Es ist das Traumfinal schlechthin: Die ZSC Lions und der EV Zug treten am Montag gegeneinander an. Die Zuger sind wie erwartet problemlos und ohne Niederlage in den Final gekommen.
Die ZSC Lions hingegen haben auf dem Weg in den Final dramatische Geschichten geschrieben. Wie aus einem chaotischen Haufen eine Bande geworden ist, die Leonardo Genoni an einem guten Abend zwei, drei oder gar vier Pucks pro Spiel ins Netz setzen kann.
Beginnen wir mit einer kleinen Übertreibung: Der Unterschied zwischen den ZSC Lions, die im Viertelfinal gegen Biel am Rande des Ausscheidens standen und den ZSC Lions, die gegen Gottéron in vier Spielen den Final erreicht haben, ist riesig.
Mindestens so gross wie zwischen einer Schar Rudolf Steiner Schüler auf der Klassenreise und einem Grenadier-Zug während einer Überlebens-Woche. Eine lockere Interessengemeinschaft von Jungmillionären ist zu einer verschworenen Einheit zusammengewachsen.
Wie ist das möglich? Ist es das taktische Geschick des schwedischen Trainers Rikard Grönborg? Sind es die Leitwölfe, die den Trainer ignoriert und ihre Mitläufer zur Ordnung gewiesen haben? Oder ist diese wundersame Metamorphose der besonderen DNA der ZSC Lions geschuldet? Es ist die Mischung dieser verschiedenen Faktoren. Sie macht die Magie der drei Buchstaben ZSC aus.
Die Zürcher vollbringen im Alltag des Meisterschaftsbetriebes selten Höchstleistungen. Zu sehr sind Qualifikationsspiele im grössten urbanen Zentrum der Schweiz mit so vielen anderen Erregungen bloss Routine und keine Hockeyfestspiele wie in Ambri, Langnau, Fribourg oder Zug. Die ZSC Lions spielen im Hallenstadion gegen die Lakers. Na und?
In den 26 Qualifikationsspielen war das Hallenstadion bloss zu knapp 72 Prozent ausgelastet (8020 Fans pro Spiel). In den Playoffs liegt die Belegung bei knapp 88 Prozent und im 4. Spiel gegen Gottéron war das Hallenstadion erstmals in dieser Saison ausverkauft. Bei Zug sind in der Qualifikation 93,16 Prozent der Tickets abgesetzt worden und alle vier Playoff-Heimpartien waren ausverkauft.
Das Versagen beim Viertelfinal-Auftakt mit einer 4:5-Heimniederlage gegen Biel und einer Preisgabe eines 3:0-Vorsprungs in Biel hat den Trainer an den Rand der Amtsenthebung gebracht und die ZSC Lions zum Gespött gemacht. Es ist der Augenblick, in dem aus pragmatischen Profis endlich Romantiker und die Playoffs zu einer Mission, zu einem aufregenden Abenteuer werden. Eine lockere Gruppe wird zu einer Bande, zu einer Gang im ursprünglichen Sinne: junge Männer, die sich um eine Fahne scharen. Gerne wird vergessen, dass hinter den meisten Erfolgen im Teamsport und erst recht im Eishockey diese emotionale Entwicklung steht.
Es gibt eine schöne Szene aus dem letzten Halbfinalspiel gegen Gottéron, die diese Entwicklung zeigt: In der 56. Minute ist alles gelaufen. Es steht 5:2. Jakub Kovar verlässt das Eis und macht Ludovic Waeber Platz.
Gottéron nahestehende Männer werten diesen Wechsel empört als Arroganz. Aber es ist etwas ganz anderes. Der tschechische Goalie hat den Trainer um diesen Wechsel gebeten. Jakub Kovar, der Held des Viertelfinals, wird zu Beginn des Halbfinals krank. Ludovic Waeber muss in Tor und hext die Zürcher zu drei Siegen in der Verlängerung (dreimal 3:2).
Fürs vierte Spiel ist der Tscheche zurück und überlässt seinem Ersatzmann die letzten Minuten im Halbfinal im erstmals ausverkauften Hallenstadion. Als Zeichen der Anerkennung. So funktioniert ein Team.
Wenn nun der Trainer ein taktischer Ingenieur und ein akribischer Arbeiter ist, dann gelingt es ihm, dieser emotionalen Entwicklung Ordnung und Struktur zu geben. Wenn die Mischung zwischen Künstlern, Gauklern, Läufern, coolen Vollstreckern, rauen Kerlen und Abräumern, meisterlichen Titanen und hungrigen Novizen besteht, wenn die Stars auf einmal ihr Geld wert sind und alles von einem guten letzten Mann im Tor abgesichert wird – dann haben wir eine Mannschaft, die nach einem Viertelfinal-Fehlstart in den Final stürmt. Dann haben wir die ZSC Lions, wie sie jetzt im Final Zug fordern werden.
Haben diese ZSC Lions gegen den Titelverteidiger eine Chance? Ja natürlich haben sie. Sicher: Zug ist eine nahezu perfekte Eishockeymaschine, die mit schier unheimlicher Dominanz in den Final gerauscht ist. Die dazu in der Lage ist, einen Rückstand in den letzten Sekunden einer Partie in einen Sieg umzuwandeln, als sei das so einfach wie das Aufwärmen vor dem Spiel.
Aber nun werden Zugs Hockey-Musterschüler von einem Gegner gefordert, der in jeder Beziehung ein paar Nummern grösser ist als zuvor Lugano und Davos. Jetzt heissen die offensiven Titanen nicht mehr Marc Wieser, Simon Knack oder Julian Schmutz. Sondern Denis Hollenstein, Denis Malgin oder Sven Andrighetto. Jeder aus dem ZSC-Trio verdient im Jahr so viel wie die drei genannten Davoser zusammen.
Was soll nun dieser boshafte Hinweis auf die Saläre? Ist denn die Stärke der ZSC Lions während diesen Playoffs eben nicht das Geld, sondern der Geist? Ja klar. So ist es. Aber es gibt eben auch einen hockeytechnischen Grund für hohe Löhne: göttliches Talent. Die Fähigkeit, Spiele im Alleingang entscheiden zu können.
Womit wir beim Kern der Sache angelangt sind: Zug hat im Halbfinal gegen Davos in vier Spielen nur zwei Treffer zugelassen. Die Anzahl Flaschen, die HCD-Trainer Christian Wohlwend aufs Eis geschmissen hat (3) ist höher als die Anzahl HCD-Tore gegen Zug. Die ZSC Lions sind nun ein Gegner, der Leonardo Genoni an einem guten Abend in einer Partie zwei, drei oder gar vier Pucks ins Netz zu setzen vermag.
Aber auch auf die ZSC Lions wartet ein Gegner, der ein paar Nummern grösser ist als zuvor Biel und Gottéron. Nach Konzentrationsfehlern in der Defensive haben nicht mehr Sandro Schmid, Mauro Jörg oder Killian Mottet freie Bahn. Sondern, wenn's dumm läuft, Grégory Hofmann, Fabrice Herzog oder Dario Simion.
Der Vorteil der ZSC Lions: Sie sind gefühlte Aussenseiter, obwohl sie es ja gar nicht sind. Wäre Zug nicht Titelverteidiger und Qualifikationssieger, würden die ZSC Lions aufgrund der Namen auf dem Matchblatt als Favoriten bezeichnet. Was sie eigentlich ja sind. Kommt dazu: Die Zürcher (3. in der Qualifikation) haben auf dem Weg in den Final dreimal verloren und mit Widerstand, Rückschlägen und dramatischen Wendungen leben gelernt.
Die Zuger haben noch kein Spiel verloren. Alles ist perfekt gelaufen. Vielleicht zu perfekt. Deshalb gilt: Favorit ZSC, Aussenseiter Zug.
Nach Gratulation an KZ für den HInweis, dass Wohlwend mehr Flaschen aufs Eis schmiss als Davos Tore schoss. Ein sehr lustiger Satz.