Die Schweiz ist eine Doping-Insel. In allen Nachbarstaaten wird der Gebrauch von Dopingmitteln zumindest im Spitzensport nicht nur durch den Sport disziplinarisch geahndet, sondern auch von den staatlichen Behörden verfolgt.
In der Schweiz hat im Rahmen des Sportfördergesetzes zwar das Fremddoping, zum Beispiel wenn Ärzte unerlaubte Mittel an Athletinnen und Athleten verabreichen, Eingang ins Strafgesetz gefunden und kann mit Bussen oder sogar Gefängnis bis zu fünf Jahren geahndet werden. Nichts zu befürchten von der Staatsanwaltschaft hat aber der Sportler selbst.
Der Nationalrat und ehemalige Bobfahrer Marcel Dobler (FDP) hat diese Sonderposition bereits 2019 erkannt und dem Bundesrat in einem Postulat im Parlament Fragen dazu gestellt. Der Bundesrat hat in seiner Antwort Argumente für und gegen eine Aufnahme von Selbstdoping ins Strafrecht aufgelistet. Abschliessend hält er fest: «Der Bundesrat ist der Auffassung, dass sich eine strafrechtliche Regelung des Selbstdopings aufdrängt».
Die Regierung ist derzeit daran, eine Botschaft zur Revision des rund 20-jährigen Sportfördergesetzes ans Parlament auszuarbeiten. Müssen sich die durch die Disziplinarkammer des Sports gesperrten Athletinnen und Athleten bald vor noch schärferen Strafen fürchten? Muss der nächste Alex Wilson, dem das Schweizer Sportgericht die höchstmögliche Strafe auferlegt hat, sogar ins Gefängnis?
Die Sinnhaftigkeit, die faktisch mit einem meist mehrjährigen Berufsverbot belegten Dopingsünder doppelt zu bestrafen, wird kontrovers diskutiert. In der Tendenz sieht man die Sache eher kritisch. Viele sehen die Zuständigkeit primär im organisierten Sport und warnen vor einer Doppelbestrafung für dasselbe Delikt.
Argumente gibt es für beide Sichtweisen. Und es stellen sich eine ganze Menge, teils komplexe Rechtsfragen. Zum Beispiel nach der Logik, wenn einerseits im Betäubungsmittelgesetz Drogenkonsum in Zukunft entkriminalisiert werden sollte, andererseits ein kiffender Sportler im Rahmen des Sportfördergesetzes neu mit einer Strafe rechnen muss. Cannabis ist im Wettkampf als Dopingmittel verboten.
Heikel ist auch die Frage, wer alles der Bestrafung von Selbstdoping unterstellt sein soll. Nur die absoluten Spitzenathleten aus dem von den Antidopingbehörden definierten Testpool wie in Deutschland. Oder auch Freizeitsportler, die an einem sportlichen Wettkampf teilnehmen oder Fitnesssportler, die im Kraftraum mit anabolen Doping-Substanzen ihren Körper trimmen.
Wählt man die erste Variante, kann es vorkommen, dass bei einem 100-Meter-Rennen in der Schweiz drei Sprinter bei Doping strafrechtlich verfolgt würden und fünf nicht. Im Rechtsverständnis vieler ein No-Go. Andererseits muss man sich fragen, wo genau die Logik der heutigen Lösung steckt, Fremddoping und Selbstdoping strafrechtlich anders zu betrachten.
Da gemäss Definition des Strafrechts nur die Schädigung eines fremden Rechtsgutes und nicht Selbstschädigung verfolgt wird, kann als Argument für die Verfolgung von Eigendoping nicht die Gesundheitsgefährdung herhalten, sondern einzig die Integrität des Sports, genauer die Lautbarkeit des sportlichen Wettkampfs.
Argumente für die Verschärfung des Rechtes sind die viel grösseren ermittlungstechnischen Möglichkeiten des Staates im Vergleich der Dopingermittler von Swiss Sport Integrity. Dazu gehören Zwangsmassnahmen etwa bei der Beweismittelerhebung, zwingende Zeugenvernehmung sowie Überwachungsmethoden und Hausdurchsuchungen. Auch Untersuchungshaft kann angeordnet werden.
Die wenigen Fälle, wo Athleten zumindest eine Nacht im Gefängnis verbringen mussten – Velofahrer wie der Schweizer Alex Zülle bei der Tour de France 1998 oder Langläufer an der Nordisch-WM 2019 in Seefeld – lockerten deren Zungen durchaus. Die Sportermittler erhoffen sich zudem vom Austausch mit den staatlichen Behörden einen besseren und schnelleren Zugang zu Erkenntnissen.
Ein aktueller Fall aus der Schweiz zeigt, wie unbefriedigend es derzeit laufen kann. 2017 kam ein Berner Arzt und Triathlet, medial als «Dopingarzt David M.» bekannt, in den Fokus der staatlichen Ermittler. Bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung Ende Oktober 2022 – der Strafbefehl lautete auf 21'000 Franken Busse bedingt sowie 34'000 Franken Verfahrenskosten wegen Verkaufs von unerlaubten Mitteln – dauerte es fünf Jahre. Es war das erste Mal, dass ein Arzt wegen eines Dopingvergehens in der Schweiz strafrechtlich verurteilt wurde.
Die Gründe für die enorm lange Dauer liegen auch bei der fehlenden Priorisierung durch die Staatsanwaltschaft. Swiss Sport Integrity war zwar als Zivilpartei Teil des Strafverfahrens. Um dessen Ausgang nicht zu gefährden, musste man aber aufgrund des Amtsgeheimnisses bis zur Verurteilung warten, bis das eigene sportrechtliche Verfahren Fahrt aufnehmen durfte. Derzeit ist SSI an den Abklärungen, ob mögliche dem Dopingstatut unterstellte Beteiligte an einem Netzwerk noch belangt werden können.
Umgekehrt gibt es Beispiele, wo die Kooperation vorbildlich verlief. So bracht die Schwerpunkts-Staatsanwaltschaft München bei der «Operation Aderlass» den verantwortlichen Dopingarzt hinter Gittern und sperrten die Sportbehörden mehrerer Länder gleichzeitig dessen Kunden.
Ein wie in Deutschland verordnetes staatliches Kompetenzzentrum für Dopingermittlungen gibt es in der Schweiz nicht. Auf freiwilliger Basis hat sich in der Westschweiz unter verschiedenen Polizeiorganisationen und Staatsanwaltschaften eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit Swiss Sport Integrity entwickelt. Aber auch dieses für Doping sensibilisierte Netzwerk muss sich an die gültigen, derzeit noch einschränkenden gesetzlichen Vorgaben in der Schweiz halten.
In Deutschland gilt bei Selbstdoping seit 2021 auch eine sogenannte Kronzeugenregelung. Auch die Welt-Antidoping-Agentur Wada hat diese Möglichkeit neu ins Dopingregelwerk aufgenommen. Es soll Anreiz schaffen, durch Strafmilderung seine Hintermänner und Netzwerke anzuschwärzen. Etwas, was im Sport freiwillig praktisch nie passiert.
Aber auch hier gibt es einen Haken. In der Schweiz hat das Parlament die Aufnahme einer solchen Kronzeugenregelung ins Strafgesetz abgelehnt. Wieso also soll man im Sport also eine Ausnahme machen? Viele Fragen, über die letztlich das Parlament in Bern entscheiden muss. (aargauerzeitung.ch)