Seit Dominik Hasek die Tschechen 1998 zu olympischem Gold hexte, hat nie mehr ein Torhüter seine Mannschaft so stark beeinflusst wie Stéphane Charlin die SCL Tigers.
Dominik Hasek erreichte damals die sagenhafte Fangquote von 96,13 Prozent. Beim ersten olympischen Turnier mit NHL-Titanen stoppte er beim 2:1 nach Penaltys im Halbfinal gegen Kanada im Duell Mann gegen Mann Theoren Fleury, Ray Bourque, John Neuwendyk, Eric Lindros und Brendan Shanahan.
Der kanadische Coach Marc Crawford, der heutige Trainer der ZSC Lions, erntete ewige Kontroverse, weil er ausgerechnet Wayne Gretzky nicht zum Penalty antreten liess. Im Final siegten die Tschechen gegen Russland 1:0. Den Siegestreffer erzielte später der Lausanne-Zampano Petr Svoboda.
Langnaus Stéphane Charlin (24) führt die Liga-Statistik mit einer Fangquote von 96,19 Prozent an. Ein Wert, den seit der Einführung dieser Statistik (2010) zu diesem Zeitpunkt der Saison noch nie erreicht worden ist. Bis heute sind am Ende der Qualifikation erst zwei Goalies über 94 Prozent (aber nicht über 95 Prozent) gekommen: Sandro Aeschlimann beim HCD (2021/22) und Lukas Flüeler bei den ZSC Lions (2014/15).
Noch sind wir nicht bei «Halbzeit» angekommen. Aber die Chancen stehen gut, dass Langnaus Antwort auf Dominik Hasek eine neue Saison-Rekordmarke erreichen wird.
Sicher ist bereits Mitte November: Kein anderer Torhüter «verfälscht» die Meisterschaft so stark wie Stéphane Charlin. Gegen die Lakers kommt am Freitag mit Luca Boltshauser (31) die Nummer 2 zum Zuge. Die Langnauer verlieren in der Verlängerung 4:5. Weil Boltshauser lediglich 84,38 Prozent der Schüsse pariert. Seine Saisonstatistik: magere 86,96 Prozent.
24 Stunden später ermöglicht Charlin einen 1:0-Sieg in Biel. Thierry Paterlini ist ein guter Trainer, weil er authentisch ist und – wenn immer möglich – sagt, was er denkt. Auf die Frage, ob Langnau gegen die Lakers mit Charlin gewonnen hätte – der Sieg also «verschenkt» worden ist –, sagt er unmissverständlich: «Ja, das ist so.» Luca Boltshauser wisse das ja auch. «Aber er wird uns auch noch Siege ermöglichen, so wie er das früher schon gemacht hat.»
Ein Trainer spricht Klartext. Es ist der Goalie, der die Differenz gemacht hat, und die falsche Torhüterwahl hat einen Sieg gekostet. Die Statistik lässt ihm ja gar keine andere Wahl. Also ist alles klar: Paterlini wird Charlin so oft wie nur möglich einsetzen. Wenn schon die Zuger bisher jedes Spiel mit Tim Wolf begonnen haben, dann kann doch Paterlini seine Nummer 1 für den Rest der Saison auch für jedes Spiel nominieren. Oder?
Ganz so einfach ist es aus zwei Gründen nicht. Erstens hat Wolf in Zug etwas weniger Arbeit zu verrichten: Bisher ist er pro Partie zu 24 Paraden genötigt worden. Charlin musste bei seinen zwölf Einsätzen durchschnittlich 31 Mal eingreifen. Bei dieser Belastung braucht er zwischendurch eine Ruhepause.
Aber der tiefere Grund, warum Thierry Paterlini seine Nummer 2 bereits in sieben Partien von Anfang an eingesetzt hat, ist ein ganz anderer. Zur Erklärung zuerst etwas Theorie. Taktik ist die kurzfristige, auf das einzelne Spiel ausgerichtete Anordnung. Strategie hingegen eine langfristige, über den Tag, ja über die Saison hinaus gemachte Überlegung. Etwas polemisch auf den Punkt gebracht: Der Taktiker Paterlini setzt immer Stéphane Charlin ein. Der Stratege Paterlini hingegen so oft wie möglich Luca Boltshauser. Deshalb ist Boltshauser mit sieben Einsätzen nach Luca Hollenstein (acht Spiele für den HCD) die am häufigsten eingesetzte Nummer 2 bei Klubs mit einer klaren Differenz zwischen der Nummer 1 und der Nummer 2.
Der Grund für die zuvorkommende Behandlung: Stéphane Charlin wird Langnau im Frühjahr verlassen. Entweder zügelt er nach Genf oder direkt nach Nordamerika. Die Langnauer werden also nächste Saison auf einen Luca Boltshauser (Vertrag bis 2026) angewiesen sein, der sein bestes Hockey spielt. Wie in der Saison 2022/23, als er in der Qualifikation in 36 Partien 91,90 Prozent der Pucks parierte und im Playout gegen Ajoie sogar sagenhafte 95,10 Prozent.
Damals war Boltshauser in seiner ersten Saison in Langnau die klare Nummer 1 und Stéphane Charlin ein Lehrling, der sich mit 18 Einsätzen und einer Fangquote von 90,90 Prozent begnügen musste. Je besser Charlin geworden ist, desto mehr hat Boltshauser nachgelassen und inzwischen steckt er im Niemandsland zwischen Held und Lottergoalie fest. Konkurrenz kann stimulieren oder verunsichern.
Torhüter sind sensible Wesen. Das unerschütterliche Selbstvertrauen ist der Sauerstoff ihres Spiels: Ich bin selbstsicher, also bin ich. Nur ein selbstsicherer Goalie hat die Körpersprache der Sieger. Seine Vordermänner spüren sofort, ob sie den Rückhalt eines Siegers haben. Es gibt diese Saison an der Ilfis zwei Mannschaften: Die fleissigen, hektischen Langnauer, wenn sie hinter sich Luca Boltshauser wissen. Und die ruhigen, bissigen, coolen Langnauer, wenn sie mit Stéphane Charlin antreten. Auf den Punkt gebracht: Torhüter machen Mannschaften.
Frage also an Thierry Paterlini: Eigentlich müssten Sie, wann immer möglich, Stéphane Charlin ins Tor stellen. Setzen Sie Luca Boltshauser trotzdem immer wieder ein, um sein Selbstvertrauen zu stärken und zu erhalten, weil Sie nächste Saison auf ihn angewiesen sind? «Nein, die nächste Saison spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Wir konzentrieren uns auf die Gegenwart.» Nur die Hockeygötter wissen, ob die nächste Saison bei seinen Überlegungen tatsächlich keine Rolle spielt.
Sportchef Pascal Müller steht so oder so vor seiner grössten Herausforderung: Die Chancen, dass er noch einmal einen Lottotreffer wie Stéphane Charlin findet – also einen Weltklasse-Goalie, den die Konkurrenz falsch eingeschätzt hat –, ist nicht viel grösser als die Chance auf einen Lottotreffer im richtigen Leben. Soll er nächste Saison, wie 2022/23, ganz auf Luca Boltshauser setzen und als Nummer 2 ein Goalie-Talent ausbilden? Oder wäre es besser, einen ausländischen Torhüter zu verpflichten?
Eigentlich sind seine Langnauer auf sechs ausländische Feldspieler angewiesen und sollten keine Ausländerlizenz für einen Goalie einlösen. Aber Verletzungspech hat auch diese Saison dazu geführt, dass bei weitem nicht in jedem Spiel alle sechs ausländischen Feldspieler eingesetzt werden konnten. Das spricht für einen ausländischen Goalie. Aber es müsste dann schon einer wie Dominik Hasek sein. Oder fast.
PS: Der finnische Olympiasieger und Weltmeister Hannes Björninen (31) wird nächste Saison tatsächlich für die SCL Tigers stürmen. Die Tinte unter dem Vertrag ist trocken.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Der Eismeister beginnt wie üblich mit einem Paukenschlag... 😏🤣