Der watson-Eismeister Klaus Zaugg blickt auf die neue National-League-Saison voraus, die am 14. September beginnt. In umgekehrter Reihenfolge seiner Prognose nimmt er alle Klubs der Liga unter die Lupe. Heute der neunte von 14 Teilen – Servette-Genf.
Das Problem: Die Fussball- und Eishockeyteams von Servette werden weitgehend aus den gleichen Töpfen (Fondation 1890, Fondation Hans Wilsdorf) alimentiert. Für die Verdienste von Didier Fischer, der so beide Klubs vor dem Konkurs gerettet hat (Fussball 2015, Eishockey 2018), werden Psalmen gesungen. Und sowohl im Fussball wie im Hockey wird hochprofessionell gearbeitet.
Aber es ist nicht genug Geld da, um wenigstens Hockey-Servette auf Meisterstärke aufzurüsten. Die Titel-Chancen wären im Hockey grösser als im Fussball. Aber Hockey-Servette leidet unter einer schäbigen Infrastruktur und einer komplizierten Stadtpolitik (mit einer Prise Marxismus, Populismus und Calvinismus) und der Gerichtsfall Chris McSorley (es geht um eine Abfindungsforderung in der Höhe von 7,652 Millionen Franken plus Anwaltskosten) beunruhigt nicht nur den Kassier. Diese äusseren, nicht sportlichen Umstände schwächen Hockey-Servette.
Es ist auch sonst schwierig genug, in Genf ein Spitzenteam aufzubauen. Sportchef Marc Gautschi holt im Sommer 2020 in einem Tauschgeschäft Joël Vermin (nun beim SCB) von Lausanne nach Genf und sagt, es sei sehr schwierig, auf dem freien Markt helvetische Nationalspieler nach Genf zu holen: weite Wege heim zur Familie, miserable Infrastruktur und tiefere Löhne. Daran hat sich nichts geändert.
Und so versucht Servette, dieses Handicap mit besserem ausländischem Personal wettzumachen: Verteidiger Henrik Tömmernes gehört zu den besten Europas, Sami Vatanen ist einer der offensiv begabtesten Defensivspieler, der kanadische Stürmer Daniel Winnik ist eine skorende Dampfwalze. Teemu Hartikainen, Linus Omark und Valteri Filppula haben in der Offensive kreatives Weltniveau. Kurzum: Servettes Ausländer sind meisterlich, sie wissen die Lebensqualität zu schätzen, die Infrastruktur kümmert sie wenig und kommen gern nach Genf.
Die Frage deshalb: Sind auch die Schweizer meisterlich? Wenn ja, kann Servette seinen ersten Titel holen. Wenn nein, gibt es im nächsten Frühjahr wenigstens ein Jubiläum zu feiern: 50 Jahre – ein halbes Jahrhundert! – ohne Meister aus der Romandie: Im Frühjahr 1973 war der HC La Chaux-de-Fonds der letzte welsche Meister und bleibt es wohl weiterhin.
Servette hat letztlich das gleiche Problem wie in den 1990er-Jahren Gottéron mit Slawa Bykow und Andrej Chomutow (damals waren nur zwei Ausländer erlaubt): Die Ausländer sind weltmeisterlich, die Schweizer und allen voran Torhüter Dino Stecher nicht meisterlich. Die Goalies sind – wie damals bei Gottéron – Servettes grosse Fragezeichen.
Während der Saison 2019/20 bilden Gauthier Descloux und Robert Mayer das statistisch beste NL-Torhüterduo. Nach dem 4. Platz in der Qualifikation bleibt die Meisterprüfung aus: Die Playoffs werden wegen der Pandemie abgesagt. Chris McSorley, damals Sportchef, rühmt: «Bei unseren Goalies gibt es zwei Optionen. An manchen Abenden sind sie grossartig. Und an den anderen phänomenal.» So ist es inzwischen nicht mehr. Robert Mayer gilt nach den zwei Jahren in Davos und Langnau als Spektakelgoalie mit Lottergefahr, und Gauthier Descloux konnte seither die Erwartungen in Genf nicht mehr erfüllen: zu zerbrechlich.
Welches Servette werden wir nun sehen? Die Mannschaft, die in die Krise gerutscht ist oder die Mannschaft, die sich grandios aus der Krise herausgearbeitet hat? Wir sind diesmal optimistisch. So viel offensives Talent war in Genf auf den Ausländerpositionen noch nie unter Vertrag und den Verlust von Joël Vermin (zum SCB) sollten Vincent Praplan und Alessio Bertaggia kompensieren können. Das defensive Fundament war letzte Saison trotz Goalie-Hektik (sechs verschiedene Torhüter im Einsatz) stabil und wird durch Rückkehrer Robert Mayer (er hat bis heute nur in Genf sein bestes Hockey gespielt) noch stabiler.