Als Rikard Grönborg (51) nach Zürich kommt, muss nur noch ein Teilchen ins Saison-Puzzle eingesetzt werden: eine Ausländerlizenz ist noch nicht vergeben.
Der neue ZSC-Trainer weiss ganz genau, was er will: Einen offensiv produktiven Leitwolf. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass ein neuer Trainer auch einen neuen Ausländer «mitbringen» darf. Also wird sein Wunschspieler bis 2021 verpflichtet: Marcus Krüger (29).
Der 29-jährige schwedische Center löst allerdings keine statistische Vorfreude aus. In 607 Partien hat er gerade mal 44 Tore erzielt. Das sind 0,072 Treffer pro Spiel.
Ein ausländischer Stürmer, der statistisch nicht einmal so torgefährlich ist wie Dominik Diem (0,085 Tore pro Spiel). Ein Fehlgriff? Nein, vielleicht wird er einmal sogar das letzte Teilchen, das zu einem Meister-Puzzle gefehlt hat.
Bereits im dritten Spiel (in Genf) muss Marcus Krüger verletzt aufgeben und bis dahin ist er ohne Skorerpunkt geblieben. Diskret und offensichtlich nicht ganz fit.
Erst gestern ist er im Spiel gegen den SCB in die Mannschaft zurückgekehrt. Seit dem Ausfall in Genf hatte er erst am Vortag zum ersten Mal wieder unter Volllast trainiert.
Seine Rückkehr ins Team entscheidet das Spiel. Marcus Krüger assistiert zum Anschlusstreffer (1:2) und erzielt in der Verlängerung den Siegestreffer (3:2 n.V). Es ist ein Spektakeltor. Völlig frei bezwingt er Torhüter Pascal Caminada.
Es braucht goldene Hände, um freistehend so nahe am Torhüter den Puck ins Netz zu zaubern. Er wird hinterher sagen, er habe wahrscheinlich noch nie sie so viel Zeit gehabt, um ein Tor zu schiessen. «Aber es war ja eine Verlängerung drei gegen drei und auf dem breiten europäischen Spielfeld.»
Die letzten neun Jahre hat Marcus Krüger in Nordamerika gespielt. Meistens in der Rolle eines Defensivstürmers. Das hat ihm viel Ruhm (zwei Stanley Cups mit Chicago), aber wenig offensiven Freiraum beschert. Deshalb täuscht seine Statistik. Er musste in der NHL mehr in der Defensive arbeiten und durfte kaum in der Offensive spielen.
Nun will er noch einmal Eishockey spielen. Eishockey ist ja ein Spiel. Nicht nur Arbeit. Das ist ein Grund, warum er zu den ZSC Lions gekommen ist. Er hatte auch andere Offerten.
Rikard Grönborg sagt, er habe Marcus Krüger schon als Junior gekannt und kenne seine offensiven Qualitäten. Aber mindestens so wichtig sind für ihn die Führungsqualitäten: «Marcus ist der Erste, der zum Training kommt und der Letzte, der wieder nach Hause geht.» Ein Leitwolf auf und neben dem Eis; im besten Wortsinn.
Die ZSC Lions haben das Spiel gegen den Meister auch gewonnen, weil sie mit Garret Roe (von Zug), Maxim Noreau (der SCB wollte ihn nicht mehr) und Marcus Krüger drei sehr gute und mit Fredrik Pettersson einen recht guten Ausländer haben.
SCB-Sportchef Alex Chatelain ist es nicht gelungen, alle vier Ausländerpositionen richtig zu besetzen. Der finnische Verteidiger Miika Koivisto war wieder ein Ausfall, beendete die Partie mit einer Minus-Bilanz (-1) und Cheftrainer Kari Jalonen gewährte ihm weniger Eiszeit als Yannick Burren, Calle Andersson, Justin Krüger und Ramon Untersander. Statt eine ausländische Verstärkung für die Verteidigung haben die Berner einen Problemspieler verpflichtet, dessen Selbstvertrauen jetzt erst einmal geduldig wieder aufgeforstet werden muss.
Beim Spiel des Meisters gibt es nämlich sonst keine Krisensymptome. Die Mannschaft spielt mit hoher Intensität, guter Disziplin und jeder tut das, was er kann und eigentlich alle mit Leidenschaft.
Die Spielweise ist zwar extrem konservativ (und oft langweilig) aber eben effizient. Die ZSC Lions vermögen bis weit ins zweite Drittel hinein die taktischen Schablonen nicht zu knacken. Und als die Berner zu passiv werden (ihre grösste Schwäche) nimmt der grosse Kari Jalonen im exakt richtigen Zeitpunkt sein Time-Out und aktiviert das Spiel wieder.
Am Ende vermag der SCB zum zweiten Mal hintereinander eine Zweitore-Führung nicht über die Zeit zu retten. Gegen die SCL Tigers hatte am Freitag ein 2:0 und 3:1 nicht für drei Punkte gereicht (4:3 n.V). Jetzt gibt der Meister im Hallenstadion ein 2:0 preis und verliert 2:3 n.V.
Die taktischen Schablonen sind ein wenig brüchiger geworden. Dabei spielen der miserable ausländische Verteidiger und das Fehlen eines grossen Torhüters eine Rolle. Die Berner basteln sich ihre Probleme selbst.
Aber es ist eine Niederlage gegen einen starken Gegner. Die ZSC Lions begeistern im Herbst als fliegende Löwen. Wir finden im Buch der Bücher eine Beschreibung des fliegenden Markuslöwen, dem Wappentier der Venezianer (und ein wenig auch der Zürcher), die durchaus zum neuen, erfrischenden Stil der Löwen im Hallenstadion passt: «Ich sah: Ein Sturmwind kam von Norden, eine große Wolke mit flackerndem Feuer, umgeben von einem hellen Schein. Aus dem Feuer strahlte es wie glänzendes Gold.»
Ein wenig pathetisch zwar. Aber durchaus treffend. Vorwärts also wie Blüchers Husaren bei Waterloo. Rikard Grönborg lässt die Löwen fliegen. Er arbeitet in Zürich am modernen, spektakulären Gegenentwurf zum konservativen «SCB-Schablonismus». Seine Hockeyphilosphie ist noch nicht durch jahrelanges Resultatdenken im Klubhockey konservativ, berechnend und nüchtern geworden. Als Nationaltrainer hat er sich über die Jahre einen gewissen Sinn für Romantik bewahrt: Eishockey ist mehr als Spiel als Arbeit.
Die ZSC Lions sind sein erstes Klub-Profiteam. Er hat eine grosse Hockey-Organisation gesucht, wo ihm der Freiraum für die Umsetzung seiner Ideen in einem hoch professionellen Umfeld geboten wird. Und die Zürcher haben einen Trainer gesucht, der das Hallenstadion mit einem unkonventionellen, frischen Stil lüftet.
Der Schwede sagt, dieser Stil wecke positive Energien. Die ZSC Lions laufen ihrer jüngsten Vergangenheit, ihren Sorgen (letzte Saison als Meister die Playoffs verpasst) davon.
Sie tun es nicht naiv oder blindlings. Sie tun es mit Verstand. Es ist ihnen soeben gelungen, eine der taktisch und defensiv stabilsten und bestgecoachten Mannschaften der Liga (den Meister) nach einem 0:2-Rückstand zu besiegen und die Tabellenführung zu behaupten.
Noch wird das ZSC-Spektakel auf dünnem Eis aufgeführt. Bis zu einer ähnlichen taktischen Perfektion wie in Bern ist es noch ein weiter und langer Weg. Aber im «Treibhausklima» des Hallenstadions funktioniert es bereits. Sechs Heimsiege in Serie, auf eigenem Eis unbesiegt und offensiv (aber nicht defensiv) das beste Team der Liga.
Wenn wir betrachten, von woher die Zürcher sportlich kommen (aus der Platzierungsrunde), dann müssen wir sagen: Die ZSC Lions sind das Team des Herbstes.
Lindros88
Für mich ist das etwas gar einfach....
Sport wie früehner
Anteil der Mannschaften am Inhalt des Textes: 75% SCB; 25% ZSC
Das kann wahrlich nur ein Text vom Eismeister sein.. 😂😂
Focke
das niveau ist dieses jahr nochmals etwas gestiegen, der unterhaltungswert für den zuschauer ist riesig!