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Sicherheitssorgen am Eidgenössischen – ein Sturm im Sägemehl

Die Schwinger Fans draengen fuer die Mittagspause zum Ausgang der Schwingerarena am Eidgenoessischen Schwing- und Aelplerfest (ESAF) in Zug, am Sonntag, 25. August 2019. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
Die Schwingfans drängen am Eidgenössischen 2019 in Zug zum Mittagessen.Bild: KEYSTONE
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Sicherheitssorgen am Eidgenössischen – ein basellandschaftlicher Sturm im Sägemehl

Eine wunderbare, vaterländische Geschichte: Der Sicherheitschef des Eidgenössischen Schwingfestes reicht seinen Rücktritt ein. Weil das Sicherheitskonzept ungenügend sei. Ein Kulturkampf im Sägemehl.
06.06.2022, 10:4007.06.2022, 05:03
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Die perfekte Story auf den verschiedenen Kanälen der «TX Group». Vorbildlich recherchiert und in allen Teilen wahr: Es gibt noch Lücken im Sicherheitskonzept des Eidgenössischen Schwingfestes in Pratteln. Die Fluchtwege für die 50'900 Männer, Frauen und Kinder aus der Arena und die mehr als 100'000 Besucherinnen und Besucher auf dem Festgelände entsprechen noch nicht den Anforderungen.

Endlich auch einmal ein Sicherheitsproblem bei den «Vaterländischen»! Nicht bloss beim Fussball. Wo nicht einmal der Final der Champions League störungsfrei über die Bühne geht. Gut, es ist erst ein theoretisches Problem. Passiert ist noch nichts. Trotzdem ein vorzügliches Medienthema.

Ignorieren die «Vaterländischen» bewusst die Sicherheitsbestimmungen? Profitieren sie von guten Beziehungen zu den Behörden und zur Politik? Werden deshalb die gesetzlichen Vorgaben nicht durchgesetzt. Wird da am Ende auf Kosten der Sicherheit gespart? Solche Fragen sind durchaus berechtigt.

Die Sägemehl-Ajatollahs sind noch nicht so krisenkommunikationsgestählt. Sie beginnen und beenden ein Gespräch gerne mit dem Zusatz: «Aber ich habe dann nichts gesagt.» Reden durch Schweigen. Nach solcherlei erteilten Auskünften liegt die Vermutung nahe: Hinter der Geschichte steckt wohl auch noch etwas anderes als vorerst nicht hundertprozentig umgesetzte Sicherheitsvorkehrungen: die Eitelkeit von Alphatieren.

Wie die Gewährsleute erzählen, hat der Sicherheitschef seinen Rücktritt mit «persönlichen Gründen» erklärt. Mehr als 150 Frauen und Männer arbeiten ehrenamtlich fürs OK. Oder wie es einer sagt: «Gestandene Frauen und Männer, bewährt in Führungsaufgaben und gewohnt, sich durchsetzen zu können.» Die «Schafseckelzulage» für verletzte Eitelkeiten in Form eines exorbitanten Salärs gibt es nicht. Wer sich unverstanden fühlt, sich nicht durchzusetzen vermag oder sich nicht mehr mit der Sache identifizieren kann, darf den Bettel hinschmeissen.

Grundsätzlich gilt: Sicherheitsbestimmungen werden von den kommunalen und kantonalen Behörden, plus von den Versicherungsunternehmen vorgegeben. Entweder werden die Sicherheitsvorkehrungen eingehalten oder nicht. Der eidgenössische Hosenlupf wird Ende August nicht durchgeführt, wenn die behördlichen Auflagen nicht erfüllt sind. Punkt.

Also ein Sturm im Wasserglas? Schon ein bisschen mehr. Es ist ein basellandschaftlicher Sturm im Sägemehl, der sicherlich in baselstädtischen Kreisen für ein bisschen Schadenfreude sorgt. Die ganze Angelegenheit gibt Einblick in den «Kulturkampf» der Zwilchhosen-Szene.

Die beschauliche Welt der Treichler, Sennen, Turner und Trachtenmeitschi ist inzwischen im Sportbusiness des 21. Jahrhunderts angekommen. Der vaterländische Geist der Bodenständigkeit und Bescheidenheit trifft auf die Wirklichkeit mit Geld, Werbung, TV- und Medienpräsenz und allen damit verbundenen Eitelkeiten. Der «Gotthelf-Faktor» (Geld & Geist) sollte nicht unterschätzt werden. Noch 1976 wäre das Sicherheitsproblem, das sich jetzt zum nationalen Medienthema eignet, höchstens eine kleine Meldung auf der Seite «Vermischtes» in der «Basellandschaftlichen Zeitung» geworden. In der Rubrik «Vermischtes» unter dem Titeli: «Die Arbeiten fürs Eidgenössische 1976 in Basel kommen gut voran».

Aber heute wird alles, was rund um das Schwingen passiert, medial aufgearbeitet und bekommt eine ganz andere Bedeutung. Der König der Schwinger zählt zu den wichtigsten Persönlichkeiten der helvetischen Zeitgeschichte. Das alle drei Jahre stattfindende Eidgenössische ist auch in Pratteln mit 30 Millionen Franken Budget der grösste Sportanlass der Schweiz.

Keine andere Sportart hat in den letzten 25 Jahren eine so stürmische Entwicklung in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung und die Kommerzialisierung durchgemacht. Schwingen ist längst nicht nur ein Sport. Schwingen ist auch Ausdruck einer vaterländischen Kultur, einer Gesinnung und hat somit durchaus eine politische Botschaft: gegen die Globalisierung, gegen die Kommerzialisierung.

Eine Besonderheit: Die Sicherheit ohne Kontrolle. Lange Brot- und Fleischmesser und Flaschen werden aufs Gelände und ins Stadion gebracht. Wie sollen denn sonst Hamme und Brot zum Zvieri «abgehauen» und der Durst gelöscht werden? Zwischenfälle gibt es eigentlich keine und das Sicherheitspersonal ist stärker damit beschäftigt, den Weg zur nächsten Bedürfnisanstalt zu weisen, als für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

So gesehen ist es eine heile Welt. Es gibt rund um den Globus keinen anderen Sportanlass von dieser Grössenordnung, der mit so geringer Präsenz von Sicherheitspersonal aufkommt. Und nun, endlich, endlich, gibt es doch ein Sicherheitsproblem. Nicht nur zu St.Jakob im Fussball. Auch im ländlichen Pratteln. Die «Vaterländischen» sind auch nicht besser als die anderen. Skandal und ein bisschen Empörung im Sägemehl. Das tut doch vielen Seelen gut.

Mag sein, dass die Geschichte durch verletzte Eitelkeiten provoziert worden ist. Doch entscheidend ist jetzt etwas anderes: Wenn denn tatsächlich bis zum Fest (vom 26. bis 28. August) nicht alle Sicherheitsvorkehrungen umgesetzt werden, wenn es Sicherheitsmängel geben sollte, dann haben nicht die «Vaterländischen» ein Problem, sondern die Behörden und die Politiker. Weil sie diese Sicherheitsvorkehrungen nicht durchgesetzt haben. Nun kann niemand mehr sagen, man habe nichts gewusst.

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Jonaman
06.06.2022 11:13registriert Oktober 2017
"gegen die Kommerzialisierung" und "mit 30 Millionen Franken Budget der grösste Sportanlass der Schweiz".
Was nun?
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MrBlack
06.06.2022 12:41registriert September 2016
Ich mag Schwingen als Sport sehr, aber der ganze übertriebene Nationalismus und Patriotismus rundherum (vor allem von den Zuschauern) gefällt mir gar nicht.

Vieles ist auch scheinheilig; Das Schwingen würde längst kommerzialisiert. Und von wegen Globalisierung: die problematischen Seiten daran, wie eine starke Abhängigkeit von Russland oder China oder den Klimawandel wollen diese Kreise gerade meist nicht bekämpfen.

Man kann Schwingen auch toll finden, ohne sich als Super-"Eidgenoss" zu inszenieren und andere ideologisch auszuschliessen.
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Liebu
06.06.2022 12:21registriert Oktober 2020
Schwingen ist auch Ausdruck einer vaterländischen Kultur, einer Gesinnung und hat somit durchaus eine politische Botschaft: Gegen die Globalisierung, gegen die Kommerzialisierung.
Die Kommerzialisierung hat auch im Schwingen, speziell am ESAF, schon lange Einzug gehalten, ist aber unter dem Deckmantel der Tradition und Kultur gut versteckt.
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