Der weibliche Körper funktioniert anders als der männliche, trotzdem wurde im Fussball lange kaum darauf Rücksicht genommen. Trainingspläne orientierten sich am Mann, biologische Unterschiede wie eine breitere Hüfte oder zyklusbedingte Beschwerden blieben unbeachtet. Doch seit fünf Jahren ist das anders – zumindest im Schweizer Nationalteam. Seither wird offen über Menstruation, Krämpfe oder Unwohlsein gesprochen und das Training entsprechend angepasst.
Mélanie Pauli ist Athletiktrainerin im Schweizer Nationalteam und eine Vorreiterin in diesem Bereich. Zunächst startete sie beim Schweizerischen Fussballverband die athletische Ausbildung und die Verletzungsprävention im Frauenbereich, seit 2022 ist sie beim Frauen-Nati-Team dabei. Auch jetzt während der Europameisterschaft im eigenen Land arbeitet sie eng mit den Nati-Spielerinnen zusammen.
Fussballerinnen müssen nicht gänzlich andere Übungen absolvieren als ihre männlichen Pendants. Individualität lautet bei dem auf den Frauenkörper angepassten Training das Zauberwort. «Es gibt keine speziellen Übungen für Frauen oder Männer, aber man muss die biomechanischen, biologischen, hormonellen Unterschiede verstehen. Wer diese Unterschiede kennt, weiss, welche Übungen passen, wie man kompensieren muss, welche Entwicklung eine Athletin gemacht hat», führt Pauli aus. Je nach Zyklusphase und Spielerin sind also unterschiedliche Dinge nötig – in Bezug auf Ernährung, Regeneration und Belastung. Pauli betont: «Jede Spielerin kann in jeder Zyklusphase performen.»
Damit das gelingt, sei es entscheidend zu wissen, wie die Symptome jeder Spielerin aussehen. Pauli sagt: «Wenn eine Frau ihre Periode hat, ist das eine Entzündung im Körper, die sich bei jeder unterschiedlich auswirkt. Wichtig ist, dann das zu geben, was eine Spielerin benötigt, damit sie sich wohlfühlen kann. Wer sich wohlfühlt, trainiert besser. Wer besser trainiert, performt besser.»
Zur Erfassung der Zyklusdaten nutzen die Spielerinnen eine App. Jede trägt ihre Phase dort ein – wer es während der EM vergisst, zahlt 5 Franken Strafe. «Das haben die Spielerinnen selbst so beschlossen», betont Pauli. Dank der App können Unregelmässigkeiten schnell erkannt werden, oft stecken sogenannte Low-Energy-Probleme dahinter, die mithilfe professioneller Ernährungsberatung behoben werden.
Ernährung spielt eine zentrale Rolle. Pauli und ihr Team bieten etwa spezielle Smoothies an, die auf die Zyklusphase abgestimmt sind – vor allem, um Bewusstsein zu schaffen. «Früher kam es vor, dass Spielerinnen beim Frühstück nichts gegessen haben, obwohl ein 90-minütiges Training bevorstand», erzählt Pauli. «Gerade bei hormonellen Schwankungen braucht der Körper mehr Eisen. Wenn feste Nahrung schwerfällt, sind Mikronährstoffe in flüssiger Form eine sinnvolle Alternative.»
2020 begann der FC Chelsea als erstes Frauenteam, das Training systematisch auf den weiblichen Körper abzustimmen. Die Schweizerin Ramona Bachmann, damals im englischen Spitzenklub, stellte fest: «Das hätte schon viel früher passieren müssen.» Inzwischen ist zyklusorientiertes Training bei vielen Topklubs und Nationalteams selbstverständlich. «Heute wissen die Spielerinnen besser, was ihr Körper wann braucht. Wir erfassen zahlreiche Aspekte und geben individuelles Feedback. Der Zyklus ist dabei ein wichtiges Puzzlestück», so Pauli.
Wichtig ist das spezifische Training auch, um Verletzungen vorzubeugen. Frauen haben ein zwei- bis achtmal höheres Risiko, einen Kreuzbandriss zu erleiden. Die Ursachen sind unter anderem anatomische Unterschiede im Beckenbereich, eine engere Knochenstruktur im Knie, eine höhere Tendenz zu X-Beinen und eine geringere Muskelmasse. Dazu kommen hormonelle Einflüsse wie der schwankende Östrogenspiegel, der die Stabilität und Elastizität der Bänder beeinflusst.
Diese Erfahrung machte auch Nati-Spielerin Meriame Terchoun, die in ihrer Karriere schon drei Kreuzbandrisse erlitt. Seit sie zyklusorientiertes Training anwendet, fühlt sie sich besser. «Das Ganze hat mein Leben auf den Kopf gestellt – im positiven Sinn. Seither fühle ich mich gesund, bin fit und kaum noch verletzt.»
An der EM in der Schweiz fehlen auch diesmal wieder etliche Spielerinnen wegen eines Kreuzbandrisses, unter anderem die Nati-Spielerinnen Lara Marti und Ramona Bachmann. Auch die abwesende Abwehrchefin Luana Bühler und Captain Lia Wälti haben mit Knieproblemen zu kämpfen. «Wenn es eine Methode gäbe, Kreuzbandrisse vollständig zu verhindern, würden wir sie natürlich anwenden», sagt Pauli. «Aber mit gezielter Prävention, athletischer Ausbildung, guter Regeneration und passendem Material lässt sich viel erreichen.»
Einen klaren Erfolg stellt auch Teamärztin Tanja Hetling fest: «Seit wir zyklusorientiert trainieren und essen, brauche ich deutlich weniger Schmerzmittel zu verschreiben», sagt sie im Interview mit der «Annabelle». «Wir Frauen werden immer noch oft als die ‹schlechteren Männer› angesehen – dabei sind wir einfach nur sehr verschieden.» Darauf nehmen die Schweizer Fussballerinnen an der Heim-EM Rücksicht.