Julien Vauclair (43) und Kevin Schläpfer (51) könnten unterschiedlicher nicht sein. Und doch gibt es eine erstaunliche Parallele in ihrer Karriere. Kevin Schläpfer hat als Sportdirektor zweimal den Trainer gefeuert und Biel in der Liga-Qualifikation gerettet. Das gleiche Kunststück hat Julien Vauclair soeben mit Ajoie vollbracht. Noch während der Qualifikation hatte er den Trainer entlassen und dessen Platz an der Bande übernommen. Nun hat er in einem veritablen Drama in zwölf Akten (Playouts, Liga-Qualifikation) den Klassenerhalt geschafft.
Der eher introvertierte Julien Vauclair ist während seines Abenteuers an der Bande von Petteri Nummelin (50) perfekt ergänzt worden. Der emotionale finnische Romantiker ist Vauclairs Kumpel aus ruhmreichen Jahren bei Lugano und hat als Spieler und Trainer-Assistent die Welt bereist. Bevor er im letzten Sommer als Assistent nach Pruntrut gekommen ist, hat er unter anderem Station in Göteborg, Davos, Columbus, Lugano, St.Paul, Turku, Rauma, Nikko City (Japan) und Storhamar gemacht.
Zuletzt war er drei Jahre Assistent in der höchsten norwegischen Liga bei Storhamar. Sein Vertrag bei Ajoie läuft noch ein Jahr. Sein Ziel ist es, irgendeinmal Cheftrainer zu werden. Da fragt sich der Hockey-Romantiker: warum eigentlich nicht bei Ajoie? Könnten Julien Vauclair als Sportdirektor und Petteri Nummelin als Trainer nicht ein ähnliches Duo bilden wie Paolo Duca und Luca Cereda in Ambri oder Pascal Müller und Thierry Paterlini in Langnau? Aber das ist nur ein Gedankenspiel.
Kevin Schläpfer hat nach der zweiten Rettung Biels drei weitere Jahre lang die Mannschaft als Trainer und Sportchef geführt. Für Präsident Patrick Hauert kommt diese Doppelbelastung nicht infrage. Er sagt, Julien Vauclair werde künftig entweder Trainer oder Sportchef sein. Aber nicht mehr beides.
Im Januar 2022 ist Julien Vauclair nach 25 Jahren und mehr als 1000 Spielen für Lugano in seine Heimat zurückgekehrt. Mit einem Fünfjahresvertrag als Sportdirektor. Mit der geglückten Rettung gegen La Chaux-de-Fonds ist er bei Ajoie von einer hoch respektierten Persönlichkeit zur Kultfigur geworden. Mit ein bisschen Glück kann er in Pruntrut werden, was Kevin Schläpfer in Biel war: ein «Hockeygott».
Für Ajoie ist Julien Vauclair als Identifikationsfigur für die Weiterentwicklung des Klubs von unschätzbarem Wert. Logisch, dass der Präsident ihn künftig nicht mehr in einer Doppelrolle sieht. Kommt dazu: Die Gefahr ist zu gross, im schwierigen Traineramt durch sportlichen Misserfolg an Charisma zu verlieren. Julien Vauclair ist für Ajoie zu wichtig, um Trainer und Sportchef zu sein.
Länger als zwei Jahre war Ajoie noch nie in der höchsten Liga. Die Aufenthalte in der Höhenluft unseres Hockeys waren zu kurz, um sich akklimatisieren zu können. Ajoie steckte bis und mit dieser Saison sportlich und wirtschaftlich in B-Hosen. Nun gibt es erstmals eine dritte Saison hintereinander in der «Belle Etage» unseres Hockeys. Die entscheidende Frage: Kann sich Ajoie vom krassen Aussenseiter, der in der obersten Spielklasse in der Qualifikation in der Endabrechnung noch nie über den zweitletzten Platz hinausgekommen ist, zum wirtschaftlich und sportlich konkurrenzfähigen Herausforderer entwickeln? Vielleicht gar bis auf Augenhöhe von Langnau oder Ambri?
Ajoie hat weder die Erfahrung noch die Tradition oder die Nachwuchsorganisation von Langnau und Ambri. Aber inzwischen eine ebenso moderne Infrastruktur und ein mindestens so begeisterungsfähiges und treues Publikum. Die Auslastung des neuen Stadions (5028 Plätze) betrug diese Saison während einer sportlich wahrlich wenig ruhmreichen Qualifikation immerhin 82,50 Prozent. Höher als bei den Lakers (81,25 %), Davos (76,04 %), Lausanne (73,95 %), Kloten (80,13 %) und Lugano (74,65 %).
Präsident Patrick Hauert ist zuversichtlich, für nächste Saison das Gesamtbudget auf 15 Millionen Franken erhöhen zu können. Sein Klub schliesst finanziell mehr und mehr zu Langnau und Ambri auf.
Im Fegefeuer der Playouts gegen Langnau und der Liga-Qualifikation gegen La Chaux-de-Fonds ist ein besseres Ajoie geschmiedet worden. Die schwierigste Phase haben die Jurassier ohne ihre drei besten Offensivspieler überstanden. Die Kanadier Philip-Michaël Devos, Jonathan Hazen und Frédérik Gauthier standen für die vier letzten Partien der Liga-Qualifikation alle wegen Verletzungen nicht zur Verfügung, Hazen und Gauthier fehlten sogar während der ganzen Auseinandersetzung mit La Chaux-de-Fonds.
Die Schweizer Spieler haben Ajoie zum Ligaerhalt getragen. Im verlorenen Playout-Final gegen Langnau punkteten sechs Einheimische. In der Liga-Qualifikation dreizehn. Das Ehrengewand des Topskorers trugen in der Liga-Qualifikation auch Ian Derungs und der beste Skorer im Drama gegen La Chaux-de-Fonds heisst Thibault Frossard. Er ist Jurassier durch und durch und hat nie für ein anderes Team als Ajoie gespielt.
Der wichtigste Einzelspieler im Drama um den Klassenerhalt war jedoch Torhüter Tim Wolf. Er ist der vergessene Leonardo Genoni hinter den sieben Jurabergen. Ausgebildet wie Genoni in der Organisation der ZSC Lions ist er nach einem Umweg über Rapperswil-Jona, Ambri und La Chaux-de-Fonds 2019 in Pruntrut am Ort seiner Bestimmung angekommen. Tim Wolf hat Ajoie zum Cupsieg und zum Aufstieg gehext und als Leihspieler Kloten im letzten Frühjahr zum Wiederaufstieg in die höchste Liga. Nun hat er unter maximaler Belastung Höchstleistungen vollbracht. Seine Fangquoten sind formidabel: 94,15 Prozent in den Playouts, 95,19 Prozent in der Liga-Qualifikation.
Ajoie ist der National League einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Das ist ein Grund zur Sorge für Olten und auch sonst alle, die aufsteigen wollen. Wäre Ajoie gescheitert, hätte der Meister der Swiss League im nächsten Frühjahr gegen ein La Chaux-de-Fonds in lamentabler Verfassung in der Liga-Qualifikation ein «Freispiel» gehabt. Die Neuenburger sind weder sportlich noch wirtschaftlich oder infrastrukturell gut genug für die National League. Nun aber wird es ein Aufstiegskandidat 2024 mit einem neuen Ajoie, Langnau oder Ambri zu tun haben.
Die National League hat sich einen Schritt weiter von der Swiss League entfernt. Sportlich und finanziell.
Ich sage jetzt mal lieber nicht, was ich von diesem urplötzlichen Meinungsumschwung halte… 🙄