Eigentlich ist alles vorbei. Der SCB braucht nur noch einen Sieg zum Titel. Aber es ist eine Ausgangslage, die es so in unserer Playoffgeschichte seit den Zeiten von Slawa Bykow und Andrej Chomutow nicht mehr gegeben hat.
Nicht der EV Zug, die optisch bessere Mannschaft, steht vor dem finalen Triumph. Sondern der SC Bern, das «feldmässig» statistisch über lange Phasen unterlegenen Team. In allen vier Finalpartien hatten die Zuger mehr Torschüsse. Zusammengerechnet sind es bisher 126:85.
Zuletzt hatten wir eine ähnliche Ausgangslage im Frühjahr 1992. Als Gottéron unter der Regie der Weltklassestürmer Slawa Bykow und Andrej Chomutow über den SCB hinwegbrauste und doch das Finale verlor. Weil Renato Tosio der bessere Torhüter war als Gottérons Dino Stecher.
Zurück zur Gegenwart: Was damals Slawa Bykow und Andrej Chomutow, sind in diesem Finale Zugs Garrett Roe und Lino Martschini. Die beiden führen nach wie vor die aktuelle Playoff-Skorerliste an. Vor allen Bernern. Und was damals Renato Tosio und Dino Stecher waren, sind nun Leonardo Genoni und Tobias Stephan.
Zug hatte bisher nicht nur – bis auf die Startphase der dritten Partie – eine «feldmässige» Überlegenheit. Die Zuger haben nach wie vor bei weitem genug Energie, um den SCB niederzuringen. Wenn es gelingt, die Serie mit einem Sieg zu verlängern, dann arbeitet die Zeit für Zug. Wir können mit dem Poeten Friedrich Hölderlin sagen: «Oh Hoffnung, holde, gütige, geschäftige, die du die Kabine der Verlierer nicht verschmähst.»
Diese Hoffnung lebt. Es sind nicht einfach die üblichen Sprüche, wenn Zugs Trainer Dan Tangnes sagt: «Ich versichere Ihnen: Niemand in dieser Kabine gibt auf.» Diese Hoffnung gründet nicht nur auf die optische Überlegenheit und die vollen Energietanks. Es ist noch etwas anderes: der Glaube, dass die Hockeygötter auch einmal den Zugern gnädig sind. «Wenn wir uns nicht beirren lassen, dann werden wir für unsere Arbeit belohnt.»
Was für die Zuger spricht: Sie haben nach dem Spiel zu keinem Zeitpunkt über das annullierte 1:1 lamentiert. Ein regeltechnisch korrekter, aber sehr strenger, spitzfindiger Entscheid. Es wäre auch im Ermessen der Schiedsrichter gewesen, das Tor zugeben.
Nur Verlierer jammern über die Schiedsrichter. Zumindest der Trainer und die Spieler sind in Zug nicht in diese Ausreden- und Verschwörungsfalle getappt. Sie konzentrieren sich auf ihre eigenen Qualitäten. Sie sind gut genug für eine Wende.
Es sind die ersten harten Knospen eine Siegermentalität, die beim SCB seit Jahren in voller Blüte steht.
Wie entsteht eine Siegermentalität? Sie wächst über die Jahre. Sie besteht aus einer grossen Anzahl kleiner Gewohnheiten und Automatismen auf und neben dem Eis. Wenn eine Mannschaft diese Gewohnheiten einmal hat, wird sie die fast nicht mehr los. Dann entsteht von aussen der Eindruck einer Arroganz, die am Ende zum Ziel führt.
Ein wichtiges Element ist die Gewohnheit, sich nicht von äusseren Umständen wie der Schiedsrichterleistung aus dem Konzept bringen zu lassen, diese Einflüsse zu ignorieren. Cool und unerbittlich weiter zu spielen, auch wenn sich die Hockeygötter gegen die eigene Mannschaft verschworen haben.
Und schliesslich und endlich geht es um die Torhüter. Ihre Rolle für die mentale Verfassung einer Mannschaft lässt sich auf eine populistische Art und Weise ganz gut erklären.
Das Ritual der Matchvorbereitung in der Kabine spielt eine zentrale Rolle. Wenn die rauen Kerle ihre modischen Kleider an den Nagel hängen und in die ritterartigen Ausrüstungen steigen, wird die Spannung aufgebaut, die zu einer Siegermentalität» gehört.
Wenn sich die harten Männer in Bern in der Kabine für die «Schlacht» rüsten, dann sehen sie den in Gedanken und Konzentration versunkenen Leonardo Genoni und wissen: «Mag kommen, was will – der Leo rettet uns schon.» Und sie werden alle ein bisschen selbstsicherer, kaltblütiger und ein bisschen grösser, schwerer und schneller.
Das gleiche Szenario geht auf der Gegenseite so: Wenn sich die harten Männer in Zug in der Kabine für die «Schlacht» rüsten, dann sehen sie den in Gedanken und Konzentration versunkenen Tobias Stephan und denken: «Ach, er ist ein so lieber Kerl und ein so guter Goalie. Aber er wird halt wohl wieder einen rein lassen.» Und sie werden alle ein bisschen weniger selbstsicher, weniger kaltblütig und ein bisschen kleiner, leichter und langsamer.
Klingt polemisch. Aber es kommt der Wahrheit am nächsten. Tobias Stephan bleibt noch exakt das Spiel von heute Abend um zu verhindern, dass seine Kritiker wieder einmal recht bekommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Zug heute in Bern gewinnt.
Mir macht die Berner Abgeklärtheit und Cleverness etwas Sorgen. Obwohl sie "optisch unterlegen" waren, haben die das sehr smart gemacht bis jetzt.
Mal schauen. Ich hoffe, wir dürfen uns noch 3 weitere geile Playoff-Final-Spiele geniessen :) Wäre schade, wenns heute schon zu Ende wär.