Die Schweiz ist ein vielfältiges und innovatives Land. Aber ihre Einwohner pflegen auch eine ganze Reihe von Traditionen, auf die sie oft sehr stolz sind und die ihnen als urschweizerisch erscheinen. Doch ist das wirklich der Fall? Wir gehen 7 ausgewählten Schweizer Traditionen auf den Grund.
Jassen ist ein populäres Kartenspiel, vor allem in der Deutschschweiz – so populär, dass es sogar seit langen Jahren eine eigene Sendung im Fernsehen dazu gibt, den «Samschtig-Jass». Die meisten Leute würden das Schweizer Nationalspiel Jassen wohl als urschweizerische Tradition betrachten. Doch die Ursprünge dieses Kartenspiels liegen woanders.
Wie andere Spiele, etwa Schach, stammen die Kartenspiele aus Asien. Hinweise auf ihren Ursprung gibt es aus Korea und China; sie stammen aus dem 12. Jahrhundert. Möglicherweise wurden sie aber auch in Indien oder Persien erfunden. Jedenfalls gelangten Kartenspiele über die Seidenstrasse und den Seeweg im 14. Jahrhundert nach Europa und so auch in die Schweiz. Beliebt war zu Beginn freilich vor allem das Spiel Tarock, das aus Oberitalien in die Schweiz gelangte.
Jassen im eigentlichen Sinn kam dagegen aus den Niederlanden. Der «Jas» ist dort der Trumpfbauer; der Ausdruck stammt vermutlich von «Paljas» («Narr»). Protestantische Schweizer Söldner brachten es im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in die Schweiz, wo es 1796 erstmals in Schaffhausen aktenkundig wurde: Zwei Pfarrer verklagten dort zwei Bauern, die «um ein Glas Wein» spielten, mit einem Spiel «welches man das Jassen nenne».
Gleich geht es weiter mit den Schweizer Traditionen, aber vorab eine kurze Werbeunterbrechung:
Und nun zurück zur Story ...
Der Hosenlupf, der mittlerweile auch von Frauen ausgetragen wird, gilt als Schweizer Nationalsport. Im Gegensatz zum eher regional verankerten Hornussen wird das Schwingen praktisch in der ganzen Deutschschweiz praktiziert. Die Wurzeln dieses Ringkampfs sind allerdings nicht eindeutig zu bestimmen. Es gibt jedoch eine Darstellung aus dem 13. Jahrhundert in der Kathedrale von Lausanne, die bereits die typische Art zeigt, Griff zu fassen.
In der frühen Neuzeit geriet der Sport etwas in Vergessenheit, zudem sah die Obrigkeit diesem Treiben, das ja Teil der Festkultur war, mit ungnädigen Augen zu. Doch während der französischen Fremdherrschaft (1798-1815) besann man sich auf alte heimische Traditionen: 1805 fand das erste Alphirtenfest in Unspunnen statt, dass eine Neubelebung des Schwingens einleitete. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelangte es auch in die Städte; 1895 wurde der Eidgenössische Schwingerverband gegründet.
Schwingen ist eine Form des Freistilringens und geht als solches auf die antiken Ringwettkämpfe zurück. Die spezifische Art dieses Ringkampfs macht ihn aber zu einer Schweizer Spezialität.
Wer ein Schwingfest besucht, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit auch Trachten sehen und den einen oder anderen Jodel hören. Das Jodeln gilt wie das Schwingen als uralte Schweizer Tradition. Über seine Ursprünge gehen die Meinungen auseinander. Die Vermutungen sind freilich allesamt zweifelhaft, sei es nun eine Herkunft aus dem Viehlockruf, dem Kuhreihen, der Imitation von Blasinstrumenten oder von schamanischen Praktiken.
Vermutlich ist das Jodeln aber nicht in der Schweiz entstanden, sondern im östlichen Alpenraum. Dort ist es bereits im 17. und 18. Jahrhundert dokumentiert. Im Tirol erfüllte es zu Zeiten der Napoleonischen Kriege eine identitätsstiftende Funktion und diente als akustisches Symbol für die Rebellion gegen die französischen und bayrischen Truppen. Im 19. Jahrhundert machten Tiroler Sängergruppen das Jodeln international bekannt und populär. Auch in der Schweiz, wo das Tiroler Lied mit Jodelteil beliebt und fester Teil der Schwingfeste wurde.
Während der Nazi-Zeit wurde das Jodeln zunehmend politisch instrumentalisiert, jedoch in Österreich und in der Schweiz auf je unterschiedliche Art: Im Nachbarland galt das Jodeln als Ausdruck der «arischen Kultur», während es in der Schweiz in Abgrenzung zum nationalsozialistischen Nachbarn Teil der Geistigen Landesverteidigung wurde. 1943 erschien eine erste schriftliche Anleitung, die das Schweizer Jodeln näher umriss und von der deutsch-österreichischen Variante abgrenzte.
Dieses typisch schweizerische Blasinstrument darf ebenfalls an keinem Schwingfest fehlen. Allerdings gibt es fingerlochlose Holztrompeten, die dem Alphorn ähneln, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den Karpaten (trembita), in Polen (bazuna), in Rumänien (bucium), in Ungarn (fakürt) in Skandinavien (lur), in Peru (pampa corneta) und bei den Maori in Neuseeland (pukaea).
Die Ursprünge dieses Instruments reichen weit zurück. Laut dem Schweizer Geschichtsschreiber Sigismund Furrer (1788-1865) datiert es – allerdings wenig verlässlich – auf das 13. Jahrhundert. Im Jahr 1212 soll ein Kuhhirte im Baltschiedertal so laut in das Horn geblasen haben, dass man es bis Visp hören konnte. Der Senn habe so vor dem Einfall des Herzogs von Zähringen warnen wollen. Tatsächlich habe das Alphorn, so will es die Überlieferung, im 14. Jahrhundert in Teilen der Eidgenossenschaft als Signalhorn gedient.
Sicher ist hingegen, dass die erste schriftliche Erwähnung dieses Instruments aus einem Rechnungsbuch des Klosters von St.Urban aus dem Jahr 1527 stammt. 1555 beschrieb der Zürcher Naturforscher Conrad Gessner ein Horn, das er litum alpinum nannte und das in der Innerschweiz benutzt wurde, um das Vieh zusammenzutreiben. Im 18. Jahrhundert geriet das Alphorn dann allmählich in Vergessenheit. Wie das Schwingen wurde es aber am Unspunnenfest 1805, an dem der erste Alphorn-Wettbewerb stattfand, neu belebt. Der aufkommende Tourismus in der Schweiz förderte diese Renaissance. Um 1880 erhielt es dann seine heutige Form.
Da wir schon bei der Musik sind – wie sieht es denn mit der Blasmusik aus? In der Schweiz gibt es unzählige Formationen, die diese Musik vereinsmässig auf unterschiedliche Art betreiben – als Harmoniemusik oder Brass Band, in Blechbesetzung (Fanfare) oder als Metallharmonie (Fanfare mixte). Eine wahre Schweizer Tradition, wie es scheint.
Vorläufer dieser Form der Blasmusik ist aber die Janitscharenmusik (türkisch Mehter Marşı), die Militärmusik der osmanischen Truppen. Diese Marschmusik gelangte während der sogenannten Türkenkriege nach Europa, vornehmlich nach Österreich. Dort fand sie als «türkische Musik» Eingang in die Wiener Klassik und beeinflusste generell die Militärmusik in Mitteleuropa und weiteren Gebieten. Die ersten regelrechten Blasorchester entstanden in der Zeit der Französischen Revolution; sie unterstützten als Freiluftmusik die Revolutionsfeiern und später die Siegesfeiern der Napoleonischen Ära.
Ab Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Besetzung der Blasorchester in mehreren Schüben und regional unterschiedlich. Hinzu kamen technische Innovationen wie die Erfindung von Ventilen für Blechblasinstrumente. Getragen wurde die Tradition zunächst mehrheitlich durch die Militärmusik, mit der Zeit griff sie aber zusehends in den zivilen Bereich über. In der Schweiz wurde 1862 als erster nationaler Verband in Europa der «Eidgenössische Musik-Verein» gegründet. Diesem Dachverband sind heute über zweitausend Blasmusikvereine der Schweiz angeschlossen.
Landsgemeinden gibt es auf kantonaler Ebene nur noch in Appenzell Innerrhoden und Glarus. Obwohl sie in staatsrechtlicher Hinsicht Nachteile aufweisen – so ist das Stimm- und Wahlgeheimnis nicht gewährleistet –, sind sie doch Ausdruck einer lebendigen direktdemokratischen Kultur und Tradition.
Die Ursprünge der Landsgemeinde wurden früher im germanischen «Thing» gesehen, den Volks- und Gerichtsversammlungen, die unter freiem Himmel und oft an etwas erhöhter Stelle stattfanden. Diese Sicht einer durchgehenden Tradition wird heute in der Geschichtswissenschaft aber nicht mehr geteilt; ebenso wenig wie die Auffassung, die Institution der Landsgemeinde sei aus der Tagung der Marchgenossenschaft namentlich in der Innerschweiz entstanden.
Tatsächlich geht die Landsgemeinde aber auf die mittelalterlichen Landtage zurück, den Versammlungen der Gerichtsgemeinden. An diesen Zusammenkünften amtete der Vogt als Vertreter des Grafen als Richter. Die Länderorte übernahmen ab dem 13. Jahrhundert die gesamte Gerichtshoheit und ersetzten den Vogt durch einen Ammann. Die Landsgemeinde ging dann allmählich aus der Gerichtstagung des Landammanns hervor und übernahm weitere Kompetenzen, indem sie wählte, verwaltete und Recht setzte. Sie verlor mit der Französischen Revolution ihre Allgewalt und wurde im 19. Jahrhundert eine verfassungsrechtlich eingebundene Institution mit beschränkten Kompetenzen.
Zum Schluss noch etwas fürs leibliche (und seelische) Wohl – zumindest für Liebhaber von geschmolzenem Käse. Fondue gilt als helvetische Nationalspeise, auch weil es in seiner Form und der Art des Essens an die «Kappeler Milchsuppe» erinnert, als die feindlichen Truppen der protestantischen Zürcher und der katholischen Innerschweizer gemeinsam eine Milchsuppe kochten und mit Brot auftunkten, statt sich die Köpfe einzuschlagen.
Dass das Käsefondue aus dieser Milchsuppe entstanden ist, gehört ins Reich der Legenden. Gleichwohl reklamiert die Schweiz die Erfindung dieser Speise für sich – aber sie ist damit nicht allein. Auch im benachbarten Savoyen hält man Fondue für eine ureigene Erfindung. Sicher ist, dass diese Art der Zubereitung und des Verzehrs von geschmolzenem Käse aus dem Bereich der Westalpen stammt, also aus einer Region, die neben Teilen der Romandie in der Schweiz auch Savoyen und das italienische Aostatal umfasst.
Fondue ist seit 1699 nachweislich bekannt und erscheint ab dem 18. Jahrhundert in den Kochbüchern. Erst zu Beginn des 20. Jahrhundert etablierte sich aber die heutige Rezeptur mit Weisswein. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann auch die Verbreitung von Caquelon, Rechaud und speziellen Gabeln in den Schweizer Haushalten. Die Popularisierung dieser Speise ist vor allem auf das geschickte Marketing der Schweizerischen Käseunion zurückzuführen, die damit den durch die produktivere Milchwirtschaft entstandenen Käseberg abtragen wollte.