Olten demoliert Basel am Dienstag im 6. Halbfinal 7:0 und erzwingt ein 7. Spiel. Torhüter Fabio Haller kann gerade mal 80 Prozent der Pucks stoppen. Am Freitag hält, stoppt, blockiert Fabio Haller alle Pucks. Basel gewinnt 2:0 und zieht in den Final gegen Visp ein.
Wie ist das möglich? Natürlich gibt es einige hockeytechnische Erklärungen. Erst recht im Zeitalter so vieler nützlicher und noch viel mehr überflüssiger Statistiken. Beginnen wir mit etwas Statistik und Taktik und wer das zu trocken findet, kann ja diesen Abschnitt überspringen.
Basel hat in den 6 ersten Spielen nie geführt. Die drei Spiele haben die Basler in der Verlängerung gewonnen. Erst im 7. Spiel gelingt erstmals eine Führung – und sie hält bis zum Schluss. Olten verliert bereits im ersten Spiel seinen Topskorer Guillaume Asselin nach einer rüden Attacke von Matthias Rossi. Den Halbfinal entscheidet der überragende ausländische Stürmer der Basler: Der Kanadier Jakob Stukel holt die Strafe heraus, die Basel zum 1:0 nützt und erzielt das 2:0 im Powerplay.
Aber dieser Halbfinal war hockeytechnisch mehr oder weniger ausgeglichen. Beide Coaches haben ein Maximum herausgeholt. Es gibt keinen Versager, nicht auf und nicht neben dem Eis, den wir als Sündenbock hinstellen könnten. Es ist eine Playoffserie, die so aufregend und dramatisch war, weil Psychologie, Aberglauben und Magie eben auch eine Rolle gespielt haben. In keinem anderen Sport beeinflussen diese mystischen Vorgänge das Resultat so sehr wie in diesem unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage.
Psychologie: Basel verliert in Olten 0:7. Die Partie ist eigentlich schon mit dem 2:0 nach fünf Minuten entschieden. Zwei Schüsse, zwei Treffer. Und nun fällt auf, wie sehr sich die Spieler um Fabio Haller kümmern, wie sie ihn bei jeder Gelegenheit aufmuntern ihn nach der Partie auf dem Eis schon fast rührend trösten. Nach dem Motto: Komm, Kopf hoch, kein Problem, das packen wir nun am Freitag. Fabio Haller ist seit 2019 in Basel. Aufstiegsheld von 2022 und nun Halbfinalheld von 2025. Ein Zürcher mit Kultstatus in Basel. Er hat den erkrankten Andri Henauer in Spiel 6 (80 Prozent Fangquote) und Spiel 7 (100 Prozent Fangquote) ersetzt.
Oltens Trainer Christian Wohlwend kann sich aus der «Falle» des 7:0 nicht mehr befreien. Was soll er denn sagen, ändern oder justieren? Nach einem 7:0? Niemand würde Änderungen verstehen und keiner ihm richtig zuhören. Auf der Gegenseite kann Kevin Schläpfer, der Magier der Dramen, der mit Biel zweimal Spiel 7 in der Liga-Qualifikation gegen Lausanne gewonnen hat, auf Feld 1 zurückkehren. Die Reihen schliessen. Die defensive Wagenburg installieren. Die Mannschaft wird in Spiel 7 eine ganz andere sein.
Aber heisst denn der Trainer nicht Eric Himelfarb? Ja natürlich. Aber jetzt, in dieser kritischsten aller kritischen Situationen spielt die Magie von Kevin Schläpfer eben doch eine entscheidende Rolle.
Magie: Alles beginnt schon am Vortag. Am Donnerstag im Rahmen der Fasnacht in seinem Wohnort Sissach. Das Ende der dörflichen Fasnacht, immer am Donnerstag nach der Basler Fasnacht, wird mit dem Verbrennen des Chluri begangen.
Das Chluri ist eine über sechs Meter hohe Puppe, die eine prominenten Dorfpersönlichkeit parodiert. Das Chluri, das aus rund 18 Kubikmetern Holz, viel Stoff und Farbe besteht, wird während seiner Fahrt zum Verbrennungsplatz von den trauernden Fasnächtlern in weissen Leintüchern musizierend und heulend begleitet.
Und wer ist am Donnerstag das Chluri? Für einmal nicht eine Politikerin oder ein Politiker. Es ist Kevin Schläpfer. Auch wer völlig auf Taktik und Statistik fixiert ist, kann sich dieser Magie des Chluri nicht entziehen: Einen Sportchef, dessen «Götzenbild» (das Chluri) im Rahmen eines heidnischen Brauches (Fasnacht) im Dorf erst gerühmt und dann verbrannt wird, können die Hockeygötter nicht mehr ignorieren. Sie verneigen sich vielmehr so tief wie es vermögen.
Kevin Schläpfer hatte die Niederlage im 6. Spiel in Olten demonstrativ locker hingenommen. Er sitzt in der obersten Reihe und plaudert mit den Oltner Fans, die ihm freundlich gesinnt sind. Keine Spur von Nervosität oder Niedergeschlagenheit. Schon fast beängstigend cool. Nur etwas ist anders: Bei jedem Spiel hat er ein Blatt mit den Spielernamen vor sich. Für jede gelungene Aktion und bei jedem Fehler macht er ein Kreuzlein beim betreffenden Namen in der entsprechenden Kolonne. So hat er griffige Argumente bei den Besprechungen. Beim 7:0 in Olten füllt er das Blatt schon nach dem 3:0 nicht mehr aus. «Es machte keinen Sinn mehr. Wir waren ja alle miserabel …»
Am Freitag vor dem Spiel ist er dafür umso emotionaler und versteht es geschickt, allen den kalten Nordwind der Depression aus den Segeln zu nehmen. Noch eine Stunde vor dem Spiel empfängt er seine Freunde und Familienangehörigen. Die ganze «Sissacher-Hockey-Mafia» ist angereist. Sogar Spielplan-General Willi Vögtlin, ehemaliger SCB-Manager und in der Wolle gefärbter Hockey-Berner, verzichtet auf die Partie SCB gegen Gottéron und ist nach Basel geeilt um im Geiste Kevin Schläpfer beizustehen.
Kevin Schläpfer füllt mit seiner Energie, seinem Optimismus den Empfangsraum im Bauch des Stadions. Er rockt. Und so wird seine Wirkung auch bei seinem Kurzbesuch vor dem Spiel in der Kabine gewesen sein. «In die Kabine ging ich ja eigentlich nicht. Ich war einfach kurz präsent, um uns gegenseitig zu pushen …»
Kevin Schläpfer in Basel: Das ist irgendwie so wie Marc Lüthi als General Manager beim EHC Oberlangenegg oder Roger Schawinski als Nachrichtensprecher beim Schlagersender Radio Melody.
Die Einheimischen pflegen in Basel den charmanten Brauch, für alles und jedes in ihrer Stadt die Verkleinerungsform zu wählen: Das Tram ist beispielsweise ein Trämli oder gar Drämmli und in einer der reichsten Gegenden der Welt ein Rappen ein «Räppli». Dahinter verbirgt sich die tief verwurzelte Arroganz, dass in Basel sowieso alles viel grösser, reicher und besser ist als anderorts.
Nur in einer einzigen Beziehung wäre die Verkleinerungsform echt und ehrlich: Beim EHC Basel. Der Klub ist im Selbstverständnis der Basler Sportkultur bloss ein «Clübli», das Stadion ein «Stadiönli», der Puck wohl ein «Pöggli», der Stock ein «Stäggli», ein Tor ein «Göli», die Playoffs die «Playöfflis» und der Schläpfer das «Schläpferli». Gross ist hier nur der Fussball und einmal im Jahr Tennis.
Das macht Hockey in Basel so charmant und sympathisch: In einem hochmodernen Stadion geht es rund ums Hockey so beschaulich, freundlich und bescheiden zu und her wie in Huttwil hinten oder Oberlangenegg oben. Es mag sein, dass in Hockey-Basel mal Leichtsinn aufkommt. Aber sicher nicht Selbstüberschätzung oder gar Arroganz. Und genau diese Beschaulichkeit ist es, die den Baslern die Energie gibt, um ein grosses Olten in Spiel 7 zu bodigen.
Am Ende dieser Halbfinalserie folgt ein Hühnerhaut-Schauspiel, das es so in Schweizer Stadien wahrscheinlich noch nie gegeben hat. Wer noch nicht gewusst hat, warum Olten als manisch-depressive Hockeystadt gilt, weiss es nun.
Die Fans sind in acht Bussen nach Basel gereist. Viele werden auch noch mit der Benzinkutsche oder mit der Eisenbahn gekommen sein. Es sind die Oltner, die dafür sorgen, dass zum ersten Mal seit Menschengedenken in Basel mehr als 5000 Männer, Frauen und Kinder zu einem Hockeyspiel geeilt sind. Olten hat ein Heimspiel. Akustisch und optisch dominiert der Oltner Fansektor die Stimmung. Und nun sind die Oltner besiegt. Drei Tage nach der Euphorie des 7:0 nun die tiefe Melancholie.
Aber die Saison endet in Olten seit mehr als 30 Jahren in Melancholie. So wie die Armen ohne Orchester tanzen, so haben die Oltner ohne Siege feiern gelernt. Die tragischen Helden werden in Sprechhören gefeiert. Immer wieder brandet «Super Oute, Super Oute» durch die Arena. So wäre es wohl, wenn die Oltner auswärts den Wiederaufstieg feiern könnten.
Das Stadion ist schon fast leer. Im Basler Fansektor bestaunen nur noch einige Unentwegte die «Oltner Schlussfeier» wie ein seltenes Naturschauspiel, das sie irgendwie nicht erklären können. Sie wirken verloren und ein wenig ratlos wie Zugvögel, die den Abflug nach Süden verpasst haben.
Dabei sind sie doch gerade in den Final gegen Visp eingezogen. Und der neutrale Beobachter denkt: Was könnte Kevin Schläpfer und seine «Chluri-Magie» zusammen mit Christian Wohlwend wohl in einer so verrückten Hockey-Stadt wie Olten bewirken?