Der Chaosclub ZSC ist heute unter der modernen Bezeichnung «ZSC Lions» eine der besten, reichsten und mächtigsten Sportfirmen im Land geworden. Aber die Entwicklung zum Musterunternehmen garantiert den sportlichen Erfolg nicht. Verlieren die Zürcher heute Abend in Biel, ist die Saison zu Ende.
Ist die Lage also hoffnungslos? Nein, keineswegs. Die ZSC Lions stehen wieder einmal mit dem Rücken zur Wand. Das ist gut so. Nie sind die ZSC Lions besser als in solchen Extremsituationen. 2012 rutschen sie unter Bob Hartley mit knapper Not in die Playoffs. Im Final liegen sie gegen den SCB scheinbar rettungslos 1:3 zurück – und werden doch Meister. Mit einem Sieg in letzter Minute im 7. Finalspiel in Bern.
Auf den ersten Blick ist der Titel von 2014 mit einem Final ohne Niederlage gegen Kloten ein normaler Titel. Aber gerne wird übersehen, dass damals der Viertelfinal mit einem 0:5 gegen Servette auf eigenem Eis und der Halbfinal mit einem 1:4 im Hallenstadion gegen Lausanne begonnen hatte und beide Serien über sieben Spiele gingen.
2018 ist ein Chaos-Jahr mit der Entlassung der schwedischen Hockey-Hohepriester Hans Wallson und Lars Johansson. Mit Hans Kossmann, dem einfach gestrickten, bodenständigen und charismatischen Kanada-Schweizer als Nothelfer holen die Zürcher den Titel im 7. Finalspiel auswärts in Lugano.
In den geordneten Verhältnissen unter Rikard Grönborg haben die ZSC Lions hingegen zuletzt kläglich versagt: Letzte Saison ist nach dem Halbfinal gegen Servette bereits nach drei Partien Lichterlöschen und der Cup-Final geht im Hallenstadion gegen den SCB verloren. Und jetzt also das drohende Saisonende gegen Biel.
Das alles hat durchaus eine Logik. Tief in ihrer Seele sind die ZSC Lions dem chaotischen alten ZSC immer noch ähnlicher als sie denken oder zugeben. Unter der dünnen Schicht der geschäftigen Professionalität schlummert nach wie vor diese lustvolle, wilde Anarchie der wahren, noch im alten Hallenstadion gereiften Kultur. Es ist Walter Frey gelungen, den ZSC aus dem Chaos zu erlösen. Aber es ist ihm nicht gelungen, den alten ZSC aus den modernen ZSC Lions herauszunehmen.
Fast alle grossen Erfolge verdanken die ZSC Lions ihrer alten, wilden, wahren ZSC-DNA: Der Energie und der Leidenschaft, die aus dem Chaos im Umfeld und der Kameradschaft in der Kabine kommen. Die teuerste und auf dem Papier beste Mannschaft der Klubgeschichte, die grösste Ansammlung von Jungmillionären, die es je in unserem Hockey gegeben hat, bleibt ohne diese alten ZSC-Qualitäten im sportlichen Niemandsland stecken.
Die Frage lautet also für ZSC-Sportchef Sven Leuenberger: Wie kann ich diese ZSC-Urqualitäten wecken? In der Neuzeit waren eigentlich nur zwei Trainer dazu in der Lage, die ZSC Lions phasenweise in ihren Urzustand zurückzuversetzen und die magischen Hallenstadion-Kräfte zu wecken: Die beiden konservativen kanadischen Feuerköpfe Bob Hartley und Marc Crawford. Die Meister von 2012 und 2014. Taktisch in Europa bei weitem nicht in so hohem Ansehen wie Rikard Grönborg.
Aber eben: Die beiden Nordamerikaner, die als Coaches auch den Stanley Cup gewonnen haben – und das ist dann wahrlich eine Heldentat - spürten die Schwingungen der wahren ZSC-Seele. Der grantige Sean Simpson und Hans Kossmann profitierten hingegen vom Kick aus speziellen Situationen: Sean Simpson von der Aufregung rund um ein einmaliges europäisches Abenteuer beim Gewinn der Champions League von 2009. Damals waren die Zürcher auf einer internationalen Mission wie vorher und nachher nie mehr ein helvetisches Klubteam: Der wahre ZSC mit europäischem Format. Hans Kossmann nützte 2018 die Energie, die nun mal mit einer gut getimten Trainerentlassung freigesetzt wird.
Unter normalen Trainern und Umständen sind die ZSC Lions in der Neuzeit hingegen nie mehr Meister geworden. Aber Arno Del Curto musste schmerzlich erfahren, dass auch die Anarchie nicht in jedem Fall den Erfolg bringt: Seine Rückkehr ins Hallenstadion im Stile eines Rockstars nach der Amtsenthebung von Serge Aubin bescherte ihm im Frühjahr 2019 das Karriereende: Die ZSC Lions schafften als Titelverteidiger nicht einmal mehr die Playoffs und Arno Del Curto hat seither keinen Job mehr gefunden. Dafür endlich Zeit, um seine Autobiographie zu schreiben.
Alles spricht gegen die ZSC Lions. Die perfekte Ausgangslage also für Rikard Grönborg. Wenn ihm unter diesen besonderen Umständen die Wende nicht gelingt, dann ist er auf der ganzen Linie gescheitert.
Wenigstens hat dann Sven Leuenberger eine Antwort auf die Frage, wie er die ZSC-Urqualitäten wieder wecken kann. Mit einem neuen Trainer und ein bisschen mehr Chaos.
Ich bin gespannt auf heute Abend. Einfach fair und sportlich bitte!!