Basels tüchtiger Geschäftsführer Olivier Schäublin beschwört noch während des dritten Spiels oben auf der Tribüne die Statistik. Auch er hat auf dem Hosentelefon das nutzloseste Statistikportal in der Geschichte unseres Sportes hochgeladen: Die «Advanced Statistics», kreiert von Andreas Hänni, einem der smartesten Hockey-Unternehmer im Land. Der einstige Kultverteidiger (Ambri, Lugano, Bern), mit dem gleichnamigen Sänger Luca Hänni nicht verwandt, verkauft den Klubs Zahlen, die sie nicht brauchen. Oder besser: die nichts nützen und den Sportchefs und Trainern lediglich dazu dienen, Ausreden statistisch zu unterlegen. In der Swiss League koste dieser «Zahlensalat» etwas mehr als 15'000 Franken pro Saison.
Olivier Schäublin sagt also fast beschwörend: «Die beiden ersten Spiele hätten wir einfach gewinnen müssen.» Schaltet eine farbige, fast ganz rot gefärbte Statistik auf und erläutert, statistisch habe Basel in den beiden ersten Spielen eine Siegeschance von über 95 Prozent gehabt. Über 95 Prozent! Und dann noch die zahlreichen Stangenschüsse! Basel hat das erste Viertelfinalspiel gegen Visp 1:2 und das zweite 3:4 verloren. Nach einer 3:0-Führung. Und nun trotz Mut, Tapferkeit und Leidenschaft am späten Sonntagnachmittag auf eigenem Eis auch die dritte Partie (2:3).
Basel ist statistisch in diesem Viertelfinal himmelhoher Favorit. Die Klassierungen nach der Qualifikation:
2. Basel – 92 Punkte, 178:111 Tore
7. Visp – 61 Punkte, 103:113 Tore
Basel hat alle drei Viertelfinal-Partien dominiert: 40:16 Torschüsse im ersten, 34:25 im zweiten und 45:33 im dritten Spiel. Aber alle drei Spiele verloren. Visp fehlt noch ein Sieg für den Halbfinal.
Wie kann das sein? Die Antwort ist einfach. Sie besteht aus einem Namen: Heinz Ehlers.
Basel hat ein «Ehlers-Trauma». Das dramatische sonntägliche 2:3 ist bereits die elfte Playoff-Niederlage in Serie gegen ein von Heinz Ehlers gecoachtes Team.
Die Resultate aneinandergereiht: 1:2, 1:4, 1:2 und 2:3 in der Liga-Qualifikation gegen Biel, 0:6, 2:5, 1:2 und 2:3 n. V. gegen Langenthal und jetzt 1:2, 3:4 und 2:3 gegen Visp. Wahrlich, Basel hat ein «Ehlers-Trauma».
Das kann kein Zufall sein. Die Magie von Heinz Ehlers wirkt bei Visp doppelt. Sein Name ist so gross, dass in Visp auch in der tiefsten Krise nie die leisesten Zweifel aufgekommen sind. Visp hat die Playoff-Qualifikation mit der teuersten Mannschaft der Liga (Budget gut 5,5 Millionen, doppelt so hoch wie das von Basel) erst im allerletzten Qualifikationsspiel gesichert. Jeder andere Trainer wäre mit ziemlicher Sicherheit gefeuert worden. Und nun geht seine taktische Saat in den Playoffs auf.
Heinz Ehlers versteht es, geduldig eine Mannschaft so zu organisieren, dass sie dazu in der Lage ist, ein Spiel selbst gegen einen nominell besseren Gegner zu «managen», zu kontrollieren – und auch bei optischer Unterlegenheit nie passiv zu werden, sondern immer auf den Zehenspitzen zu stehen und jede Gelegenheit zum Konter, zum offensiven Nadelstich zu nützen. So hat er unter anderem Biel in die höchste Liga zurückgeführt, Langenthal zum Meistertitel und Langnau in die Playoffs gecoacht.
Basel hat also ein Ehlers-Trauma. Aber der Vater von NHL-Star Nikolaj Ehlers ist viel zu schlau, um auf dieses Thema einzugehen. «Sie wissen ganz genau, wie sehr ich Basel respektiere und wie knapp diese Spiele waren. Wir hätten auch dreimal verlieren können. Auf Fragen nach einem Ehlers-Trauma mag ich gar nicht antworten.»
Visp und Olten sind die beiden einzigen Teams, die aufsteigen dürfen. Gewinnen Visp oder Olten die Meisterschaft der Swiss League nicht, dann entfällt die Liga-Qualifikation und es gibt keinen Auf- oder Absteiger. Weder Visp noch Olten haben bisher so gespielt wie ein möglicher Aufsteiger. Die «Miserablen» der National League (Ajoie, Kloten) wähnen sich in Sicherheit.
Es könnte eine trügerische Sicherheit sein. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass Visp den Final gegen Olten bestreiten wird. Heinz Ehlers sagt zwar: «Ich habe in der Schweiz noch nie so gutes Eishockey gesehen wie diese Saison in der National League. Es ist unglaublich gutes Eishockey.» Er mag die Frage, ob Visp denn in einer Liga-Qualifikation überhaupt eine Chance hätte, nicht erörtern. «Wir haben noch nicht einmal den Viertelfinal gewonnen. Es wäre unglaublich arrogant, auch nur an eine Liga-Qualifikation zu denken.»
Und doch kann diese Frage auf einmal hochaktuell werden. Visps Offensive ist zwar ein lauwarmes Lüftchen und mit 103 Treffern die zweitschwächste der Swiss League. Aber Visp hat nur 113 Tore kassiert. Die drittbeste Verteidigung der Liga. Visp könnte defensiv dem verunsicherten Verlierer der NL-Playouts standhalten. Erst recht, wenn es sich um den krisengeschüttelten EHC Kloten handeln sollte. Visp wäre mit dem Beistand der Hockey-Götter in einer Liga-Qualifikation dazu in der Lage, das Tempo aus dem Spiel zu nehmen und den Gegner zu frustrieren.
Noch ist es nicht so weit. Visp hat, wie Heinz Ehlers zu bedenken gibt, ja noch nicht einmal den Viertelfinal gewonnen. Bis in die Liga-Qualifikation fehlen nach wie vor neun Siege. In den Playoffs eine Weltreise.
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts prägte der Franzose Adolphe Thiers die noch heute gültige Regel für gute Politik und gute Geschäftsführung: «Gouverner c'est prévoir. Ne rien prévoir, ce n’est pas gouverner, c’est courir à sa perte.» («Regieren heisst vorausschauen, nicht zu planen bedeutet nicht zu regieren, sondern in den Ruin zu rennen.») Eigentlich müssten Ajoies und Klotens Sportchefs vor Ort schon jetzt aufmerksam die Spiele von Visp und Olten studieren und analysieren, und in Kloten wäre Trainer Stefan Mair wahrscheinlich sogar froh, Sportchef Larry Mitchell nicht immer im Stadion zu haben.
Kein Auf- und Absteiger? Es gibt noch eine weitere welsche Lebens- und Sportweisheit: «On n'est jamais au bout des surprises.»
Nur im Schweizer-Eishockey mit dem Verbandsfilz scheint Planungssicherheit höher gewertet zu werden als Sportgeist und Transparenz.