Am Samstag zum Spiel gegen Ambri wird André Rufener in Bern erwartet. Am Dienstag war er in Langnau, um Biel in Langnau zu sehen. Dieses Reiseprogramm hat seinen Grund. Bevor er nach Nordamerika fliegt, um dort wieder einmal am grossen Rad zu drehen, gilt es noch den «Fall Philip Wüthrich» zu lösen.
André Rufener ist kein Preistreiber. Die langfristige Karriereplanung hat bei ihm das Primat über kurzfristige Geldmacherei. Er kümmert sich deshalb intensiv um seine Klienten. Damit er die Zeit dafür hat, vertritt er nur wenige Spieler. In Nordamerika gilt es in den nächsten Monaten unter anderem, das Terrain für die Verlängerung der Millionenverträge von Nino Niederreiter und Dean Kukan zu sondieren. In der Schweiz beschäftigt ihn die Zukunft von Philip Wüthrich und Biels Verteidiger Yannick Rathgeb.
Die Situation von Philip Wüthrich ist überaus interessant. André Rufener erkennt früh das Potenzial des SCB-Juniors und orchestriert seine Karriere behutsam: In Langenthal lernt der Zauberlehrling die Belastung einer Nummer 1 zu schultern und eine Mannschaft zum Titel zu tragen: 2019 hext Philip Wüthrich die Langenthaler zur Meisterschaft der Swiss League. Nun hat er sich mit 23 in seiner zweiten Saison beim SCB als Nummer 1 durchgesetzt. Der SCB hat diese Saison viele sportliche Probleme. Aber kein Torhüterproblem.
André Rufener sagt, er wolle kein langes Hin- und Her («Gschtürm»). «Sagen wir es so: Bis zum ersten Advent sollten wir eine Lösung haben.» Der erste Advent ist am 28. November.
Die Ausgangslage können wir etwas salopp so schildern: Einerseits holt ein guter, schlauer Agent für Philip Wüthrich jetzt einen Vertrag über vier Jahre im Gesamtwert von mindestens zwei Millionen heraus. Mit gut 500'000 Franken pro Jahr also.
Andererseits sollte ein Klub mit einem Ober- und Untersportchef dazu in der Lage sein, Philip Wüthrich einen Vierjahresvertrag im Gesamtwert von weniger als einer Million – sagen wir einmal für 900'000 Franken (oder etwas mehr als 200'000 pro Jahr) – beliebt zu machen.
Das sind die extremsten, etwas zugespitzten Höchst- und Mindestwerte. Warum diese Differenz?
Der SCB hat einen eigenen Junior, der fähig ist, die ruhmreiche Tradition von René Kiener, Jürg Jäggi, Renato Tosio und Marco Bührer fortzusetzen. Philip Wüthrich kann den SCB auf Jahre hinaus von allen Goalie-Sorgen befreien und in der Stadt die populärste Persönlichkeit der Zeitgeschichte werden. Obersportchef Raëto Raffainer und Untersportchef Andrew Ebbet können es sich einfach nicht leisten, Philip Wüthrich zu verlieren.
Vor allem die Position von Andrew Ebbett würde in den Grundfesten erschüttert und er müsste wahrscheinlich zum Untermaterialchef zurückgestuft werden. Einen Transfer verpassen? Kein Problem, da gibt es immer gute Ausreden. Aber einen eigenen Junior ziehen lassen, der eigentlich gerne bleiben möchte? Da gibt es keine Ausreden. Es gilt also Philip Wüthrich zu halten. Koste es, was es wolle. «Ghoue oder gstoche.»
Es gibt aber auch die andere Seite: Philip Wüthrich hat keinen Grund, den SCB zu verlassen. Die Berner verehren ihre Torhüterhelden. In Bern die Nummer 1 zu sein, ist gefühlt fast wie die Nummer 1 in Montreal. Und wenn Obersportchef Raëto Raffainer «gschpürig» ist, dann spielt er ein wenig auf der Klaviatur der Emotionen und zeigt in einem ruhigen Moment seinem Goalie die Leibchen der alten SCB-Helden unter dem Stadiondach und säuselt: «Lue Philip, dert obe chönnt einisch ou dys Libli sy. Gäu, das wär scho schön …» («Dort oben kann einmal auch dein Dress hängen. Das wäre doch schön».)
Sodann schildert er die Zukunft mit so glühender Überzeugungskraft, dass die SCB-Träume, die es zurzeit nur noch in Schwarz-Weiss gibt, wieder farbig werden. Und zudem kann er Philip Wüthrich bereits jetzt für die Zeit nach der Karriere ein schönes «Pöschteli» im SCB-Fuchsbau versprechen. Im «Bundesamt für Hockey» mit 60 Millionen Umsatz (in guten Zeiten) sind immer gute Stellen frei. Der Klassiker halt: Geld und Geist. Und am Ende siegt der Geist und Philip Wüthrich unterschreibt für vier Jahre und viel weniger als eine Million.
Die Frage ist natürlich: Was wären denn die Alternativen zum SCB? Eigentlich kann niemand die Seele so erwärmen wie der SCB. Hier gibt es Ruhm und Rundumbetreuung. Aber Achtung: André Rufener sagt so nebenbei und leichthin: «Es gibt auch Langnau.» Langnau? Nun, das sagt er nicht nur zur Freude eines alten Berichterstatters, der gerne ein wenig stichelt. In Langnau läuft nämlich auch ein Pokerspiel. Sportchef Marc Eichmann sagt: «Bis zur Nationalmannschaftspause wollen wir eine Antwort von Ivars Punnenovs.» Die Nationalmannschaftspause beginnt am 6. November. André Rufeners dienstägliche Autofahrt nach Langnau hatte einen guten Grund.
So wie es eigentlich für Bern auf den ersten Blick keine Alternative zu Philip Wüthrich gibt, so scheint auf den ersten Blick Langnau eigentlich auf Ivars Punnenovs angewiesen zu sein. Aber eben: nur eigentlich und nur auf den ersten Blick. Marc Eichmann braucht für den Existenzkampf der nächsten Saison (die Relegation wird 2023 wieder eingeführt) zwei starke Torhüter. Auf der so heiklen Position mag er sich nicht auf die Äste hinauslassen und will früh eine Klärung. Auf seiner Liste hat er auch Philip Wüthrich.
Und Achtung: Er kennt den jungen Goalie noch besser als in Bern der Ober- und Untersportchef. Marc Eichmann, früher ebenfalls Torhüter (mit Kultstatus) war in Langenthal nach seinem Rücktritt zwei Jahre lang Philip Wüthrichs Goalietrainer. Wenn er also sagt: «Es gibt auch Philip Wüthrich …» so hat das schon Hand und Fuss.
Philip Wüthrich nach Langnau? Das wäre eine Kombination aus den Posaunen von Jericho und des jüngsten Tages für die sportliche SCB-Führung. Aber weil das eben nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, ist die Situation so heikel.
André Rufener sagt, ein Mehrjahresvertrag sei wohl im Interesse beider Seiten. «Drei oder vier Jahre? Ja, das können wir uns vorstellen.» Kein anderer Schweizer Agent hat so gute Beziehungen in der NHL. Wie für jeden Spieler ist auch für Philip Wüthrich die NHL das Ziel. Ein Mehrjahresvertrag in der Schweiz ist mit dem neuen Transferabkommen kein Problem: Es braucht keine Freigabeklausel mehr. Der Wechsel nach Nordamerika ist unter Einhaltung bestimmter Fristen jedes Jahr möglich.
Die Kunst des Kompromisses hat aus der Schweiz eines der erfolgreichsten Länder der Geschichte gemacht. Auch im «Fall Wüthrich» dürfen wir mit einem klugen Kompromiss rechnen. André Rufener ist weitsichtig und wird nicht zu hoch pokern. Wir dürfen mit einer Verlängerung um drei oder vier Jahre in Bern rechnen. Aber die Verlängerung wird den SCB mehr als eine Million kosten.
wenns so weiter geht wird dort wohl auch bald Ambri oder Langnau anklopfen...