Lugano-Trainer Greg Ireland (51) ist ein Mann ohne Charisma. Auch wer einen Trainer nicht kennt, sieht in der Regel in einer Gruppe von herumstehenden Männern nach einem Hockeyspiel sofort, wer der Trainer, der Chef, das Alphatier ist.
Bei Greg Ireland ist dies nach dem grossen Drama zu Bern nicht der Fall. Der freundliche Pragmatiker könnte auch als Statistiker, Busfahrer oder Kofferträger durchgehen. Und so kann der Kanadier, der das Team erst am 16. Januar von Feuerkopf Doug Shedden übernommen hat, den Chronisten die wichtigste Frage nicht beantworten: Er weiss nicht, ob er auch nächste Saison an der Bande stehen wird.
Kein anderes Spitzenteam wechselt die Trainer seit so langer Zeit so zügig aus wie Lugano. Seit dem letzten Titel von 2006 – unter Harold Kreis, der nach der Meisterfeier nach Zürich wechselte – sind mehr als zehn Trainer gescheitert. Jahrelang schien dieses Kommen und Gehen an der Bande ein wichtiger Grund für das permanente Scheitern. Ausdruck von Führungsschwäche und Orientierungslosigkeit.
Aber ist das wirklich so? Wahr ist, dass Lugano seine Trainer lange Zeit konzeptlos geheuert und gefeuert hat. Da wurden Männer mit dem Kommando betraut, die entweder die Zukunft hinter sich hatten (wie Huras, Slettvoll, Smith) oder bei diesem Job, der zu den schwierigsten ausserhalb der NHL gehört, in zu grossen Schuhen standen (wie Zanatta, Bozon, Johansson oder Fischer).
Aber Christian Constantin hat beim FC Sion den Beweis erbracht, dass häufige Wechsel auf der Kommandobrücke der Leistungskultur nicht abträglich sein müssen. Nun erkennen wir, dass dieses «Sion-Prinzip» auch im Hockey funktionieren kann.
Der HC Lugano hat in den letzten zwei Jahren die Rückkehr unter die Titanen unseres Hockeys mit dem Final von 2016 und nun dem dramatischen Scheitern gegen Bern mit drei verschiedenen Trainern geschafft: mit Patrick Fischer, Doug Shedden und Greg Ireland.
Jetzt, wenn wir zurückblicken, erkennen wir, wie einfach es eigentlich ist: Der antiautoritäre Spielerversteher Patrick Fischer, der auf den letzten Platz abgerutscht war, wird im Herbst 2016 durch den autoritären Feuerkopf Doug Shedden ersetzt. Lugano stürmt vom letzten Platz in die Playoffs und dann ins Finale.
Doug Shedden übertreibt es mit seiner «Einweg-Kommunikation», das Innenleben in der Kabine verkümmert. Der Kanadier wird im Januar 2017 gefeuert und wieder kommt ein freundlicher Spielerversteher mit Sinn für ein bisschen «Kommunikations-Voodoo». Unter Greg Ireland kehren Spielfreude und Emotionen zurück, die Mannschaft rückt zusammen, kippt sensationell die ZSC Lions aus den Playoffs und ist im Halbfinal gegen den SCB viel, viel besser, als es das 1:4 vermuten liesse.
Lugano wie der FC Sion! Häufige Trainerwechsel als erfolgreiche Strategie. Wichtig ist dabei nicht nur der richtige Zeitpunkt des Kommandowechsels.
Wichtig ist auch, dass der neue Trainer ein gegensätzlicher Typ seines Vorgängers ist. Yin (weich, passiv) und Yang (hart, heiss, aktiv). Zuckerbrot und Peitsche. Wasser und Feuer. Demokratie und Diktatur. Leise und laut. Diskutieren und Befehlen. So war das Muster der letzten Lugano-Trainer: Auf «Zuckerbrot-Fischer» folgt «Peitschen-Shedden» und auf den kanadischen Feuerkopf «Zuckerbrot-Ireland».
Eine Fortsetzung dieser erfolgreichen Strategie ist nun die günstige Weiterverpflichtung von Greg Ireland – um ihn dann spätestens im Januar durch einen Peitschen-Typ (wie Bob Hartley) oder zumindest einen emotionalen Feuerkopf (wie Kevin Schläpfer) zu ersetzen.
Leitwolf Philippe Furrer mag der «Sion-Theorie» des Chronisten nicht zustimmen. «Der Vergleich ist zu krass.» Aber warum werden in Lugano die Trainer geheuert und gefeuert wie in Sion? «Das kann ich nicht sagen. Wir sind sicher eine fordernde, aber keine schwierige Mannschaft –aber warum stellen Sie die Frage nach den Gründen für ständige Trainerwechsel nicht Marc Lüthi?»
Ja, warum eigentlich nicht? Wir müssen den SCB-General gar nicht fragen. Er arbeitet nämlich bereits auch nach diesem «Sion-Prinzip»: Zuckerbrot-Törmänen, Peitschen-Boucher, Zuckerbrot-Leuenberger, Peitschen-Jalonen. Yin und Yang. Zuckerbrot und Peitsche. Wasser und Feuer. Demokratie und Diktatur. Leise und laut. Diskutieren und Befehlen. Zwei Titel in vier Jahren – und vielleicht schon bald wieder ein Titel.
Und hat nicht auch der EV Zug mit dem Wechsel vom hitzköpfigen Doug Shedden zum freundlichen Harold Kreis das «Sion-Prinzip» erfolgreich angewandt?
Nur beim HC Davos sind Wechsel nicht notwendig. Weil Arno Del Curto (61) als einziger Trainer weltweit alle Rollen überzeugend, ja gar authentisch spielt. Yin und Yang. Zuckerbrot und Peitsche. Wasser und Feuer. Demokratie und Diktatur. Leise und laut. Diskutieren und Befehlen. Das «Sion-Prinzip» in einer Person. Deshalb ist er schon seit 1996 im Amt – und ausser einem natürlichen Alterungsprozess spricht nichts gegen weitere 21 Jahre an der HCD-Bande.