Es ist noch nicht so lange her, da galt rund um die Fussball Nationalmannschaft das Gesetz: Egal, wie kompliziert das Spiel ist – am Ende steht der Sieg. Unter Vladimir Petkovic hat sich die Schweiz stetig weiterentwickelt und ein bemerkenswertes Selbstverständnis entwickelt, zumindest wenn nicht gerade ein Achtelfinal an einer EM oder WM anstand.
Die Gegner konnten Albanien, Ungarn, Lettland, Nordirland, Serbien, Island oder Georgien heissen. Man konnte danach an manch einem Abend über Zielstrebigkeit oder Effizienz oder Schönheit im Spiel diskutieren – aber fast nie über das Resultat, denn dieses stimmte stets.
Die Ära Petkovic stand auch für die Selbstverständlichkeit des Gewinnens. Doch nun, im Herbst 2019, ist diese Gewissheit verschwunden. Da gilt es plötzlich verschiedene negative Erlebnisse aufzuarbeiten. Wie ein 3:3 gegen Dänemark, wo selbst eine 3:0-Führung nicht hilft und es zum unangekündigten Kollaps kommt. Wie dieses jüngste 1:1 in Irland gegen einen biederen, limitierten Gegner.
Was ist passiert? Darf man von einzelnen, rätselhaften Ereignissen sprechen? Ereignissen, die bestenfalls im Prozess helfen, wie Spieler und Trainer das so gerne betonen? Oder steckt doch mehr dahinter?
Resultatmässig heisst das primäre Ziel EM-Qualifikation. Daran braucht noch niemand zu zweifeln. Bei Lichte betrachtet wird die Schweiz mit Dänemark den Gruppensieg ausmachen, und es wäre doch eine ziemliche Überraschung, wenn dieses Irland im Oktober und November nicht zurückgebunden würde. Sollten alle Stricke reissen, dürfte die Schweiz im kommenden März zumindest noch Nervenspiele in der Barrage bestreiten.
Aber darum geht es nicht einmal. Es geht um das grosse Bild. Um die Frage: Wie gelingt es, nach dem Umbruch Ende 2018 wieder eine Einheit zu bilden? Ein Team zu bauen, dem man im nächsten Sommer an der EM zutraut, vielleicht den lang ersehnten Effort zu schaffen. Und diesbezüglich gibt es derzeit einige Fragezeichen zu viel.
Angefangen bei Captain Stephan Lichtsteiner. Vielleicht weiss Petkovic tatsächlich selber noch immer nicht, ob er weiter auf den Routinier setzen will. Er ziert sich jedenfalls vor einer klaren Ansage. Und lässt damit zu, dass immer wieder dieselben Diskussionen aufkommen. Gerade, wenn in Spielen wie gegen Dänemark und Irland (oder auch im WM-Achtelfinal gegen Schweden) offensichtlich wird, wie viel ein Lichtsteiner mit seiner Mentalität dieser Mannschaft noch immer geben kann. Aktuell bleibt allzu viel der Führungsarbeit an Granit Xhaka und Fabian Schär hängen. Es gibt zu viele Spieler im Team, die mit sich selbst beschäftigt sind.
Auch der Umgang mit Xherdan Shaqiri bleibt heikel – und wird die Schweizer Delegation spätestens im Oktober wieder einholen. Da ist ein gutes Gespür und eine saubere Kommunikation gefragt. Tami und Petkovic müssen von Shaqiri ein kompromissloses Bekenntnis zum Team einfordern dürfen – ohne dass dieser gleich wieder beleidigt reagiert, wie das in jüngster Vergangenheit schon mehrfach vorgekommen ist.
Das Votum von Xhaka, vorgetragen kurz vor Mitternacht nach dem Spiel in Dublin, wonach er Xherdan Shaqiri die Captain-Binde gerne überlasse, wenn dies dessen Hauptproblem sei, hat wohl kaum zur Beruhigung beigetragen. Wobei sich Shaqiri lieber heute als morgen darauf besinnen sollte, was eine solche Anspruchshaltung im Team auslöst, wenn derart offensichtlich ist, dass er zwar einen wunderbaren linken Fuss, aber kaum Leaderqualitäten hat. Shaqiri soll einfach wieder Shaqiri sein, der tolle Fussballer, den die Schweiz immer vermisst, wenn er nicht da ist.
Auch Petkovic hatte spätabends in Dublin noch eine mehr oder weniger indirekte Botschaft an Shaqiri zu platzieren: Er bedankte sich explizit bei Haris Seferovic für sein Engagement. Seferovic wird Vater, seine Frau ist hochschwanger, das Kind wird jeden Moment erwartet. Gleichwohl hat er in Irland gespielt, bevor er nun nach Lissabon zurückgekehrt ist. Für ihn rückt der aufstrebende Ruben Vargas nach. Der leicht verletzte Akanji wird nicht ersetzt.
Nun folgt also zuerst einmal Gibraltar. Das Spiel vom Sonntag in Sion hat für die Schweizer Fussballer etwas von einer Strafaufgabe. Man muss sie zwar bewältigen, aber Lorbeeren gibt es dafür kaum abzuholen. Ein klarer Sieg ist Pflicht. So hat das auch jeder Direktbeteiligte zurecht formuliert. Nur sind die Worte auch schon leichter gefallen.