30 Spiele, 26 Siege, 4 Unentschieden, 0 Niederlagen. Bayer Leverkusen spielt eine unfassbare Saison und träumt vom ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte. Ausserdem steht die Werkself im Halbfinal des DFB-Pokals und im Achtelfinal der Europa League. Dass der als «Vizekusen» verschmähte Klub in dieser Saison so gross aufspielt, ist einerseits das Verdienst von Trainer Xabi Alonso, andererseits aber auch das von Spielern wie Jeremie Frimpong, Florian Wirtz, Victor Boniface – und natürlich Granit Xhaka.
Der Captain des Schweizer Nationalteams gehört nach seiner Rückkehr in die Bundesliga, wo er zwischen 2012 und 2016 bereits für Borussia Mönchengladbach gespielt hat, zu den besten Mittelfeldspielern der Liga. In gewissen Bereichen ist er gar der Beste nicht nur in Deutschland, sondern in allen Top-5-Ligen.
Zu seinen Stärken gehört unter anderem die Ballkontrolle, selbst wenn er von einem oder mehreren Gegenspielern unter Druck gesetzt wird. Dies hat das Internationale Zentrum für Sportstudien (CIES) in Neuchâtel herausgefunden. So liess sich Xhaka während der laufenden Saison nur in 8,4 Prozent dieser Fälle vom Ball trennen. Damit steht er auf Platz 5 aller Mittelfeldspieler in den 28 untersuchten Ligen.
Nur geringfügig – um 0,2 Prozent, um genau zu sein – besser waren Barcelonas Frenkie de Jong und Real Madrids Toni Kroos. Rodri von Manchester City, der derzeit wohl beste Sechser der Welt, verlor den Ball gar nur in 7,9 Prozent der Fälle. Es ist der beste Wert aus den europäischen Ligen. Übertroffen wird der 27-jährige Spanier nur von Darlington Nagbe, der die Ballkontrolle in 93,4 Prozent der Fälle bewahrte. Der frühere US-Nationalspieler steht bei Columbus in der MLS unter Vertrag. Xhaka ist der einzige Schweizer in den Top 100 in dieser Kategorie, aus der Super League hat es einzig Yverdons Boris Cespedes in die Liste geschafft. Der 28-jährige Bolivianer liess sich den Ball nur in 11,2 Prozent der Fälle abluchsen.
Es zeigt, dass Granit Xhaka auf seiner Position mittlerweile zur absoluten Spitzenklasse gehört, obwohl er das Etikett «Weltklasse» in der halbjährlichen Rangliste des deutschen Fussball-Magazins Kicker im Winter noch knapp verpasst hat. Und Xhaka hält dem Vergleich mit anderen Top-Stars auf seiner Position nicht nur darin Stand, nicht leicht vom Ball zu trennen zu sein.
Sowohl bei den Ballkontakten als auch bei der Anzahl angekommener Zuspiele liegt der 31-Jährige gemäss fbref.com auf Platz 1 aller Top-5-Ligen. Auf 90 Minuten gerechnet wird Xhaka im ersten Fall lediglich von Rodri überflügelt, während er bei den Pässen hinter dem ManCity-Star und PSG-Verteidiger Marquinhos auf Platz 3 liegt. Dabei zeichnet sich Xhaka auch durch eine starke Passquote von 91,9 Prozent erfolgreicher Zuspiele aus. Diese wird nur von drei Mittelfeldspielern – Rodri, Napolis Stanislav Lobotka und Frenkie de Jong – übertroffen.
Und es ist keineswegs so, als würde Xhaka nur einfache und kurze Pässe spielen. Der 121-fache Nationalspieler spielt pro Spiel zwar nicht ganz so viele lange Pässe über mindestens 25 Meter wie Rodri oder Kroos, er ist aber beiden überlegen, was Zuspiele in die Tiefe angeht. So spielt den Ball keiner so häufig nach vorn wie Xhaka. Zu den «Progressive Passes», wie fbref.com sie nennt, werden alle Pässe gezählt, die den Ball mindestens neun Meter (20 Fuss) näher zum gegnerischen Tor bringen und nicht aus dem eigenen Drittel des Felds gespielt werden.
Bei den Pässen ins Angriffsdrittel ist Xhaka ebenfalls zuvorderst anzutreffen. Teilt man die angekommenen dieser Zuspiele durch die gespielten Minuten, sind von den Spielern, die regelmässig spielen, nur noch Kroos und Rodri vor dem Leverkusen-Star.
Bei den defensiven Statistiken, die für einen defensiven Mittelfeldspieler ebenso wichtig sind, fällt Xhaka hingegen etwas ab. Zum Beispiel gelang es ihm nicht halb so oft, einen Gegenspieler vom Ball zu trennen wie Arsenals Declan Rice, der wenig überraschend weit vorne anzutreffen ist. Am häufigsten gelang dies in den Top-5-Ligen übrigens João Palhinha. Der Portugiese, der bei Fulham unter Vertrag steht, stand im letzten Sommer kurz vor einem Wechsel zum FC Bayern.
Was abgefangene Pässe angeht, ist Rice ebenfalls besser als Rodri, Xhaka, de Jong und Kroos. Einzig der Spanier kann halbwegs mithalten. Wenn die beiden Möglichkeiten, Bälle zu erobern, zusammengezählt werden, steht Xhaka von den fünf untersuchten Mittelfeldspielern an hinterster Stelle.
Rice und auch Fulhams Palhinha sind Paradebeispiele für die heutzutage bei vielen Trainern beliebte «Holding 6» – Xhaka hingegen passt nicht ganz in diese Rolle, wie die Statistiken zeigen. Das muss er aber auch gar nicht. Bei Leverkusen spielt er im defensiven Mittelfeld auf einer Doppelsechs, auf der die defensiven Aufgaben hauptsächlich von seinem Nebenmann – meist Exequiel Palacios, zuletzt wegen dessen Verletzung Robert Andrich – übernommen werden. Damit kann Xhaka eine ähnliche Rolle wie zuvor bei Arsenal übernehmen.
Als Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld soll Xhaka auch am Samstag im Spitzenkampf gegen Bayern München den Takt angeben. Bei einem Heimsieg zieht Leverkusen auf fünf Punkte davon, gewinnt hingegen der Rekordmeister, fällt das Team von Xabi Alonso zurück auf Platz 2. Dann droht «Vizekusen» erneut die Vize-Meisterschaft. Wenn die Leverkusener diesen Fluch endlich besiegen wollen, dann müssen sie es wohl in der derzeitigen Form packen.