Eigentlich sieht die Position der Boston Bruins alles andere als dramatisch aus. Das NHL-Team liegt nur zwei Punkte ausserhalb der Playoff-Plätze. Die Regular Season dauert noch über 20 Spiele – mehr als genug Zeit, um den Rückstand noch aufzuholen und die vorderen Teams zu verdrängen.
Doch in der NHL wird eben nicht nur nach dem Ende der Regular Season und den Playoffs Bilanz gezogen, sondern ein erstes Mal rund um die Trade-Deadline. Diese fällt heuer auf den 7. März. Bis dann müssen sich die NHL-Teams entscheiden, sind sie Buyer (Käufer) oder Seller (Verkäufer). Die Käufer «kaufen» zum Transferschluss Verstärkungsspieler. Sie geben dafür eigene Talente, die den Durchbruch noch nicht geschafft haben, oder Draft-Picks ab. Der kurzfristige Erfolg ist wichtiger als die langfristige Planung. Verkäufer dagegen «verkaufen» einige ihrer brauchbaren Spieler – oft sind es Veteranen mit auslaufenden Verträgen – für eben dieses Zukunftspotenzial.
In den letzten zehn Jahren waren die Boston Bruins stets Buyer. Rick Nash, Dmitri Orlov, Tyler Bertuzzi oder Marcus Johansson kamen als sogenannte Rentals (beenden die Saison beim neuen Team und ziehen dann weiter). Charlie Coyle oder Hampus Lindholm wurden an der Deadline geholt und langfristig verpflichtet. Doch das Management des Original-Six-Teams hat verlauten lassen, dass man diese Saison an der Deadline eher zurückhaltend agieren werde.
Die Probleme der Boston Bruins begannen schon im Sommer. General Manager Don Sweeney löste das kongeniale Goalie-Duo mit Jeremy Swayman und Linus Ullmark auf. Letzterer wurde im Austausch mit Joonas Korpisalo nach Ottawa geschickt. Swayman sollte die neue Nummer 1 werden. Doch der Vertrag des US-Amerikaners war im gleichen Sommer ausgelaufen und die Verhandlungen verliefen schleppend.
Swayman und die Bruins wurden sich lange nicht einig über die jährliche Lohnsumme. Die Verhandlungen zogen sich bis in den Herbst hin, wurden phasenweise gar zu einer öffentlichen Schlammschlacht. Der Goalie verpasste das gesamte Trainingscamp und unterschrieb erst kurz vor dem Saisonstart einen neuen Achtjahresvertrag im Wert von 8,25 Millionen US-Dollar jährlich. Nur knapp über der Summe, die Boston ihm angeblich angeboten hat. Man durfte sich fragen, warum der Vertragspoker angesichts der geringen Differenz so lange gedauert hat.
Doch der Schaden war angerichtet. Swayman kann das fehlende Trainingscamp die ganze Saison nicht verbergen und kommt nicht an die Leistungen aus den Vorjahren heran. Erstmals fiel seine Fangquote unter 90 Prozent. Und Korpisalo ist bei weitem kein Linus Ullmark und weist sogar noch schwächere Statistiken vor.
Auch hier ein Poker der Bruins-Chefetage, der nicht aufging. Vor zwei Jahren traten Patrice Bergeron und David Krejci offiziell zurück und hinterliessen auf der Centerposition in Boston ein riesiges Loch. Nichts gegen Pavel Zacha, aber der Tscheche ist einfach nicht gut genug, um bei einem NHL-Team die Rolle des Erstliniencenters zu übernehmen. Der Schwede Elias Lindholm wurde von den Bruins eigentlich für diese Rolle verpflichtet – für sieben Jahre à 7,75 Millionen. Der Schwede rechtfertigt dieses Vertrauen mit elf Toren und 19 Assists bislang aber überhaupt nicht.
Die Mittelachse ist im Eishockey äusserst wichtig. Die Center sind dafür verantwortlich, das Spiel in beiden Zonen zu kontrollieren. Offensiv machen sie das Spiel, defensiv sorgen sie für ein strukturiertes und kompaktes Spiel. Dass es ohne gute Center kaum geht, zeigt das Beispiel von Nashville, das trotz Weltklasse-Snipern wie Steven Stamkos und Jonathan Marchessault kaum Tore schiesst. Bei Boston überzeugen David Pastrnak und Brad Marchand, doch dahinter kommt nichts.
Mit Hampus Lindholm fällt einer der wichtigsten Bruins-Verteidiger bereits seit Mitte November aus. Der Schwede brach sich beim Blockieren eines gegnerischen Schusses die Patella im linken Knie. Nach einer Operation fällt Lindholm mit grosser Wahrscheinlichkeit für den Rest der Saison aus.
Nun hat sich auch das NHL-Länderspielturnier noch negativ ausgewirkt. Dort hat sich nämlich Charlie McAvoy verletzt. Der 27-Jährige ist Bostons absoluter Nummer-1-Verteidiger und schultert pro Spiel durchschnittlich über 23 Minuten Eiszeit. Bei einem Cross-Check im Auftaktspiel gegen Finnland verletzt sich McAvoy an der rechten Schulter. Trotzdem spielte er zwei Tage später beim Vorrundenspiel gegen Kanada – das war keine gute Idee. Denn kurz danach fand sich McAvoy im Spital wieder. Sein Schultergelenk hat sich nach der Verletzung entzündet. Noch ist offen, ob und wann der US-Amerikaner in dieser Saison noch zurückkehrt.
The #NHLBruins have issued the following update on Charlie McAvoy.
— Boston Bruins (@NHLBruins) February 18, 2025
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Eigentlich hätte Boston defensive Stabilität dringend nötig. Die Bruins erzielen nur 2,76 Tore pro Spiel, was in der NHL für Rang 24 reicht. Der Ausfall des ersten Verteidigungspaars bis auf Weiteres wird so in der sonst schon wackligen Verteidigung (3,2 Gegentore pro Spiel – Platz 24 in der Liga) zu einer noch grösseren Hypothek.
McAvoys Verletzung sorgt bei den Boston Bruins für Unmut. Obwohl die letzten Gruppenspiele und der Final in Boston stattfanden, war das medizinische Personal der Minnesota Wild beim Team USA im Einsatz. Dieses trägt nun quasi die Schuld, dass der Boston-Verteidiger trotz Verletzung gegen Kanada spielte und sich dabei die Entzündung zuzog.
Die Bruins waren offensichtlich sehr unzufrieden mit der Behandlung, die ihr Spieler erfahren hat. «Sie waren echt sauer und haben das Gefühl, McAvoy habe nicht die nötige medizinische Behandlung erhalten», sagte NHL-Insider Eliotte Friedman. Gut möglich, dass es im Sommer noch zu einer Aussprache zwischen der Liga und den beteiligten Klubs kommt.
Über Jahre wurde der Absturz der Boston Bruins prophezeit, nie traf er ein. Nun scheint sich aber tatsächlich so etwas wie eine Zeitenwende abzuzeichnen. Die Mannschaft ist insbesondere im Sturm ausgedünnt. Mit David Pastrnak ist nur noch ein Star im besten Alter, Brad Marchand befindet sich mit 36 Jahren im Spätherbst seiner Karriere.
So stellt sich ein wenig die Frage, wie es weitergehen soll. GM Don Sweeney hat durch seine Aussagen über die Zurückhaltung an der Trade-Deadline gezeigt, dass er sich selbst noch nicht so ganz sicher ist. Vielleicht steht auch seine eigene Zukunft ein wenig auf der Kippe. Klar könnte er rund um Pastrnak, ein Swayman in Bestform und McAvoy ein gutes Team aufbauen. Doch besonders viele junge Talente oder Draft-Picks hat Boston nicht. So ist aus den eigenen Reihen kaum Verstärkung zu erwarten und besonders attraktive Stücke für einen grossen Trade haben die Bruins also auch nicht.
Ausser natürlich Brad Marchand (ein Trade von David Pastrnak ergäbe wenig Sinn). Der kanadische Stürmer hat zwar gesagt, dass er seine Karriere im Trikot der Bruins beenden möchte. Doch sein Vertrag läuft Ende dieser Saison aus. Wenn Boston weiterhin ausserhalb der Playoffs herumdümpelt und die Zeichen auf Rebuild stehen, dann wäre der 36-Jährige natürlich attraktiv für einen Trade. Seine giftige Art wäre für jedes Playoff-Team ein Gewinn.
Ein Marchand-Abschied in Boston wäre aber definitiv das Ende einer Ära.