Konsternation bei den spanischen Spielern nach dem Aus gegen Russland. Bild: AP/AP
Nach mehr als 120 Minuten war die Sensation perfekt. Russland schaltet Spanien im WM-Achtelfinal aus. Während in Moskau die grosse Party beginnt, geht in Spanien die Suche nach dem Hauptschuldigen los.
Spanien scheidet im Achtelfinal gegen Russland aus. Zum fünften Mal scheitert die «Furia Roja» an einer Weltmeisterschaft am Gastgeber. Die Pleite gegen die Russen ist eine Überraschung. Allerdings eine, die sich im Vorfeld und mit den Auftritten in der Gruppenphase auch angekündigt hat.
Nun dürfte die Suche nach dem «Schuldigen» für diese Blamage losgehen. Diese drei Kandidaten kommen in Frage.
Die Voraussetzungen für das spanische Team waren von Beginn weg alles andere als ideal. Einen Tag bevor die WM begann, enthob Verbandschef Luis Rubiales Nationaltrainer Julen Lopetegui seines Amtes, weil dieser bei Real Madrid einen neuen Vertrag unterschrieben hatte.
Verbandspräsident Luis Rubiales. Bild: EPA/EFE
Der Wechsel zu Real Madrid war sicher nicht die feine Art und vor allem schlecht kommuniziert von Lopetegui. Rubiales hat aus der Sache aber erst ein Problem gemacht. Durch seine Entscheidung, einen Tag vor Turnierbeginn den Coach auszuwechseln, warf er die gesamte Vorbereitung über den Haufen und sorgte für Unruhe im Team. Fernando Hierro, Rubiales' Wahl als Ersatzcoach, hatte zudem noch nie eine Mannschaft auf höchster Stufe gecoacht.
Rubiales glaubt selbst nicht, dass er einen Fehler gemacht hat. Gegenüber Journalisten sagt er: «Heute schmerzt es, da wir ausgeschieden sind. Aber man kann sich dadurch beruhigen, dass man mit Verantortung, Überzeugung und Werten gehandelt hat. Das kann man nicht durch ein Resultat auf dem Feld relativieren.»
Als das Tunier also losging, herrschte bei Spanien Chaos. Fernando Hierro wurde als Lopeteguis Nachfolger vorgestellt. Für den 50-Jährigen ein Glücksfall, dachte man. Denn wenn Spanien früh scheitern sollte, würde man nicht ihm, sondern den Unruhen um Lopetegui die Schuld geben. Sollte er Erfolg haben, wäre er der grosse Held.
Hierro reagiert auf das Aus im Achtelfinal. Bild: EPA/EPA
Letzteres schien nach dem Startspiel wahrscheinlicher. In einem begeisternden Spiel gegen Nachbar Portugal zelebrierte die «Furia Roja» Offensiv-Fussball vom Feinsten. Das Team schien zu funktionieren, lediglich ein Flop von Torhüter De Gea und eine Ein-Mann-Show von Cristiano Ronaldo verhinderten den Sieg.
Doch was Spanien in den folgenden Spielen zeigte, war enttäuschend. Und Hierro ist nicht von jeglicher Schuld freizusprechen. Gegen Russland wirkte seine Mannschaft im Offensivspiel wie schon in den Spielen gegen den Iran oder Marokko im Offensivspiel ratlos. Man hatte zwar wie immer viel Ballbesitz, spielte über 1000 Pässe von denen 90 Prozent auch beim Mitspieler ankamen. Doch die Kreativität, damit etwas anzufangen, fehlte sichtlich.
Umso unverständlicher war der Entscheid von Trainer Hierro Andres Iniesta gegen Russland zu Beginn auf der Bank zu lassen. Der 34-jährige Altmeister war in der Gruppenphase noch der kreativste Akteur der Iberer. Und warum Hierro gegen die massierte russische Abwehr lange nur auf eine Sturmspitze setzte, bleibt sein Geheimnis.
Doch auch den Spielern kommt natürlich eine Teilschuld zu. Zu viele Leistungsträger der Spanier konnten nicht ihr volles Potential abrufen oder sorgten mit unglücklichen Aktionen immer wieder für Rückschläge im eigenen Spiel.
Diego Costa, gegen Portugal mit zwei Toren noch überzeugend, wirkte in der Folge wie ein Fremdkörper im spanischen Ensemble. Der Stürmer von Atlético Madrid hatte auch im Achtelfinal kaum Bindung zum Spiel, konnte sich wenig in Szene setzen und wurde nach 80 Minuten ausgewechselt.
Gerard Piqué verursacht gegen Russland den Elfmeter, der zum 1:1 führt. Video: streamable
Gegen Marokko schenkten Iniesta und Sergio Ramos dem Gegner durch eine haarsträubende Unaufmerksamkeit ein Tor. Gegen Russland stellte sich Gerard Piqué im eigenen Strafraum äusserst ungeschickt an und bescherte dem Gegner so den Penalty, der zum 1:1 führte.
David De Gea machte an der WM keine glückliche Figur. Bild: EPA/EPA
Und Torhüter David De Gea steht irgendwie symbolisch für die Leistung seiner Mannschaft an diesem Turnier. Nach zwei Spielen hatte er noch keine einzige Parade gezeigt, dafür aber schon drei Tore kassiert. Auch im Penaltyschiessen gegen Russland war er mehrmals nahe an einer wichtigen Rettungstat, konnte den Sieg der Gastgeber aber auch nicht verhindern.
Einen klaren Schuldigen auszumachen ist schwierig. Vermutlich war es die Gesamtlast aller drei Schauplätze, die für eine erfolgreiche WM zu einer zu grossen Hypothek wurde.
Video: srf/SDA SRF