Im Welteishockey gibt es sechs Nationen, die die Szenerie seit Jahrzehnten beherrschen. Kanada, Russland, Schweden, Finnland, Tschechien und die USA stehen in der Hierarchie traditionell ganz oben. Diese Nationen bilden die «Big 6», die «grossen Sechs». Dahinter balgen sich mittlerweile acht Länder darum, irgendwie den Anschluss an diese Eishockey-Grössen zu schaffen. Die Schweiz und die Slowakei sind am nächsten dran.
Doch der Abstand zur Spitze ist in den letzten Jahren eher grösser als kleiner geworden. Und: Die anderen Eishockey-Schwellenländer – Schwelle deshalb, weil man an der Schwelle zur Weltspitze steht – haben gegenüber den ersten Verfolgern nach und nach Terrain gutgemacht.
Nationen wie Dänemark, Deutschland, Norwegen, Lettland oder Weissrussland bewegen sich inzwischen beinahe auf Augenhöhe mit den Schweizern und den Slowaken. Noch immer spricht man von «Pflichtsiegen», die eine Schweizer Nationalmannschaft gegen solche Länder einfahren müsste. Dass die Realität eine andere ist, musste man auch in den letzten Tagen hier in Paris schmerzhaft am eigenen Leib erfahren.
Gegen Slowenien, das in der Hierarchie noch weiter unten einzustufen ist, und gegen Frankreich liessen die Schweizer drei Punkte liegen, die im Kampf um das Erreichen des erklärten Ziels, die Viertelfinal-Qualifikation, am Ende teuer zu stehen kommen könnten.
Aber weshalb hat die Schweiz, die aufgrund ihrer Voraussetzungen in punkto Finanzen, Infrastruktur, Ausbildung und nationaler Liga ihren direkten Konkurrenten eigentlich einen grossen Schritt voraus sein müsste, immer wieder Mühe, diese Vorteile auf internationalem Parkett umzusetzen? Für Nationaltrainer Patrick Fischer ist klar, dass der Unterschied vor allem im Bereich der Top-Spieler zu suchen ist.
«Dürfte jedes dieser Länder nur die Akteure aufbieten, die in der jeweiligen heimischen Liga engagiert sind, dann hätten wir einen grossen Vorsprung. Aber diese Nationen haben allesamt Spieler in ihren Mannschaften, die in Spitzenligen wie der NHL oder der KHL teilweise wichtige Rollen spielen.» Fischer verweist dabei beispielsweise auf die Franzosen mit den in der NHL engagierten Antoine Roussel und Pierre-Edouard Bellemare oder dem in der KHL bei ZSKA Moskau unter Vertrag stehende Stéphane Da Costa.
Dieses Muster lässt sich bei einigen «Schwellenländern» erkennen. Die Dänen, die auch im Juniorenbereich in den letzten Jahren massive Fortschritte gemacht haben, verfügen über 18 Spieler, die ihr Geld in einer der drei besten Ligen der Welt (neben NHL und KHL auch noch Schweden) verdienen. Die Letten und die Weissrussen profitieren davon, dass sich der Grossteil ihres Kaders aus fixen KHL-Teams zusammensetzt. Lettland setzt an der aktuellen WM auf zehn Akteure, die bei Dinamo Riga spielen, Weissrussland auf deren 15 von Dynamo Minsk.
Auf die Schweiz bezogen, sagt Fischer: «Wenn man berücksichtigt, dass wir hier in Paris bis auf Denis Malgin ohne Verstärkungen aus der NHL auskommen müssen, dann zeigt das trotz allem, dass wir im Vergleich zu den anderen Ländern breit aufgestellt sind. Wir können eine schlagkräftige Nationalmannschaft zusammenstellen, die fast komplett aus Spielern besteht, die in der Schweiz engagiert sind.»
Womit auch gesagt ist, dass eine Schweizer WM-Auswahl mit NHL-Topcracks wie Roman Josi (noch in den Playoffs engagiert), Nino Niederreiter (sagte WM-Teilnahme wegen vertragslosen Zustands ab), Sven Bärtschi oder Sven Andrighetto (beide verletzt) noch einmal wesentlich kompetitiver wäre im Vergleich zu den direkten Verfolgern.
Oder anders ausgedrückt: Die Schweiz ist ein wenig ein Opfer des eigenen Erfolgs geworden. Weil die Juniorenarbeit über die Jahre immer besser wurde – auf U20-Niveau bewegt sich die Schweiz seit fast 20 Jahren im Bereich der Top 8 –, zieht es immer mehr Spieler in Richtung NHL. Während grosse Eishockey-Nationen wie Schweden oder Finnland diesen steten Aderlass aufgrund ihres breiten Pools an überdurchschnittlichen Spielern mehr oder weniger problemlos kompensieren können, reissen diese fehlenden High-End-Spieler wesentlich grössere Lücken ins Schweizer Kollektiv.
In diesem Zusammenhang ist die mitunter rätselhafte Inkonstanz der Schweizer also durchaus erklärbar. Genauso nachvollziehbar ist aber auch, dass die Erwartungshaltung bezüglich unserer Nationalmannschaft nicht zu Unrecht hoch ist – angesichts des Stellenwerts der Sportart im Lande. Fischer sagt: «Wir sind immer noch die Nummer 7 der Weltrangliste. Der Abstand zu den ersten sechs Teams ist gross. Aber hohe Erwartungen sind grundsätzlich gut.»
Fischer gibt aber zu bedenken, dass es an einem WM-Turnier, neben den oben genannten Gründen, noch andere, unberechenbare Elemente zu berücksichtigen gilt. Zum Beispiel das Wettkampfglück: «In unserem Sport spielt das eben auch eine Rolle.»