Karaoke. Die Japaner haben es erfunden. Zu Instrumental-Playback bekannter Musikstücke wird live ins Mikrofon gesungen.
Heute tritt der Meister schon wieder gegen die ZSC Lions an. Diesmal in Bern. Bis zum Derby gegen Langnau, der Mutter aller Herausforderungen am 17. Februar, hat sich der SCB in Fribourg noch ein weiteres Mal gegen die ZSC Lions und zweimal gegen Davos zu bewähren.
Auf den ersten Blick scheint es fast aussichtslos, bei diesem Programm den schmählichen letzten Platz loszuwerden. Bei einem zweiten Blick zeigt sich: Es ist durchaus möglich.
Spiele gegen gut organisierte und strukturierte, berechenbare und etwas nachlässige Spitzenteams sind für den SCB wie Karaoke: es ist möglich, nach dem «taktischen Playback» des Gegners zu spielen. Die Berner können sich am System des gegnerischen Teams orientieren. Und schon ist auch das eigene, sonst so wirre und unkoordinierte Spiel wieder viel geordneter.
Es ist so, wie wenn ein schlecht dirigierter Chor mit vielen talentierten Sängern den Ton annimmt, den Dirigenten ignoriert und einfach eine Melodie nachsingt.
Die Partie gegen die ZSC Lions ist für die «Karaoke-Kur» ein gutes Beispiel. Der zweite Sieg in den letzten elf Partien hat durchaus seine Logik. Nach wie vor hat der Meister genug Talent, um mit den Titanen zu tanzen, das Tempo eines Spitzenteams auszuhalten. Die Berner hatten sogar mehr Abschlussversuche (26:23) als die Zürcher.
Spiele gegen emotional «aufgeputschte», hoch motivierte, unberechenbare, mutige Aussenseiter wie zuletzt gegen die Lakers (am Dienstag 2:5) oder bissige «Desperados» wie die SCL Tigers (diese Saison beide Spiele verloren) sind viel schwieriger. Dann muss der SCB selbst eine taktische Linie finden. Und der Gegner kämpft mit Biss und Leidenschaft um jeden Puck. Das ist etwas anderes als ein Team aus der Spitzengruppe, für das ein paar verlorene Punkte im Februar eine lässliche Sünde sind.
Diese Saison muss sich der SCB mit «Karaoke-Hockey» begnügen und versuchen, die gegnerischen taktischen Melodien nachzusingen. Erst nächste Saison können unter neuer Leitung wieder nach und nach eigene Stücke einstudiert werden.
Der neue schwedische Trainer Johan Lundskog ist erst 36. Seit Einführung der Playoffs (1986) war beim Amtsantritt vor der Saison in Bern nur Bill Gillian jünger. Der Amerikaner war 34.
Ist Johan Lundskog mit 36 zu jung für einen der schwierigsten Trainerjobs in Europa? Zu wenig erfahren, um Spieler mit so viel meisterlichem Ruhm zu führen? Nein. Denn sein alter Chef in Davos wird auch sein neuer Chef in Bern sein.
Raëto Raffainer (39) hat Johan Lundskog im Sommer 2019 als Assistenten für Christian Wohlwend nach Davos geholt. Nun wird der Schwede nächste Saison in Bern «sein» Cheftrainer sein.
Der Welttrainer Kari Jalonen hat sein Ding in Bern durchgezogen und es kümmerte ihn wenig, wer unter ihm Sportchef war. Es störte ihn nicht, dass in der Sportabteilung niemand war, mit dem er sich auf Augenhöhe unterhalten konnte.
Aber Johan Lundskog braucht bei seinem ersten Job als Cheftrainer den Rückhalt der sportlichen Chefetage und einen kompetenten Vorgesetzten, mit dem er sich austauschen kann. Und den wird er mit Raëto Raffainer haben. Mit der alten sportlichen SCB-Führung wäre er hingegen chancenlos gewesen.
Anders als beim Operetten-Trainer Don Nachbaur steht die fachliche Qualifikation bei Johan Lundskog nicht zur Debatte.
Die entscheidende Frage wird sein: Kann er seine Hockey-Philosophie den Verhältnissen und Voraussetzungen in Bern anpassen? Nächste Saison hat der SCB noch nicht die Spieler für modernes «totales» Lauf- und Energiehockey. In der taktischen DNA steckt nach wie vor viel von Kari Jalonens Schablonen-Spiel. Der SCB befindet sich auch taktisch im Umbruch.
Worauf sich Johan Lundskog freuen kann: Anders als es der Tabellenplatz vermuten liesse, sind Leistungsbereitschaft und Motivation der Spieler seit der Entlassung von Don Nachbaur hoch. Auch gestern «lebte» die Spielerbank im Hallenstadion. Selten galt für eine Mannschaft der bitterböse Spruch «Löwen, geführt von Eseln» so sehr wie für den SCB der letzten fünf Monate.