Wie ein jurassischer Zaubertrank den SCB-Grössenwahn (vorübergehend?) kurierte
Grosse Trainer reagieren anders. Ein gewöhnlicher Bandengeneral hätte nach dem 4:5 gegen Ajoie ein Donnerwetter entfesselt. Und zwar ein richtiges, garniert mit Wut und Zorn. So, als sei der Bocksfüssige vom Gurten herabgefahren.
Heinz Ehlers hat nicht getobt. Er ist ruhig geblieben. «Ich war enttäuscht, klar. Aber ich hatte auch einige gute Sachen gesehen. Wir erzielten vier Tore und seien wir ehrlich: Bei 35:14 Torschüssen hätten wir eigentlich gewinnen müssen. Wie sollte ich da meinen Spielern Vorwürfe machen?»
Er sagt das in Biel. Ganz entspannt. Nach einem spektakulären Penalty-Sieg in einem Spiel mit verrückter Torfolge: 3:0, 3:2, 4:2, 4:5, 5:5. Seine Männer waren bereit, konzentriert bei der Sache und führten nach 22 Minuten 3:0. «Im ersten Drittel haben wir richtig gut gespielt. Es war das beste Drittel, seit ich in Bern bin.» Kein Vergleich also zum liederlichen Auftakt gegen Ajoie mit einem 0:2-Rückstand nach sieben Minuten.
Gelassenheit und positives Denken, wenn andere toben. Anders reagieren, als alle erwarten. Das ist der wahre Heinz Ehlers. Er hat eben eine feine Antenne für die Stimmungen, für das Innenleben einer Mannschaft. Er ahnte, er wusste: Nach einem 4:5 gegen Ajoie, nach dieser Mutter aller SCB-Heimpleiten hatte jeder kapiert, um was es nun geht. Dass nun Bescheidenheit, Demut einkehren muss. Dass es nur besser werden kann. Toben war weder erforderlich noch hilfreich. Gute Worte können in einer solchen Situation Wunder wirken.
Der produktivste Verteidiger der Saison
Verteidiger Romain Loeffel ist der überragende Einzelspieler in diesem wilden Spektakel. Er trifft dreimal: Zum 3:0, zum 5:5-Ausgleich neun Sekunden vor Schluss und in der Penalty-Ausmarchung gleich im ersten Versuch. Noch im Sommer wusste er nicht, ob er nach einer im letzten Playoff-Spiel gegen Gottéron erlittenen Gehirnerschütterung seine Karriere würde fortsetzen können. Am 24. Oktober ist er im Spiel gegen Lugano (1:4) zurückgekehrt und hat nun in nur vier Partien bereits fünf Skorerpunkte gebucht. Er ist damit beim SCB der produktivste Schweizer Verteidiger dieser Saison.
Romain Loeffel sagt, nach der Niederlage gegen Ajoie sei alle Arroganz verschwunden. «Allen ist klar geworden, dass wir nicht mehr der grosse SCB sind. Wir haben verstanden, dass jeder von uns seine Arbeit machen muss und nicht einfach auf die anderen hoffen kann.» Nein, Heinz Ehlers habe nicht getobt.
Ist dieser Spektakelsieg in Biel nun der «Urknall» der Erneuerung oder eine Eintagsfliege? Der Beginn einer Ära der Demut und der Bescheidenheit, einer SCB-Renaissance? Sind die SCB-Stars vom hohen Ross abgestiegen? Oder ist die ganze Herrlichkeit wieder nur ein buntes Blatt, das noch keinen Herbst macht?
Time will tell. Ganz offensichtlich war diese Pleite gegen Ajoie der jurassische Zaubertrank, der den SCB zumindest für einen Abend vom chronischen Leiden des Grössenwahns kuriert hat. Wie ein wunderbarer Absinth. Kräuterig, bitter, intensiv und hochprozentig. Aber Konstanz beginnt erst dann, wenn alles auch im nächsten Spiel bestätigt wird.
Das Auswärtsspiel in Biel war sowieso die perfekte Therapie nach der Schmach gegen Ajoie. Der SCB hatte nichts mehr zu verlieren und nur noch zu gewinnen. Der Bieler Hockey-Tempel ist eine Kathedrale des Spektakels. Hier sind Spiele nie langweilig. Weil die Bieler ihren Schwierigkeiten davonlaufen. Eishockey wird gespielt und gelebt, manchmal grenzenlos, riskant und defensiv so verantwortungslos, dass selbst der Welt-Torhüter Harri Säteri hin und wieder die Übersicht verliert (Fangquote gegen den SCB: 81,48 Prozent). Aber immer mit Schwung, Dynamik, Leidenschaft und Mut. In den letzten drei Heimpartien haben die Seeländer nicht weniger als 16 Tore erzielt – 5:1 gegen Kloten, 6:1 gegen Lausanne, 5:6 n.P gegen Bern.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
-
Er ist
-
Er kann
-
Erwarte
Ja, die Bieler haben den SCB im Laufe der Partie förmlich mitgerissen und alle taktischen Schablonen sind zerbrochen. Oder wie es Romain Loeffel sagte: «Eishockey in Biel ist immer wie ein Ping-Pong-Spiel.» Wenn irgendwo die Fans jeden Abend auf ihre Rechnung kommen – dann in Biel.
Nun kommen die ZSC Lions für die letzte Partie vor der Nationalmannschafts-Pause nach Bern. Gegen den Meister, der nach acht Niederlagen in Serie wieder in die Spur gefunden hat, wird sich zeigen, ob der jurassische Zaubertrank länger als nur für die Partie in Biel wirkt.
Wer Sinn für SCB-Romantik, ein wenig Aberglaube und ein Auge für kleine Begebenheiten hat, ist optimistisch: Marc Lüthis Ehefrau hat in Biel beim Verladen der Stocktaschen mitgeholfen. Wenn das kein gutes Omen ist.
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