da ja noch Aiyegun Tosin. Der Nigerianer fiel mit verschiedenen Verletzungen lange aus, scheint jetzt aber richtig in Zürich angekommen zu sein. Er kommt in 431 Einsatzminuten schon auf 6 Skorerpunkte (3 Tore, 3 Assists)
In der Winterpause blieb es beim FC Zürich nach dem grossen Umbau im Sommer erstaunlich ruhig. Kein Leistungsträger hat der Klub verlassen, dazugestossen ist mit Innenverteidiger Karol Mets bloss ein neuer Spieler.
Bei Basel und YB sieht das anders aus: Basel gab im Winter Leistungsträger wie Arthur Cabral, Edon Zhegrova oder Eray Cömert ab, die durch Adam Szalai oder Fedor Chalov ersetzt wurden.
Auch die Young Boys haben einige gewichtige Kaliber abgeben müssen: Silvan Hefti, Michel Aebischer und Jean-Pierre Nsame wechselten alle nach Italien, Christopher Martins leihweise nach Russland.
Der grösste Gegner um den Meistertitel heisst YB. Die Berner haben sich in dieser Saison bislang deutlich unter Wert geschlagen und liegen bereits zehn Punkte hinter dem FCZ.
Acht dieser zehn Punkte sammelten sich in der Hinrunde an, als YB insgesamt 12 internationale Partien bestritt. Weil die Young Boys auch im Cup bereits ausgeschieden sind, können sie sich nun – wie auch der FCZ – voll auf die Meisterschaft konzentrieren.
Die Qualitäten und Charaktere, um eine Siegesserie hinzulegen, hat YB auf jeden Fall. Dazu kommen viele Spieler, die wissen, wie man den Titel holt – schliesslich gewannen die Berner zuletzt viermal in Serie die Schweizer Meisterschaft.
Wenn YB nun Woche für Woche gewinnt und so Druck auf den FCZ erzeugt, könnte es zum Schluss tatsächlich nochmals spannend werden.
Von den verbleibenden 13 Spielen trifft der FCZ noch zweimal auf YB. Die Berner haben es also in den eigenen Füssen, den Rückstand alleine in den Direktbegegnungen auf vier Punkte zu reduzieren. Dazu erwarten den FCZ noch schwierige Auswärtsspiele in St.Gallen und Basel. Stolpersteine gibt es sowieso noch genügend, die Frage ist bloss, wie sie der FCZ bewältigen kann.
Dass es dem FCZ so gut läuft, ist eine Kombination aus einer gut zusammengestellten Mannschaft, dem hervorragenden Trainer André Breitenreiter und ... auch der notwendigen Portion Dusel. Sei es mit späten Toren oder auch mal – wie am Sonntag gegen Basel – etwas glücklichen Schiedsrichterentscheidungen. Die Phrase «Das Glück des Tüchtigen» beschreibt den FCZ derzeit perfekt – es läuft einfach.
Was aber, wenn die Bälle plötzlich an den Pfosten statt im Tor landen, wenn der Gegner in der letzten Minute ausgleicht und es auch noch ein strittiges Tor gegen den FCZ gibt? Solche Phasen werden höchstwahrscheinlich noch kommen und dann entscheidet sich endgültig, ob der FCZ diese Rückschläge derart gut verkraften kann, dass es zum Meistertitel reicht.