Es gibt zwei Schweizer Spieler in der NHL, die in dieser Saison einen Skorerpunkt pro Spiel sammeln: Kevin Fiala und … Philipp Kurashev. Das kommt insofern überraschend, da der Berner Stürmer über den ganzen Verlauf einer Saison noch nie mehr als 0,4 Punkte pro Spiel geskort hat. Und er hat sich in der Saisonvorbereitung auch noch verletzt und die ersten Spiele im Oktober verpasst.
Kommt dazu, dass die Chicago Blackhawks als Mannschaft auch dieses Jahr in der NHL-Tabelle weit unten anzutreffen sind. Trotz Supertalent Connor Bedard haben die «Hawks» auf dem Papier eine der schwächsten Mannschaften. Entsprechend fallen die Resultate bislang aus: nur fünf Siege aus 16 Spielen, letzter Platz in der Central Division und zweitletzter Platz in der gesamten Liga.
Philipp Kurashev buries the rebound off Connor Bedard’s shot and we’re tied again 🚨🚨
— Four Feathers Podcast (@FourFeathersPod) November 20, 2023
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Und trotzdem spielt Philipp Kurashev derzeit so gut wie noch nie zuvor. Ist es der lang erhoffte Durchbruch des Centers, der vor wenigen Tagen seinen 24. Geburtstag und sein 200. Spiel in der NHL gefeiert hat? Nach zehn Spielen hat er vier Tore und sechs Assists auf dem Konto. Der Berner darf bei den Blackhawks viel Verantwortung übernehmen und kommt in Über- und Unterzahl zum Einsatz.
Doch das war auch schon letzte Saison der Fall. Was macht Kurashev also dieses Jahr anders? Klar ist, der Schweizer Stürmer schiesst nicht mehr aufs gegnerische Tor als sonst – im Gegenteil. Mit nur rund dreieinhalb Schüssen pro 60 Minuten Eiszeit liegt Kurashev diesbezüglich eigentlich klar unter dem Durchschnittswert seiner Vorsaisons (ca. sechs Schüsse). Das ist aber grundsätzlich nicht überraschend, schliesslich hat er sich in der Vorbereitung auch ausgerechnet am Handgelenk verletzt.
Während das Schussvolumen beim 24-Jährigen abgenommen hat, scheint die Qualität gestiegen zu sein. Obwohl Kurashev seltener schiesst, kreiert er mit seinen Abschlüssen mehr Torgefahr (Expected Goals) als in den Jahren zuvor. Es ist auffällig, dass der Stürmer häufig direkt vor dem Tor zu finden ist, wo er Abpraller verwerten kann. Aktuell liegt auch seine Schusseffizienz bei knapp unter 30 Prozent. Das ist realistischerweise über eine ganze Saison kaum haltbar, es wird also auch wieder Phasen geben, in denen der Schweizer wohl deutlich seltener treffen wird.
Aber: Zieht man die Powerplays ab, ist Kurashevs Produktivitätssprung auch nicht besonders stark auf die Torproduktion zurückzuführen. Den deutlich grösseren Sprung macht der Berner bei den Assists. Auch das ist logisch. Als spielintelligenter Stürmer mit guter Technik war der Nati-Stürmer schon immer viel mehr ein Spielmacher als ein Sniper.
Da ist es natürlich sinnvoll, dass Trainer Luke Richardson Kurashev diese Saison häufig Connor Bedard an die Seite stellt – also spielt er auf dem rechten Flügel statt in der Mitte. Der 18-jährige Rookie Bedard ist ein Edeltechniker, ein Dynamo, der das Spiel ankurbelt und vor allem: ein Sniper. Obwohl der junge Kanadier das komplette Paket ist, ist sein Schuss die gefährlichste Waffe.
Beide haben bei 5-gegen-5 schon 115 Minuten zusammengespielt und scheinen bestens zu harmonieren. Kurashev ist der unauffällige, scheibensichere Spielmacher. Er hat in dieser Saison erst einen Puckverlust auf dem Konto, die Scheibe aber auch schon sieben Mal einem Gegner abgeluchst. Der Schweizer kann Bedard mit Pässen bedienen, aber eben auch dessen Rebounds verwerten. «Er spielt wirklich intelligent», lobt Bedard seinen Schweizer Teamkollegen. «Er gräbt den Puck aus und trifft dann eine blitzschnelle Entscheidung und weiss immer, wo seine Mitspieler sind.»
Beim letzten Spiel gegen Buffalo spielte zudem erstmals der deutsche Lukas Reichel am linken Flügel von Bedard und Kurashev. Die Linie trat dominant auf, kontrollierte bei ihren Einsätzen 10 von 15 Torchancen und 68,7 Prozent der Expected Goals.
Wenn ein bis dato unauffälliger Spieler an der Seite eines (künftigen) Stars plötzlich explodiert, ist schnell der Vorwurf da: Ohne Bedard wäre Kurashev nichts. Aber stimmt das? Jein. Es ist natürlich so, dass der Schweizer vom kanadischen Supertalent profitiert. Alles andere wäre komisch. Stehen Bedard und Kurashev gemeinsam auf dem Eis, geben die Blackhawks 49,81 Prozent aller Abschlussversuche ab (Corsi). Muss Kurashev ohne Bedard ran, sinkt der Wert auf ein Drittel. Aber auch Bedard steht mit 40,91 Prozent ohne Kurashev deutlich schlechter da als mit ihm.
Bedard profitiert also auch vom Schweizer und nicht nur umgekehrt. Es war auch zu beobachten, dass der Rookie in der NHL erst so richtig Fuss fasste, als ihm Kurashev an die Seite gestellt wurde. Die beiden zeigen, dass sie rasch eine gute Chemie gefunden haben – was für Chicagos Zukunft natürlich ein gutes Zeichen ist.
Und natürlich auch für Kurashevs Zukunft. Der 24-Jährige hat in diesem Sommer in Chicago einen Vertrag bis im Sommer 2025 unterschrieben. Die Message war klar: Zwei Jahre, um zu beweisen, dass er in die NHL gehört. Natürlich ist kaum anzunehmen, dass der Berner die ganze Saison mit der gleichen Pace weiterspielt – zumal die ständige Inkonstanz bislang eine seiner grössten Schwächen war. Aber wenn er sich in dieser Hinsicht steigert und die Saison mit rund 50 Punkten und vielleicht 20 Toren abschliesst, wäre das ein grosser Erfolg für ihn und die Blackhawks.