«Nume nid gsprängt» ist das Motto der Berner. Diese besondere Kultur ist sogar verfilmt worden. «Nume nid gsprängt … aber geng hüh!» ist der Titel eines Dialektfilms aus dem Jahre 1935. Im Kern eine Lovestory, in deren Verlauf auch eine Kuh von einem Bauernburschen geritten wird und ein Zirkusartist auftritt. Aber niemandem wird ein Bär aufgebunden.
So ist es nur logisch, dass Raëto Raffainer, der oberste Chef der SCB-Sportabteilung, nach der bittersten Niederlage seit dem Wiederaufstieg von 1986 seinen Spielern erst einmal einen freien Tag gönnt. Am Dienstag, am Tag nach dem vorzeitigen Saisonende, dürfen sich die Tapferen, Müden und Ermatteten erholen. Sie haben es verdient.
Es hat Zeiten gegeben, da ist beim SCB dieses Motto ignoriert worden. Zweimal ist SCB-Manager Marc Lüthi gleich nach dem Spiel in den Bauch des Stadions hinuntergestiegen und hat auf der Stelle die Trainer gefeuert. Die Meistermacher Larry Huras und Antti Törmänen sind so ihre Jobs bereits im Herbst losgeworden. Und als John van Boxmeer 2009 als Qualifikationssieger zum zweiten Mal im Viertelfinal scheitert, wird er am Tag nach dem letzten Spiel entlassen.
Diese unbernische Dynamik, die zeitweise in atemberaubendes Tempo mündete, ist dem SCB gut bekommen. Im Zeitalter der beschleunigten Zeitabläufe unter der Führung von Marc Lüthi hat der SCB 2004, 2010, 2013, 2016, 2017 und 2019 die Meisterschaft gewonnen.
Inzwischen sind die Berner zu ihren wahren Ursprüngen zurückgekehrt. Sie lassen sich wieder Zeit und strahlen jene Ruhe aus, die den grossen Zürcher Conard Ferdinand Meyer zu einer wunderbaren Wortschöpfung inspiriert hat: «Unbestürzbares Bernergesicht.» Nach der bittersten Enttäuschung seit Menschengedenken geht beim SCB alles seinen gewohnten Gang. «Nume nid gsprängt.»
Nach dem Spiel gegen Lausanne, dem letzten der Saison, gibt es unten im «Bärengraben», dem grossen Innenhof des Stadions zwischen den Kabinen, keine dramatischen Szenen. Keine zertrümmerten Stöcke. Nicht einmal lautes Fluchen ist zu hören. Brav trotten die Tapferen in ihren ritterähnlichen Ausrüstungen vom Eis zurück in die Kabine. Fast scheint es, als sei dieses vorzeitige Ende eine Erlösung. Was soll man nach der 32. Niederlage noch sagen? Es ist doch längst alles gesagt, gesendet, geschrieben.
Captain Simon Moser gibt Auskunft. Besonnen, ruhig, ohne Schuldzuweisungen. Auch Tristan Scherwey redet so wie es sich gehört und mit dem Zusatz, er stehe hinter dem Trainer. Raëto Raffainer, der begabteste SCB-Sonntags- und Krisenredner, lässt sich nicht auf die Äste hinaus. Er redet nach dem Spiel viel, in Kameras, Mikrofone und Notizblöcke und sagt nichts. Aus seinen Erläuterungen lässt sich eigentlich nur eine Erkenntnis destillieren: «Wir müssen die Lage analysieren.» Das Spiel, die Saison haben die Berner verloren. Aber zu keinem Zeitpunkt den Stil und den Anstand.
Natürlich beeilen sich auch die gnädigen Herren ganz oben, der Präsident sowie der Manager und Mitbesitzer Marc Lüthi, dann auch am Tag nach dem sportlichen Untergang nicht mit einer etwas tiefergründigen Lagebeurteilung. Auf alle Anfragen bezüglich Zukunft von Trainer Johan Lundskog und der Strategie lässt Medienchef Christian Dick offiziell mitteilen: «Unser Präsident Beat Brechbühl und CEO Marc Lüthi werden zu Fragen Stellung beziehen, sobald die interne Analyse gemacht worden ist. Das wird sicher nächste Woche, könnte aber auch übernächste Woche werden.» Vielleicht wird es auch überübernächste Woche. «Nume nid gsprängt.»
Dumm nur: Eishockey ist das schnellste Mannschaftsspiel der Welt. Das Tempo ist auf und neben dem Eis recht hoch. Unter dem neuen Motto «Nume nid gsprängt» hat der SC Bern seit dem Titel von 2019 nacheinander die Ränge 9, 9 und 11 erreicht. Nie in der Geschichte ist ein Meister so schnell so tief gefallen.
Eine Dauerkrise voller Dramatik und Unterhaltung, reich an Episoden und Anekdoten, perfekt geeignet als Vorlage für den nächsten Berner Dialektfilm. Wie wäre es mit einer berndeutschen Fassung eines Klassikers aus dem Jahre 1955: «… denn Sie wissen nicht was sie tun»? («Sy wüsse nümme, was sy söuä machä»). In der Hauptrolle (als James Dean) unter der Regie von Albi Saner: Büne Huber. Auch er ein grosser SCB-Fan.
Nur Einem gehen die Worte scheinbar nie aus…2 Berichte innerhalb von 20 Std. Und keine Zeile über Ambri, daß aus den letzten 6 Spielen überragende 17 Punkte holte.