Es war eine Randnotiz vor wenigen Tagen: Verantwortliche des kanadischen Eishockeyverbands (Hockey Canada) mussten vor der Regierung in Ottawa antraben und sich Fragen zur Verwendung von staatlichen Fördergeldern gefallen lassen. Doch hinter der Geschichte steckt deutlich mehr als nur Bürokratie – und es hat eine Lawine von Reaktionen ausgelöst.
Konkret geht es um einen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. 2018 soll eine heute 24-jährige Frau an einer Gala der Hockey Canada Foundation von acht Spielern, die damals in der kanadischen Nachwuchsliga Canadian Hockey League (CHL) spielten, mehrfach missbraucht worden sein. Unter den Tätern sollen sich auch Spieler der kanadischen U20-Nationalmannschaft, die 2018 Gold an der Nachwuchs-WM gewonnen hat und der Spieler wie Cale Makar, Carter Hart, Jordan Kyrou oder Robert Thomas angehörten, befunden haben.
Die Namen der acht mutmasslichen Täter sind nicht bekannt, rund 20 Spieler kämen dafür in Frage. Und die Vorwürfe wurden auch nie gerichtlich bestätigt. Denn Hockey Canada und die CHL einigten sich aussergerichtlich mit der Klägerin und zahlten ihr mehr als 3,5 Millionen kanadische Dollar als Abfindung und Schmerzensgeld, wie Ende Mai dieses Jahres bekannt wurde
Hockey Canada, in statement re: next week's hearings, said that "no government funds were used in the recent settlement of the lawsuit" filed by a young woman who said she was sexually assaulted by 8 CHL players: pic.twitter.com/gIswI25vls
— Katie Strang (@KatieJStrang) June 14, 2022
Das warf bei der kanadischen Regierung Fragen auf. Wurden etwa staatliche Unterstützungsgelder – der Verband erhält 7,8 Millionen kanadische Dollar jährlich – aufgewendet, um diese Abfindung zu zahlen? Präsident Scott Smith widersprach diesen Vorwürfen und betonte, dass verbandseigenes Geld für die Einigungszahlung verwendet wurde. Dennoch sah sich Hockey Canada mit massiver Kritik konfrontiert.
Die Parlamentarier kritisierten unter anderem, wie der Eishockeyverband mit dem Fall umgegangen ist. Zwar sei eine unabhängige Anwaltskanzlei mit der Untersuchung der Vorwürfe beauftragt worden, doch die Teilnahme der mit den Vorwürfen konfrontierten Spielern an der Untersuchung sei freiwillig gewesen. So hätten rund sechs Spieler gar nicht an dieser teilgenommen.
«Hockey Canada hat zu wenig unternommen, um herauszufinden, wer diese acht verdächtigten Spieler sind», erklärte Anthony Housefather von der «Liberal Party of Canada». Er ergänzte: «Sie hätten mehr machen müssen, um zu wissen, für wen sie dieses Geld ausgeben. Dass diese möglichen Sexualstraftäter immer noch spielen, vielleicht sogar in der NHL, das überrascht mich sehr.» Das Parlament forderte eine unabhängige Untersuchung zur Rolle und Aufarbeitung des Verbands in diesem Missbrauchsskandal.
Il s'agit de changer une culture profondément ancrée, il ne s'agit pas de simples solutions éphémères.https://t.co/3ixM1SxDjS
— Pascale St-Onge (@PascaleStOnge_) June 23, 2022
Vor gut einer Woche verkündete Kanadas Sportministerin Pascale St-Onge, die staatliche finanzielle Unterstützung des Verbands, bis auf Weiteres einzustellen. «Wir haben uns von der Befragung der Verbandsbosse Antworten erwartet, die wir leider nicht bekommen haben», begründete die 45-Jährige den Entscheid.
Mittlerweile sind mehrere grosse Sponsoren dem Beispiel der Regierung gefolgt. Finanzdienstleister «Scotiabank» hat die Zusammenarbeit mit Hockey Canada genauso eingestellt wie Detailhändler «Canadian Tire» und Telekommunikationsgigant «Telus».
A very unhappy Scotiabank takes out full page ad in Globe to say it is pausing its sponsorship of Hockey Canada over the way it handled allegations of player assault. Money will instead go to other programs and a charity backing women victims of gender-based violence #hockey pic.twitter.com/a10oMzR015
— David Ljunggren (@reutersLjungg) June 28, 2022
Die «Scotiabank» buchte in der «Globe and Mail», Kanadas grösster Tageszeitung, eine ganze Seite, um ihrem Missfallen Ausdruck zu verleihen: «Wie so viele von Ihnen, war ich entsetzt über die Berichte des Übergriffs. Wir tragen als Eishockeyliebhaber und als Sponsor die Verantwortung, einen positiven Wandel in diesem Sport voranzutreiben», schrieb CEO Brian Porter. Aus diesem Grund streiche die Bank sämtliches geplantes Marketing und alle Events an den U20-Weltmeisterschaften, die im August in Edmonton nachgeholt werden. Stattdessen wolle man das Geld in ein Programm, das Kindern aus ärmeren Verhältnissen den Zugang zum Eishockey ermöglicht, sowie in die Frauen-WM stecken.
Sponsor «Canadian Tire», der auch jede Menge Team-Canada-Fanartikel verkauft, zog sich als Sponsor der U20-WM zurück und erklärte, man wolle die weitere Zusammenarbeit mit dem kanadischen Hockeyverband gründlich evaluieren. «Telus» strich ebenfalls Sponsorengelder aus der Partnerschaft mit Hockey Canada und der U20-WM und will diese stattdessen in eine Organisation stecken, die Frauen unterstützt, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind.
Sponsorendeals und Partnerschaften machten bislang rund 43 Prozent aller Einnahmen von Hockey Canada aus, die staatlichen Förderbeiträge rund sechs Prozent. (abu)