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Eismeister Zaugg

Eismeister Zaugg: Eine Reise an den unheimlichsten Ort des Hockeys

Die Helsinki Halli, 08.11.2024.
Hochmodern und bereits verlassen: die Helsinki Halli.Bild: klaus zaugg, watson
Eismeister Zaugg

Eine Reise an den unheimlichsten Ort des Hockeys

Das Gelände ist frei zugänglich. Aber niemand geht mehr dorthin. Als liege ein Fluch über diesem Ort. Die bedrückende Geschichte eines berühmten Sporttempels in der Eishockey-Stadt Helsinki.
09.11.2024, 08:3309.11.2024, 14:08
Klaus Zaugg, Helsinki
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Stell dir vor, die Swiss Life Arena in Zürich wird aus politischen Gründen geschlossen und alle müssen ins alte Hallenstadion zügeln. Verrückt. Aber genau das ist in Helsinki passiert.

Eine gespenstische Szenerie wie aus einem düsteren Science-Fiction-Film in den Betonkulissen einer untergegangenen Stadt. Die Helsinki Halli (bis 2014 Hartwall Arena), ein wunderbarer, hochmoderner Hockey- und Unterhaltungstempel, liegt verlassen da und zeigt bereits erste Spuren des Verfalls. Irgendwie ist es gefühlt der unheimlichste Ort auf dem Planeten Hockey.

In den Ritzen der Betonplatten spriesst tapfer das Unkraut. Alle Eingänge sind verschlossen, die Namensschilder entfernt. Niemand ist da. Kein Personal. Die Parkplätze sind leer. Seit einiger Zeit sind Strom und Wasserzufuhr abgestellt und es wird befürchtet, dass die Arena Schaden nimmt. Nicht einmal mehr die offizielle Webseite (https://helsinkihalli.fi/) kann aufgerufen werden.

Die Helsinki Halli, 08.11.2024.
Die Eingänge sind allesamt verbarrikadiert und abgesperrt.Bild: klaus zaugg, watson

Der Ort ist verlassen. So als sei er verflucht. Der Eingang zur Trainingshalle, im Kellergeschoss in Fels gehauen, mahnt an den Zugang zu einem von unserer Armee längst aufgegebenen Bunker aus der Zeit des Réduits (1940 bis 1945) im Gotthard-Massiv.

Wie kann es sein, dass in einer der Hockey-Hauptstädte der Welt ein hochmodernes Hockey-Stadion verriegelt und verrammelt worden ist und sogar leise zerfällt?

Die Helsinki Halli, 08.11.2024.
Bild: klaus zaugg, watson

Es ist der Krieg in der Ukraine. 2014 ist Gennadi Timtschenko zusammen mit den Gebrüdern Arkadi und Boris Rotenberg – alle drei russische Oligarchen – Mehrheitsbesitzer geworden. Der Ausbruch des Ukraine-Krieges hat dazu geführt, dass alle russischen Geschäftstätigkeiten in Finnland blockiert worden sind: Die Besitzer der Helsinki Halli können weder Rechnungen bezahlen noch Geld einkassieren.

Inzwischen ist auch ein Verkauf aus politischen Gründen nicht mehr möglich. Die Stadt Helsinki versucht auf juristischem Weg die Blockade zu beenden, die russischen Eigentümer zu enteignen und die Arena zu übernehmen. Da auch Finnland ein Rechtsstaat ist, dürfte dieses Verfahren noch mindestens sechs Monate dauern.

Nicht ohne Brisanz und Polemik sind Aussagen von René Fasel. Der ehemalige Präsident des internationalen Verbandes hat mit ziemlicher Sicherheit tiefe Einblicke in diese triste Angelegenheit. Mit Wohnsitz in der Schweiz und in Moskau gehört er heute der KHL-Führung an, diniert oft mit Igor Larionow, kümmert sich in der KHL um die Schiedsrichter und initiierte neue Regelauslegungen: In der KHL darf ein Spieler nicht mehr hinter dem eigenen Tor stehen. Er muss in Bewegung bleiben. Und das Klemmen der Scheibe an der Bande ist nicht mehr erlaubt.

René Fasel sagt zu den Vorgängen rund um den Sporttempel in Helsinki: «Da sind so viele kuriose Deals mit finnischen Investoren und dem finnischen Verband gelaufen, dass wir darüber lieber den Mantel des Schweigens ausbreiten.» Tja, da gilt wohl: Wir wollen besser nicht grübeln.

Die Schliessung der Arena hat auch zu einem persönlichen Drama geführt. Hier hat Jokerit Helsinki die Heimpartien ausgetragen. Der sechsfache finnische Meister wechselte 2014 als einziges finnisches Team in die KHL. Der Ukraine-Krieg bringt nicht nur den wirtschaftlichen Untergang des populären Klubs, der heute in der zweithöchsten finnischen Liga spielt. Jokerit-Manager Jari Kurri (64), erster finnischer NHL-Superstar und mehrfacher Stanley-Cup-Sieger, ist der wohl grösste finnische Spieler der Geschichte. Nun ist er vollständig in Ungnade gefallen.

Er beantwortet nicht nur die Anrufe eines ausländischen Chronisten nicht mehr. Selbst seine finnischen Freunde klagen, dass er nicht mehr erreichbar sei und sich entweder im Vorort Espoo vor den Toren Helsinkis verschanze oder in Spanien aufhalte. Das ist beinahe so, wie wenn bei uns Roger Federer in Ungnade fallen würde.

Die Helsinki Halli, 08.11.2024.
Parkplätze für eine Unmenge an Besuchern – doch keiner kommt.Bild: klaus zaugg, watson

Jari Kurris Pech ist es, dass er als Manager von Jokerit den Wechsel in die KHL personifizierte und auch zur KHL-Führung gehörte. Das Urteil der Geschichte ist stärker als der grösste sportliche Ruhm: Finnland hat sich vor etwas mehr als hundert Jahren die Unabhängigkeit von Russland erkämpft, in einem blutigen Bürgerkrieg den Kommunismus verbannt und sich dann in einem weiteren Krieg gegen die Sowjetunion die Unabhängigkeit bewahrt. Durch die Rückkehr des bedrohlichen Nachbars zu kriegerischer Politik haben alle Verbindungen zu Russland Schwefelgeruch. Die Grenzübergänge nach Russland sind nach wie vor geschlossen. Vorbei ist die «Belle Epoque», als wir mit der Eisenbahn von Helsinki aus einen Tagesausflug nach Leningrad machen konnten.

Die Helsinki Halli beim Vorortsbahnhof Pasila (die Swiss Life Arena hat beim Bahnhof Altstetten eine vergleichbar günstige Verkehrslage) ist 1997 eröffnet worden und bietet Platz für rund 13'500 Fans. Ein architektonisches Kunstwerk in elliptischer Form, 133 Meter lang, 103 Meter breit und 32,55 Meter hoch.

Diese inzwischen verwunschene «Geister-Arena» ist auch ein Erinnerungsort für unsere Hockeykultur: Hier holten unsere U20-Junioren, gecoacht von Bill Gilligan und Alfred Bohren, am 2. Januar 1998 durch ein 4:3 nach Penaltys im Bronze-Spiel gegen Tschechien die erste Medaille der Neuzeit. Es ist der Tag, an dem die Rückkehr der Schweiz in die Weltelite begonnen hat. Verteidiger Julien Vauclair wird es 15 Jahre später bei der Silber-WM 2013 sogar ins All-Star-Team bringen.

Hier kostete uns am 12. Mai 2012 aber auch eine 2:4-Pleite gegen Frankreich die WM-Viertelfinals. René Fasel, damals Präsident des internationalen Verbandes (IIHF), sang mit den Franzosen in der Kabine die «Marseillaise» (französische Nationalhymne). Ein Jahr später standen wir trotzdem im WM-Final, und René Fasel überreichte die Silber-Medaillen.

Der Chronist hat die Arena zu Fuss mehrmals umrundet. Die Leere und der kalte Wind verstärken das Gefühl, an einem unheimlichen, verwunschenen Ort zu sein. Aber er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, noch einmal hierherzukommen. Für ein Hockeyspiel in einer friedlicheren Welt.

PS: Der Karjala Cup mit Finnland, Schweden, Tschechien und der Schweiz wird an diesem Wochenende – wie schon die WM 2022 – nicht in der gesperrten Helsinki Halli, sondern erneut in der alten, 1966 eröffneten Helsinki Ice Hall (Helsingin Jäähalli) auf dem Olympiagelände gespielt. Mit einem Fassungsvermögen von bloss 8200 Plätzen. Aber mit Brockenstuben-Charme.

  • Stürmer
  • Verteidiger
  • Torhüter
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Nation Flag

Aktuelle
Note

  • 7

    Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.

  • 6-7

    Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.

  • 5-6

    Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.

  • 4-5

    Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.

  • 3-4

    Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.

  • Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.

5,2

09.22

5,2

09.23

5,2

01.24

Punkte

Goals/Assists

Spiele

Strafminuten

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