Am 24. Juni wird der Bundesrat entscheiden, wie es mit Grossveranstaltungen nach dem 31. August weiter geht. Diese bundesrätlichen Weisungen sind für den Fussball (zurzeit nur Geisterspiele) und das Eishockey (Meisterschaftsstart im September) existenziell.
Wie die Virus-Situation im September sein wird, weiss niemand. Eine Rückkehr zur völligen Normalität wird es wohl erst geben, wenn eine Impfung möglich ist. Es kann unter Umständen sein, dass es in den nächsten zwei Jahren noch keine Rückkehr zur Normalität gibt, wie wir sie einst gekannt haben.
Ein «Sportverbot» auf unbestimmte Zeit ist allerdings nicht machbar. Matthias Remund, der Direktor des Bundesamtes für Sport (BASPO) sagt über die zentrale Bedeutung des Sportes: «Erst wenn es wieder möglich ist, zu einem Fussball- oder zum Hockeymatch zu gehen, wenn es in einem Stadion wieder Zuschauer hat, kehrt auch das Gefühl für die Normalität zurück.»
Erst dann seien die Leute auch wieder bereit, Geld auszugeben. Oder noch einfacher: Brot und Spiele. Solange es nur Brot und keine Spiele gibt, so lange gibt es keine Normalität. Das wussten schon grössere Cäsaren als unsere Bundesräte und Bundesamt-Direktoren.
Primär geht es darum, eine Verbreitung (oder erneute Verbreitung) des Virus zu verhindern und zu erkennen, wo es im Falle eines Falles zu einer Ansteckung gekommen ist («Tracking»). Das bedeutet konkret: ein Veranstalter (Hockey- oder Fussballclub) muss wissen, wer ins Stadion kommt und wer sich wo aufhält. Das ist mit einem personalisierten Ticket (Ticket und Personalausweis müssen identisch sein) auf einen nummerierten Sitzplatz möglich.
Personalisierte Tickets waren bisher im Kampf gegen Gewalt in den Stadien ein Thema und eine Durchsetzung nicht überall möglich. Nun ändert die Lage. Liga-Boss Denis Vaucher räumt ein: «Technisch ist dies, wenn auch mit Zusatzaufwand, machbar.» Inzwischen erwägen mehrere Klubs – unter anderem auch der Zuschauerkrösus SC Bern – die Stadien auf Sitzplätze umzurüsten und auf Stehplätze zu verzichten.
Biels Manager Daniel Villard sagt, in einem multifunktionalen Stadion wie der Tissot-Arena sei diese Umrüstung «verhältnismässig einfach» zu machen. Auch in Langnau macht sich Geschäftsführer Peter Müller über diese Umrüstung Gedanken.
Wenn es nur noch Sitzplätze gibt, geht die Zuschauerkapazität logischerweise zurück. Aber alle Dauerkartenbesitzer haben dann nach wie vor Platz. Was darauf hinauslaufen wird, dass es keine Einzeltickets mehr an der Abendkasse gibt und der Matchbesuch nur noch mit Saisonabis möglich ist. Eishockey und Fussball-Spiele nur noch mit Saisonabis und Sitzplätzen – das ist inzwischen die wahrscheinlichste Version des Meisterschaftsbetriebes ab September bis zum Ende der Virus-Krise.
Können die Klubs überleben, wenn so die Zuschauerkapazitäten eingegrenzt werden? SCB-Manager Marc Lüthi – ein Mann, der rechnen kann – sagt unmissverständlich: «Nein.» Kurzfristig ist ein wirtschaftliches Überleben nur möglich, wenn es gelingt, die Ausgaben zu senken. Auch daher ist die Idee einer Gehaltsbegrenzung, wie sie im Hockey angestrebt wird, eine Notwendigkeit.
Inzwischen zeichnet sich ab, dass ein Grundsatzentscheid in dieser Sache bei der Liga-Versammlung im August möglich ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass BASPO-Direktor Matthias Remund eine Gehaltsobergrenze unter bestimmten Voraussetzungen für machbar hält.
Wenn die Unsicherheit über eine längere Zeit anhält, wird die Virus-Krise einen tiefgreifenden Wandel der Fussball- und Hockeykultur provozieren. Wenn nur noch Sitzplätze möglich sind, wenn die Stadien tatsächlich auf Sitzplätze und personalisierte Tickets umgerüstet werden (und danach sieht es zurzeit aus) müssen die Preise angehoben werden.
Und ist diese Umrüstung erst einmal vollzogen, dann kann nicht ausgeschlossen werden, dass daraus eine Dauerlösung wird und die «Stehplatz-Folklore» der Vergangenheit angehört. Das würde zur Lösung der Sicherheitsprobleme beitragen und zugleich zu einer soziologischen Veränderung des Publikums führen: Der Matchbesuch im Hockey und im Fussball würde erheblich teurer und die Zusammensetzung des Publikums eine andere.
Der Staat macht nicht nur Auflagen. Er hilft den Klubs, durch die Krise zu kommen. Auch das Parlament hat ein Gesamtpaket in der Höhe von je 100 Millionen für die Jahre 2020 und 2021 für den bezahlten Fussball und von je 75 Millionen für das bezahlte Hockey bewilligt.
In einer ersten Phase haben bis heute lediglich insgesamt sechs Klubs aus dem Fussball und dem Hockey plus ein Grossveranstalter 15,5 Millionen aus dem ersten Kredittopf von 50 Millionen beantragt. In dieser ersten Phase ging es allerdings «nur» um Soforthilfe für die Monate März und April.
Weiteres Geld für das zweite Paket gibt es nur noch als Darlehen für die Ligen, damit sie ihre Klubs unterstützen können. Diese Gelder sind mit Auflagen verbunden. Dazu gehört, dass der Fussball- bzw. der Hockeyverband für die Kredite haften. Die Löhne/Prämien aller Klubs, die vom Darlehen profitieren, dürfen drei Jahre lang nicht erhöht werden und müssen nach drei Jahren um 20 Prozent gesenkt werden.
Das bedeutet konkret, dass der Konkurs von zwei oder drei Klubs aufgrund der Solidarhaftung eine gesamte Liga in den Abgrund reissen kann. Diese Kredite können erst beantragt werden, wenn der Fussball- und der Hockeyverband einen entsprechenden Vertrag mit dem BASPO unterzeichnet haben. Diese Verträge liegen zurzeit als Absichtserklärung vor, müssen noch im Detail ausgearbeitet und schliesslich von den zuständigen Gremien (Verband, Liga bzw. Klubs) im Fussball und im Hockey genehmigt werden.
Aber bereits zeichnet sich erheblicher Widerstand ab. Weil die Bedingungen so restriktiv sind. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit erklären prominente Vertreter aus Fussball und Hockey, dass man diesen «faustischen Pakt» mit dem Staat unter Umständen gar nicht eingehen will.
Matthias Remund sagt, diese Auflagen müssten aber sein. «Anders ist der Einsatz von Steuergeldern nicht zu verantworten.» Und er betont: «Es handelt sich um Kredite, um den Spielbetrieb sicherzustellen und nicht, um Klubs zu sanieren und wir müssen sicherstellen, dass diese Kredite zurückbezahlt werden.»
Wo er recht hat, da hat er recht: Wie soll es möglich sein, Kredite in einem Geschäft zurückzuzahlen, in dem die meisten Klubs auch in Boom-Zeiten rote Zahlen schreiben und im Dorf die Kirchenglocken läuten, wenn es ausnahmsweise mal keinen Verlust gibt und die meisten Manager Defizitverwalter von Mäzen sind? Zum ersten Mal sehen sich die Klubmanager mit der Wirklichkeit konfrontiert, die im richtigen Leben für alle gilt: nur so viel Geld ausgeben, wie eingenommen wird.
Das BASPO-Hilfspaket ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein politisches Meisterstück. Einerseits hat eine staatliche Administration in fast atemberaubender Schnelligkeit dieses Hilfspaket geschnürt und andererseits auf höchst raffinierte Art und Weise abgesichert. BASPO-Direktor Matthias Remund ist an der Schnittstelle zwischen Profi- und Amateursport, zwischen Politik und Sportkapitalismus, zwischen Geld und Geist, zwischen so unterschiedlichen Interessen wie Yoga-Kurse und Töffrennen, so etwas wie der «Charles-Maurice Talleyrand des Sportes».
Der Franzose bewährte sich einst als Bischof, als Abgesandter der kirchenkritischen Revolutionsregierung, die den König gestürzt hatte, als Kaiser Napoléons Aussenminister, als Konkursverwalter des Kaiserreiches und schliesslich als Minister der wiedererrichteten Monarchie.
Die Hockey- und Fussballklubs können zudem, wie andere Firmen auch, die Personalkosten über die Kurzarbeitsregelung laufen lassen. Für diese Unterstützung ist nicht das BASPO sondern die Arbeitsmarktbehörde (SECO) zuständig und die Grundlage bildet das Arbeitslosenversicherungsgesetz.
Noch gibt es keinen offiziellen Entscheid. Aber inoffiziell ist klar: sobald der Trainings- und Spielbetrieb aufgenommen wird, gibt es kein Geld mehr aus der Arbeitslosenkasse. Ein entsprechendes Gesuch aus dem Fussball wird nicht bewilligt werden.
Es wird in den Stadien und in den Büros der Hockey- und Fussballmanager nach der Krise nicht mehr so sein wie vor der Krise.
Wer die Abschaffung von Stehplätzen befürwortet, liebt weder das Eishockey noch den Fussball.