Im Frühjahr 2025 wird der 31. und bisher letzte Meistertitel des HCD zehn Jahre zurückliegen. Eine meisterlose Ewigkeit. Der erfolgreichste Klub unseres Landes (31 Titel) hat in seinem über 100-jährigen Bestehen schon wesentlich längere Durststrecken durchgemacht: beispielsweise zwischen 1960 und 1984, als der HCD zeitweise in der Nationalliga B darben musste.
So schlimm ist es heute natürlich bei weitem nicht. In ernsthafte Abstiegsgefahr sind die Davoser seit dem Wiederaufstieg von 1993 nie mehr geraten. Nur in der Kasse war es zwischendurch einmal ein bisschen knapp. Aber auch das ist nur noch eine ferne Erinnerung. Aber der Abstand zu den Titanen im Flachland ist grösser geworden, die Zeiten, als ein Spieleragent ob der HCD-Lohnpolitik schwärmte «Crazy Money in the Mountains», sind vorbei und kehren wahrscheinlich nie wieder. Es ist schwieriger geworden, mit den teilweise von Milliardären alimentierten Flachland-Klubs auf dem Spieler-Bazar finanziell mithalten zu können.
Daran wird sich so schnell nichts ändern. Beim Ticketing, den Sponsorengeldern und den Einnahmen aus dem Spengler Cup gibt es Grenzen und einen Milliardär, für den es diese Grenzen nicht gibt, hat der HCD nicht. Das Problem ist bei dieser Ausgangslage, dass die Erwartungshaltung diese neue Realität weitgehend ausblendet und im alpinen Umfeld nach wie vor die Meinung vorherrscht, eigentlich müsste der HCD jedes Jahr um den Titel mitspielen. Selbst der kluge Präsident Gaudenz Domenig sagt, er möchte seine Amtszeit mit einem Titelgewinn beenden.
Von einer neuen Meisterfeier ist der HCD zwar fast so weit weg wie die Lakers vom ersten Titel. Aber das bedeutet keineswegs, dass die neue Saison keine gute werden kann: Eine Halbfinalqualifikation und ein weiterer Spengler-Cup-Triumph sind durchaus realistisch und würden Trainer Josh Holden einen neuen Vertrag bescheren, aber nicht zu neuem Realismus führen: Zu Recht dürften die Davoser dann sagen: Es hat nicht viel gefehlt, es kann doch gelingen. Ein 32. Titel ist keine Utopie. Oder?
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Benotung: 1 bis 10.
Als sich im März 2023 abzeichnet, dass Josh Holden den HCD übernehmen wird, kursiert ein wahrlich boshaftes Gerücht: Jan Alston stelle mit Absicht einen möglichst unerfahrenen Coach ein, um seinen Einfluss zu erhöhen. Nach einer Saison dürfen wir sagen: Es war ein boshaftes Gerücht.
Josh Holden hat in seiner ersten Saison als Cheftrainer dem HCD den ersten Spengler-Cup-Sieg seit 2012, auf Rang 6 die direkte Playoff-Qualifikation beschert und im Viertelfinal den späteren Finalisten Lausanne über 7 Spiele gefordert. Er holte ein Maximum aus der Mannschaft heraus und sorgte mit einer Episode während des Spengler Cups für Aufsehen, als er während des Finals Tomas Jurco vor laufender Kamera nach allen Regeln der Kunst zusammenfaltete.
Aber der HCD gewann das Spiel und das Turnier. Josh Holden hatte in Zug eben in Doug Shedden jahrelang einen der ganz grossen Feuerköpfe und mit Dan Tangnes einen der grossen Intellektuellen des Eishockeys als Lehrmeister.
Sandro Aeschlimann hat sich von ganz unten (weniger als 500 Franken Monatslohn bei der EVZ Academy in der Saison 2016/17) nach oben zur Nummer 1 in Davos gekämpft. Noch ist er nicht ganz zuoberst angekommen. Meister und die Nummer 1 im WM-Team war er noch nie.
Aber die unumstrittene Nummer 1 beim Rekordmeister zu sein, ist für die meisten Goalies ein unerfüllbarer Traum. Die letzte Saison war die bisher beste. In der Qualifikation wird er hinter Simon Hrubec der statistisch zweitbeste Torhüter der Liga (und der ZSC wäre auch mit Aeschlimann Meister geworden …). In den Playoffs gegen Lausanne hätte der HCD ohne ihn durchaus auch 0:4 untergehen können. Unter Goalietrainer Markus Ketterer (ein ehemaliger Nationaltorhüter Finnlands, seit 2023 in Davos) ist Aeschlimann stilistisch ruhiger geworden – und mental stärker.
Er ist ein meisterlicher Goalie in einem noch nicht meisterlichen Team und mit Luca Hollenstein hat er neu eine freundliche, pflegeleichte Nummer 2, die ihn willig entlasten, aber nie herausfordern wird. Beste Voraussetzungen also. Aber wenn Sandro Aeschlimann verletzt ausfallen sollte, braucht der HCD einen ausländischen Torhüter. Deshalb keine maximale Benotung.
Nur 126 Gegentore. Einzig Gottéron (124) und die ZSC Lions (110) waren letzte Saison defensiv noch stabiler. Mit dem Beistand der Hockeygötter kann der HCD dieses defensive Niveau mindestens an ausgewählten Abenden halten. Nach dem Abgang von Dominik Egli – kein defensiver Eckpfeiler – zu Frölunda hat der HCD immer noch vier Verteidiger, die zur defensiven Business-Klasse der Liga gehören (Klas Dahlbeck, Michael Fora, Julius Honka, Sven Jung), und einen Neuzuzug, der eigentlich im Laufe der Saison in diese Business-Klasse aufsteigen müsste (Nico Gross). Was aber nichts daran ändert, dass viel Arbeit auf Torhüter Sandro Aeschlimann wartet.
Dennis Rasmussen und Leon Bristedt produzierten letzte Saison zusammen 18 Tore. Diesen bescheidenen Wert werden ihre Nachfolger Simon Ryfors und Adam Tambellini bei weitem übertreffen und nun kommt ja auch noch Filip Zadina mit dem Potenzial für mehr als 20 Tore. Die Offensivproduktion der ausländischen Stürmer wird höher sein als letzte Saison (53 Tore).
Und Enzo Corvi, nun von allem Anfang an fit, dürfte seine letztjährige Produktion (21 Punkte) fast verdoppeln. Ist der HCD-Sturm also besser geworden? Ganz so einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Andres Ambühl und Marc Wieser, zwei der acht produktivsten HCD-Stürmer, befinden sich im späten Spätherbst ihrer Karriere und Valentin Nussbaumer steht vor einer schwierigen Bestätigung einer grandiosen letzten Saison (21 Tore, 37 Punkte).
Vieles hängt davon ab, ob Matej Stransky zum vierten Mal hintereinander mehr als 20 Punkte produziert. Dagegen spricht eigentlich nichts. Es sollten, wie letzte Saison, wieder mehr als 150 Tore möglich sein. Aber das Konfliktpotenzial ist grösser geworden. Welcher der nunmehr fünf ausländischen Stürmer muss auf die Tribüne? Und wenn alle spielen, wird dann Verteidiger Julius Honka (ihn wird es wohl treffen) erfreut sein?
Der HCD ist finanziell gesund, hat sich in den letzten Jahren infrastrukturell auf die Höhe der Zeit gebracht (Trainingshalle, Stadionerneuerung) und der sportliche Ablösungsprozess von Kulttrainer Arno Del Curto ist gut gelungen.
Das Management funktioniert dank einer ganz besonderen Mischung formidabel: Einerseits sorgt der langjährige Captain Marc Gianola oben in Davos dafür, dass der Klub gut in Bündner Erde verwurzelt bleibt und die dörflichen Sensibilitäten respektiert werden. Andererseits sorgt der erfolgreiche und in seiner Schlauheit ein wenig an Inspektor Columbo mahnende Zürcher Wirtschaftsanwalt Gaudenz Domenig dafür, dass der HCD gerade unter den wohlhabenden Zürchern und vielen anderen Unterländern mit abgeschlossener Vermögensbildung bestens vernetzt ist, und so ist der HCD eigentlich der Bergbauernhof unseres Hockeys:
Oben wird klug gewirtschaftet und aus dem Unterland fliessen die Subventionen. Seit 2011 führt Gaudenz Domenig den Klub und gut, hat er erklärt, er wolle zwar nicht ewig den Vorsitz innehaben, möchte sich aber mit einem Meistertitel verabschieden. Der beste Präsident der Neuzeit dürfte dem HCD noch eine Weile erhalten bleiben. Nur schade, dass auch er es noch nicht geschafft hat, mit dem EHC Chur eine sinnvolle Zusammenarbeit aufzugleisen – dabei hat einer seiner Verwandten – Architekt Thomas Domenig – das moderne Chur erbaut.
Eine Saisonvorschau von Eismeister Zaugg mit Rang-Prognosen zu allen Teams folgt kurz vor dem Saisonstart.
Idee, Konzept und Inhalt: Klaus Zaugg. | Redaktionelle Betreuung: Adrian Bürgler, Olivier Meier. | Technische Umsetzung: Nicole Christen, Carlo Natter, Philipp Reich, Jelle Schutter. | Spielerportraits: nationalleague.ch.
KZ am 4.9.24: "...defensiven Business-Klasse...Julius Honka..."