Die neuen «Männer von Sursee» wecken kühne Hoffnungen. Am 19. und am 20. August 2022 tritt Ambri im luzernischen Sursee zum ersten Mal in der neuen Saison in der Deutschschweiz auf. Beim «Lehner Cup» werden Meister Zug (5:1) und Langnau (5:2) vom Eis gefegt. Gegen Zug wollen mehr als 1 000 Fans Sommerhockey sehen. Die neuen tschechischen Stürmer Filip Chlapik und Michael Spacek sorgen für vier der zehn Tore.
In Frühjahr 2022 ist Ambri in einem wundersamen Schlussspurt mit sieben Siegen in Serie gerade noch am SC Bern vorbei in die Pre-Playoffs gestürmt und dann an Lausanne gescheitert. Die ausländischen Feldspieler haben während der ganzen Qualifikation bloss 28 Tore erzielt. Mit nur durchschnittlichen Ausländern hätte Ambri noch viel, viel weiter als bloss bis in die Pre-Playoffs kommen können.
Sportdirektor Paolo Duca ist ein grosser Mann des Hockeys. Er hat das Problem erkannt und gelöst. Filip Chlapik und Michael Spacek wecken bei ihrem ersten Auftritt in Sursee Erinnerungen an Dominik Kubalik. Ambris letzter Liga-Topscorer – er verdient heute in der NHL Millionen – führte die Mannschaft im Frühjahr 2019 auf Rang 5 in die Champions Hockey League und in den Playoff-Viertelfinal. Seither reichte es nur noch zum 10. (2020), 11. (2021) und 10. Platz (2022).
Und nun also Filip Chlapik und Michael Spacek. Die Männer, die im August in Sursee höchste Erwartungen geweckt haben, werden zwar mit 38 Toren die Erwartungen statistisch erfüllen. Filip Chlapik wird mit 24 Toren sogar fast so produktiv sein wie 2018/19 Dominik Kubalik (25 Tore). Und doch ist Ambri gescheitert.
Ausgerechnet die Derby-Niederlage (2:4) bedeutet im zweitletzten Spiel das vorzeitige Saisonende. Bloss Platz 12. Seit dem Wiederaufstieg von 1985 war Ambri nur 2010, 2011 und 2017 gleich schwach (12.). Aber noch nie schwächer. Wenigstens bedeutet dieser 12. Platz «nur» das vorzeitige Saisonende. Und nicht die Mühsal des Abstiegskampfes. Was ist schiefgelaufen?
Im Rückblick zeigt sich: Vielleicht hat der Hochmut im Herbst die Playoffs gekostet. Ambri gewinnt acht der ersten zehn Spiele. Ambri, wie hoch willst du noch hinaus? Aber dann gehen zwischen dem 15. Oktober und dem 5. November neun von zehn Partien verloren und Ambri stürzt in den Tabellenkeller auf Rang 11. Von diesem Rückschlag wird sich die Mannschaft zumindest in der Meisterschaft nie mehr ganz erholen.
Ambri gewinnt trotzdem den Spengler Cup. Es ist wahrscheinlich der emotionalste Triumph der Klubgeschichte. Ja, der Spengler Cup 2022 beschert Ambri die vielleicht schönsten Tage seiner Geschichte. Über diese unvergesslichen Tage ist inzwischen bereits ein Buch geschrieben, gedruckt und in die Läden ausgeliefert worden. In zwei Sprachen: «La Spengler è biancoblu», mit einem italienischen und einem deutschen Titel: «Der Spengler Cup und die Weiss-Blauen». Eigentlich müsste es heissen: «Der Spengler Cup ist weiss-blau.»
Trainer Luca Cereda und seine Spieler haben in Davos oben im Dezember 2022 sozusagen Geschichte und Bücher geschrieben. Aber ausgerechnet eine Heimniederlage gegen Lugano kostet gut zwei Monate später die Pre-Playoffs. Eine Saison zwischen Triumph und sportlichem Untergang, die Ambris wechselvoller Geschichte gerecht wird und romantisch verklärt werden kann. So ist Ambri. Ewiges Ambri.
Aber gibt es nicht auch eine weniger mystische, eine hockeytechnische Erklärung? Kann es sein, dass der Spengler Cup am Ende Ambri die Pre-Playoffs gekostet hat? Die Reise nach Davos, das Turnier mit vier Partien in sechs Tagen auf 1600 Metern Höhe könnte die Energie gekostet haben, die in den letzten Partien dieser ausgeglichensten Meisterschaft der Geschichte gefehlt hat.
Sportdirektor Paolo Duca verneint diese These. Die Belastung sei tatsächlich gross gewesen, habe aber auch den Effekt eines guten Trainingslagers gehabt. «Ganz abgesehen davon, dass dieses positive Erlebnis uns auch beflügelt hat.» Nein, kein direkter Zusammenhang zwischen dem Triumph im Dezember und dem Drama im Februar.
Paolo Duca findet im vergangenen Herbst und nicht im Spengler Cup eine Erklärung: «Am Anfang der Saison sind wir zu leicht zu einigen Siegen gekommen und etwas nachlässig geworden. Dafür sind wir bestraft worden.» Die Leichtigkeit des Seins ist eben nichts für Ambri.
Es gibt noch eine Erklärung. Sie stammt von einem alten, international hoch respektierten Kenner, der das Hockey bei uns und in Nordamerika seit mehr als 20 Jahren intensiv beobachtet. Seinen Namen möchte er nicht lesen. Seine Analyse hat etwas für sich und sollte dem Publikum nicht vorenthalten werden. Es geht um das Defensivsystem.
Stark vereinfach gesagt, gibt es zwei Varianten: Zonendeckung oder Manndeckung. Bei der Zonendeckung konzentriert sich der verteidigende Spieler auf einen bestimmten Raum und in diesem Raum tauchen verschiedene gegnerische Spieler auf. Es ist also nicht möglich, sich auf einen einzigen Gegenspieler zu konzentrieren.
Bei der Manndeckung hält sich der verteidigende Spieler hingegen einfach an einen Gegenspieler, fahre der hin, wo er wolle. Ambri spiele Manndeckung. Weil Ambri zu viele etwas hüftsteife Verteidiger habe, die zu oft Zweikämpfe gegen flinke gegnerische Stürmer verlieren, gebe es zu viele Gegentore in entscheidenden Phasen. Ambri sollte es mit Raumdeckung probieren.
Es ist zu mühselig, diese These zu überprüfen. 156 Tore müssten auf dem Video visioniert werden. Fünf Minuten sollten wir pro Gegentreffer für eine seriöse Überprüfung budgetieren. Gut zwölf Stunden vor dem Bildschirm? Nein, danke. Das wäre dann doch zu viel Arbeit für einen Chronisten. Und erst noch mit dem Risiko, dass am Ende diese schöne These nicht bewiesen werden kann und die Arbeit für die Katz ist. Dann doch lieber alle Folgen von «Herr der Ringe» am gleichen Tag reinziehen.
Wahr ist: Mit Fratelli Isacco und Zacceo Dotti, Tobias Fohrler und Janick Fischer hat Ambri vier etwas hüftsteife Verteidiger. Und ein wenig vorwitzige taktische Kritik mit bedeutungsschweren Begriffen wie Raum- und Manndeckung tönt bei einem grossen Trainer wie Luca Cereda immer gut.
Hochmut im Herbst, der Energieverlust durch den Spengler Cup oder die Taktik mögen eine Rolle spielen. Aber der wahre Grund für Ambris Scheitern ist ein ganz anderer: Scheitern – und zwar dramatisches – liegt in der DNA dieses Klubs. Die Hockey-Götter wollen es so. Daran können auch der grösste Trainer, die sorgfältigste Verwaltung der Energien, die treffsichersten Ausländer, das beste Training, das schlauste Coaching und die raffinierteste Taktik nichts ändern. Also doch eine mystische Erklärung.
Ewiges Ambri. Keine Polemik gegen Luca Cereda und Paolo Duca.