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Eishockeyspieler kommen aus dem Bernbiet, dem Emmental, dem Oberaargau, dem Mittelland, dem Züribiet, aus dem Zugerland, aus den Bündner Bergen, aus dem Wallis, dem Jura oder dem übrigen Welschland. Aber aus der Ostschweiz? Eher nicht. Oder doch?
Es gehört zu den Kuriositäten unserer Sportkultur, dass es in den Kantonen St.Gallen, Thurgau und in den beiden Appenzell, noch nie ein grosses Hockeyteam gegeben hat.
Natürlich, Rapperswil-Jona liegt im Kanton St.Gallen. Aber hockeykulturell gehört «Rappi» halt zum Hockey-Grossraum Zürich.
Ja sicher, Herisau war einmal in der NLA und hätten die Appenzeller damals im Frühjahr 1997 im Aufstiegskampf GC nicht besiegt, wäre es wohl nie zur Gründung der ZSC Lions gekommen. Aber diese eine NLA-Saison (1997/98) war eher eine Episode als eine Ära des Ruhmes. Sie endete im finanziellen und sportlichen Ruin.
Kurios ist das alles deshalb, weil so viele grosse Spieler, ja ganze Hockey-Dynastien aus der Ostschweiz kommen. Matthias Seger, der Leuenberger-Clan, Michel Zeiter, René Stüssi, Jörg Eberle, Giovanni «Goal» Conte, Thomas Nüssli, Kevin Fiala oder der NHL-Titan Jonas Hiller – und dies ist nur eine unvollständige Aufzählung. Vergessen wir auch nicht Rheintaler wie Ivo Rüthemann und Ramon Untersander. Felix Burgener war lange vor Christian Constantin Trainer und Präsident. Mit Hans-Rudolf Merz hat gar ein Bundesrat seine Wurzeln im Appenzeller Hockey.
Es sind letztlich heimatlose Hockey-Helden. Ohne Heimat, ohne «Homebase» in einem grossen Hockeyunternehmen, das auch nach einer Karriere Jobs für seine Stars hat.
Und nun erobert in diesen Tagen Fabrice Herzog (22) aus Frauenfeld in Paris die grosse Hockey-Welt. Auch er ist früh aus der Ostschweiz ausgezogen um anderorts Karriere zu machen. Er sagt: «Zürich, Kloten oder Zug sind schnell erreichbar und nur dort gibt es Elite-Juniorenteams.»
Tatsächlich muss ein junger Spieler aus der Ostschweiz, wenn er eine Hockeykarriere machen will, früh in eine der Hockey-Abteilungen der Grossklubs zügeln. Auch Uzwil hat keine Elite-Junioren mehr. Vielleicht ist das ja auch gut so: Früh müssen sich die Ostschweizer in einer neuen Umgebung behaupten.
Auch Fabrice Herzog hatte es noch nie leicht. Diese Saison gewährten ihm die Trainer bei den ZSC Lions keine zentrale Rolle. Meistens stürmte er in der dritten Formation neben Reto Schäppi und Ronalds Kenins. In dieser «Traktoren-Linie» war er ein verlorener Künstler unter Handwerkern. Wie wenn einer wie Giovanni Segantini Wände streichen sollte. 11 Tore und 12 Assists aus 50 Spielen sind für einen Spieler mit seinem Potenzial eigentlich viel zu wenig.
Es gehört zu seiner noch jungen Karriere, dass er unterschätzt wird. Auch von Zugs Sportchef Reto Kläy. Zu spät erkannte er das enorme Potenzial dieses Stürmers, der doch bei Zugs Elitejunioren den letzten Schliff für die NLA bekommen hatte. Fabrice Herzog wechselte im Sommer 2015 zu den ZSC Lions. Als Reto Kläy das Interesse der Zürcher endlich erkannte, waren die Verhandlungen schon zu weit fortgeschritten. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Fabrice Herzog hat auch diese WM als offensive «Randfigur» begonnen. Kaum jemand interessierte sich während den ersten Tagen dieser WM für ihn. Inzwischen muss Verbands-Mediengeneral Janos Kick die Berichterstatterinnen und Berichterstatter zu einem «Scrum» formieren. Weil sich so viele mit Fabrice Herzog unterhalten wollten. «Scrum» heisst Gedränge.
Vielleicht hätte es der Frauenfelder ein bisschen leichter, wenn er ein charismatischer, fordernder, lauter, egoistischer Typ wäre. Wie es typische Skorer oft sind. Aber er ist freundlich, bescheiden, leise in der Art und stark in der Tat. Dem jungen Familienvater – er ist mit der Schwester des ehemaligen Zuger-Elitejunioren-Goalies Gianluca Hauser verheiratet und Vater einer 15 Monate alten Tochter – käme es nicht in den Sinn, sich über seine Situation zu beklagen. Die Leistung soll zählen und sonst nichts.
Das mag der langsamere, der mühsamere Weg nach ganz oben sein. Aber am Ende des Tages wird er so weiterkommen. So wie bei dieser WM. Er hat geduldig auf seine Chance gewartet und sie dann genützt.
Die drei Treffer (zwei gegen Kanada, einer gegen Finnland) waren nicht einfach Tore als Produkt von schierer Wucht und Kraft und offensiver Gewalt oder eines abprallenden Pucks, der ihm vor die Schlittschuhe fiel. Es waren Kunstwerke in der Entstehung und Vollendung. Kunstschüsse. Selbst René Fasel, als Vorsitzender des Internationalen Verbandes (IIHF) zur Neutralität verpflichtet, ist begeistert. «Einfach unglaublich, wie er diese Tore gegen Kanada gemacht hat.»
ICYMI: It was @SwissIceHockey's Fabrice Herzog's incredible overtime winner that took down the mighty @HC_Men in tonight's game. pic.twitter.com/62XMheShLQ
— IIHF (@IIHFHockey) May 13, 2017
Fabrice Herzog ist ein bescheidener junger Mann. Wenn er sagt, nun sei das Halbfinale, ja sogar das Finale bei dieser WM möglich, dann wirken diese Worte. Weil er daran glaubt und nicht einfach Optimismus daherredet.
Noch läuft sein Vertrag mit den ZSC Lions bis 2019. «Aber ich habe eine Ausstiegsklausel für die NHL.» Eine solche Klausel lässt sich heute zwar jeder Junior in den Vertrag schreiben. Bei Fabrice Herzog macht diese Klausel sehr wohl Sinn. Er hat schon einmal eine «Ehrenrunde» in Nordamerika gemacht und sich auf höchster nordamerikanischer Juniorenstufe bei den Quebec Remparts bewährt (2013/14). Er zog dieses Lehrjahr einer Saison in der Schweiz vor. «Weil es für meine Weiterentwicklung besser war.»
Die Toronto Maple Leafs haben sich im Draft von 2013 die Rechte am Nationalstürmer unspektakulär gesichert (5. Runde, Nr. 142). Die ZSC Lions pflegen eine intensive Zusammenarbeit mit dem kanadischen Traditionsklub. Fabrice Herzog sagt, die NHL sei weiterhin sein grosses Ziel – und es ist ein realistisches Ziel. Die Postur für die wichtigste Liga der Welt hat er auch (189 cm/87 kg).
Die bisher beste NLA-Saison hatte er vor zwei Jahren (2015/16) in Zürich mit 24 Punkten in 38 Spielen. Weil er oft neben Auston Matthews über die Aussenbahnen fegen durfte. Mit dem amerikanischen Wunderkind harmonierte er prächtig. Nie haben wir in der NLA vorher oder nachher einen besseren Fabrice Herzog gesehen.
Inzwischen ist Auston Matthews in Toronto ein charismatischer NHL-Star. Wir sollten nicht ausschliessen, dass Fabrice Herzog eines Tages in Toronto neben Auston Matthews stürmen wird. Und es ist durchaus denkbar, dass er schon im Herbst eine Einladung ins NHL-Trainingscamp bekommen wird.
Die drei Tore gegen Kanada und Finnland waren allerbeste Eigenwerbung und sind von den NHL-Generälen sehr wohl registriert worden. Ein Treffer auch im Viertelfinale wäre die vorläufige internationale Krönung.