Zuerst eine rundum erfreuliche, aber eigentlich logische Erkenntnis: Die Schweizer fordern den Weltmeister mit «einheimischer Produktion» und verlieren ein veritables Drama nach einer 2:0- und 4:3-Führung erst in der Verlängerung 4:5.
Nicht die vier Stars aus der National Hockey League (Nico Hischier, Timo Meier, Jonas Siegenthaler, Janis Moser) prägen die Partie gegen Tschechien. Es sind die Leitwölfe aus der heimischen National League. Zürichs Christian Marti und Sven Andrighetto, Gottérons Sandro Schmid (sein erstes WM-Tor im ersten WM-Spiel) und Lausannes Damien Riat sorgen für die vier Treffer. Und Andres Ambühl (41) hat beim 4:3 von Sandro Schmied den Stock im Spiel und schultert gut acht Minuten Eiszeit.
Die National League gilt als eine der besten Ligen der Welt. Also ist es nichts als folgerichtig, dass sich ihre Stars auf höchstem internationalem Niveau bewähren. Und bereits mit diesem Auftaktspiel ist jede Diskussion um den Sinn des WM-Aufgebotes von Andres Ambühl beendet.
Die ruhmreichen Spiele gegen die Titanen des Welteishockeys sind bei einer WM inzwischen die Regel und nicht mehr eine Ausnahme. Und doch: Diese Verlängerungsniederlage gegen den Titelverteidiger ist eine ganz besondere: Zum ersten Mal holt die Schweiz gegen einen der Grossen einen Punkt trotz einer unterdurchschnittlichen Goalieleistung.
Auf diesem Niveau ist ein Punktgewinn für die Schweiz nur möglich, wenn der Torhüter mindestens 90 Prozent der Pucks stoppt. Leonardo Genoni parierte bei der Silber-WM im letzten Frühjahr in Prag 94,10 Prozent der Pucks. Nun kam er beim WM-Auftakt gegen die Tschechen lediglich auf eine Fangquote von 82,76 Prozent.
Wenn wir Leonardo Genoni an seinem besten Hockey messen, das uns 2018 und 2024 in den Final gebracht hat, dann waren vier der fünf Tore gegen Tschechien nicht unhaltbar.
Wenn wir nur diese Auftaktpartien, nur dieses Drama betrachten und alle Verdienste auf nationaler und internationaler Ebene ausblenden, dann kommen wir zur Erkenntnis: Eine Ära ist zu Ende gegangen. Die internationale Ära von Leonardo Genoni mit seinem 42. Einsatz bei einer WM neigt sich dem Ende zu. Oder war es einfach nicht sein Abend? Wird er noch einmal aufstehen und die Kritik Lügen strafen?
Das Problem für Nationaltrainer Patrick Fischer: Es bleibt ihm eigentlich nur noch eine Partie, um das herauszufinden. Am Montag gegen die USA. Alle übrigen verbleibenden Spiele der Vorrunde gegen Dänemark, Deutschland, Kasachstan, Ungarn und Norwegen taugen nicht zum «Wahrheitstest», ob ein Torhüter nach wie vor Weltklasse und dazu in der Lage ist, einen Viertelfinal, einen Halbfinal oder vielleicht gar zum ersten Mal einen Final zu gewinnen.
Was ist stärker: Das Vertrauen auf vergangenen doppelten silbernen Ruhm oder der Mut, eine Ära zu beenden und auf den nächsten Leonardo Genoni zu setzen? Beginnt in Herning die «Ära Charlin»?
Stéphane Charlin (24) war der beste Schweizer Goalie der Meisterschaft. Mit ihm als letzten Mann haben die Schweizer gegen Tschechien das letzte WM-Vorbereitungsspiel in Brünn 5:3 gewonnen. Es ist Zeit, seine internationale Tauglichkeit zu testen. Das ist nur bei einer WM möglich.
Oder wird die Bedeutung des Torhüters nach dem Auftaktspiel bloss dramatisch und polemisch zugespitzt? Nein. Diese Bedeutung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aller Ruhm aus einer Vorrunde ist nur Trompetengold, wenn Patrick Fischer im Viertelfinal nicht den richtigen Torhüter einsetzt. Wie 2023, als er sich nach einem Sturmlauf durch die Gruppenspiele (6 Siege/Platz 1) für den Viertelfinal (Deutschland) gegen Leonardo Genoni und für Robert Mayer entschied – und ein klägliches Ausscheiden (1:3-Niederlage) hinnehmen musste.
Eine WM mag von spektakulären Offensivaktionen und herausragenden offensiven Spielerpersönlichkeiten geprägt werden. Die Differenz machen im Eishockey am Ende immer die Goalies. Leonardo Genoni oder Stéphane Charlin – das ist die alles entscheidende Frage, auf die der Nationaltrainer im Laufe der Gruppenspiele eine Antwort finden muss.