Die Angst der Schweizer Hockey-Fans: Werden wir tatsächlich von Deutschland überholt?
Da hat die Hockey-Nati gerade in absolut überzeugender Manier die USA weggeputzt und Kollege Toggweiler ist trotzdem voll im Doomer-Modus. «In fünf Jahren hat uns Deutschland im Eishockey überholt», meinte er am Dienstag zähneknirschend, als er der DEB-Auswahl beim Sieg gegen Norwegen zuschaute. Am Mittwochmorgen doppelte er in der Redaktionssitzung nach: «Also am Donnerstag gegen Deutschland sind wir nicht Favorit.»
Es sei Toggi verziehen, schliesslich sind Schweizer Eishockey-Fans in Spielen gegen Deutschland gebrannte Kinder. Auch der Viertelfinalsieg vor einem Jahr mag da die bitteren Pleiten in den Viertelfinals von 2023, 2021 und 2010, oder 2018 in der Zwischenrunde an den Olympischen Spielen nicht vergessen machen. Darum wollen wir den Toggis dieser Schweizer Eishockey-Welt vor dem heutigen Duell mit Deutschland Mut machen – zumal es ja nur ein Gruppenspiel ist.
Gegenwart
Zuerst wollen wir uns um die Gegenwart kümmern. Heute Nachmittag (ab 16.20 Uhr im watson-Liveticker) trifft die Schweiz im WM-Gruppenspiel in Herning erneut auf Deutschland. Bei der DEB-Auswahl freut man sich auf das Bruderduell. Doch stimmt Toggis Behauptung, dass die Schweiz nicht Favorit ist?
Nein. Rein auf dem Papier ist die Schweiz in diesem Spiel zu favorisieren. Nationaltrainer Patrick Fischer kann auf fünf NHL-Spieler und auch auf einige der besten Spieler Europas (Kukan, Malgin, Andrighetto) zählen. Deutschland hat zwei sehr gute NHL-Spieler dabei (Tim Stützle, Moritz Seider), aber auch zwei, die längst nicht über alle Zweifel erhaben sind (Philipp Grubauer, Lukas Reichel).
Reichel überzeugte in den ersten drei WM-Spielen mit einem Tor und drei Assists, ehe er sich am Dienstag beim 5:2-Sieg gegen Norwegen an der Schulter verletzte. Ob der 22-Jährige im Turnierverlauf wieder dabei sein kann, liess Künast offen.
Besser sieht es bei Christian Marti aus. Der Schweizer Verteidiger trainierte am Mittwoch wieder mit der Mannschaft mit, nachdem er am Montag beim 3:0-Sieg gegen die USA noch gefehlt hatte. Er war im zweiten Spiel gegen Dänemark am Kopf getroffen worden. Der Verdacht auf eine Hirnerschütterung scheint sich nun nicht bestätigt zu haben. (abu/sda/dpa)
Der grosse Rest des deutschen Kaders kommt aus der DEL. Die deutsche Liga wird hierzulande zwar immer noch gerne belächelt, ist aber sicher nicht so weit weg vom Niveau der National League, wie sich das manch ein Fan so denkt. Trotzdem scheint die NL in den letzten Jahren wieder etwas die Oberhand zu gewinnen – zumindest wenn man die Resultate in der Champions-Hockey-League anschaut. Dort haben die Schweizer Klubs seit drei Jahren kein K.-o.-Duell gegen Deutschland mehr verloren.
Auf dem Papier also Vorteil Schweiz. Dass dies am Ende nichts heissen muss, wissen wir aus früheren Jahren ja schon bestens. Gut möglich, dass Grubauer ausgerechnet gegen die Schweiz einen Traumtag einzieht. Oder dass das Team von Bundestrainer Harold Kreis die Nati mit ihrem physischen und konsequenten Spiel aus dem Konzept bringt. Aber das Spiel gegen die USA hat gezeigt, dass Fischers Mannen mittlerweile die Balance zwischen eigenem Spielwitz und defensiver Stabilität gefunden haben. Für den heutigen Auftritt ist keine Arroganz, aber durchaus Optimismus angebracht.
Zukunft
Doch wird das auch in Zukunft noch so sein? Ist an Toggis Befürchtung, die Schweiz werde im Eishockey in den nächsten fünf Jahren vom nördlichen Nachbar überholt, etwas dran? Solche Prognosen sind natürlich immer schwierig. Ich wage zu behaupten: Nein, Deutschland wird die Schweiz nicht überholen. Stattdessen werden sich die beiden Mannschaften wie schon jetzt mehrheitlich auf Augenhöhe begegnen.
Die goldene Generation Deutschlands (mit Draisaitl, Seider, Stützle, Reichel und Peterka) ist noch etwas jünger als jene der Schweiz (Josi, Niederreiter, Fiala, Meier, Malgin, Siegenthaler, Hischier, Moser). Doch seither hatten die Deutschen ähnlich viel (oder wenig) Erfolg beim NHL-Draft. Und für die kommenden zwei Jahre hat keines der beiden Länder ein absolutes Top-Prospect am Start.
Der DEL-Boom bei den Zuschauern hat zu einem grossen Teil damit zu tun, dass der EHC München seine Zuschauerzahlen mit einem neuen Stadion auf über 10'000 verdoppeln konnte. Auch in der National League sind die Zuschauerzahlen in den letzten Jahren dank neuer Stadien und mehr Spielen stets gewachsen. Die Basis ist ungefähr die gleiche (ca. 16'000 lizenzierte Junioren in der Schweiz gegenüber ca. 14'000 in Deutschland). Status quo also auf vielen Ebenen. Das Bruderduell zwischen der Schweiz und Deutschland wird auch in den kommenden Jahren eines auf Augenhöhe bleiben.
