Wenn Géraldine Reuteler spricht, dann strahlt sie oft etwas Unbeschwertes aus. Ihre Mundwinkel ziehen sich dann nach oben. «Wir haben uns gut vorbereitet. Deshalb glaube ich, dass das ein richtig cooles Spiel wird. Ich freue mich», sagt sie im Hinblick auf die zweite WM-Partie.
Am Dienstag um 10 Uhr Schweizer Zeit weist sich für das Nationalteam der Weg im neuseeländischen Hamilton. Gewinnen die Schweizerinnen gegen Norwegen, stehen sie wohl im Achtelfinal. Verlieren sie, braucht es im abschliessenden Gruppenspiel gegen die Gastgeberinnen aus Neuseeland ziemlich sicher einen Sieg.
Am Tag vor der Partie sind die Schweizerinnen von Dunedin ins rund 1000 Kilometer nördlichere Hamilton geflogen. Dort ist es ein bisschen wärmer, Reuteler sitzt dennoch dick eingepackt in ihrer Stadionjacke auf einem Podium. Zunächst lauscht sie den Ausführungen ihrer Trainerin Inka Grings, dann wird sie gefragt, ob sie nervös gewesen sei beim WM-Debüt.
«Es betzli scho», sagt sie. Üblicherweise wird an offiziellen Medienkonferenzen Hochdeutsch gesprochen, doch die Stanserin spricht einfach drauf los. In den starren Rahmen bringt sie durch das Schweizerdeutsche eine Lockerheit rein, die sie auch auf dem Platz auszeichnet.
Während beim Startspiel gegen die Philippinen die meisten Schweizerinnen sichtbar nervös waren, war Reuteler von Beginn an auffällig gut im Spiel. Von einem grossen Druck bei der WM-Premiere schien sie wenig zu spüren. «Ich versuchte, zunächst die einfachen Dinge gut zu machen. Und das hat offensichtlich ganz gut geklappt.» Eine einfache Erklärung für einen starken Auftritt. Drei Mal kommt die 24-Jährige zu Topchancen. Dabei sticht insbesondere ihre perfekte Ballbehandlung nach einem hohen Zuspiel von Luana Bühler ins Auge. In der zweiten Hälfte bereitet sie das 2:0 mit einem starken Lauf über den Flügel vor.
Vom grossen Druck während dieser WM ist Reuteler nichts anzumerken. Dabei wäre es verständlich, wenn sie etwas von ihrer unbeschwerten Art eingebüsst hätte. «Ich bin eine der Erfahrenen und versuche, auf dem Platz Verantwortung zu übernehmen», sagt sie. Die Weltmeisterschaft ist bereits die dritte Endrunde für Reuteler, schon 2017 und 2022 lief sie bei Europameisterschaften auf.
56 Länderspiele hat sie schon bestritten, obwohl sie nach einem Kreuzbandriss 2021 ein ganzes Jahr ausgefallen ist. Bei Eintracht Frankfurt ist Reuteler in der deutschen Bundesliga längst eine Schlüsselspielerin. Nach einer starken Bundesligasaison könnte nun England rufen, ihr Vertrag läuft 2024 aus.
Ihre Verantwortung dürfte in den nächsten Jahren weiter steigen. Im Nationalteam gilt sie als grosse Hoffnungsträgerin der jüngeren Generation. Die drei Stars Lia Wälti, Ramona Bachmann und Ana-Maria Crnogorcevic sind alle schon über 30, die Nachfolgerin soll künftig immer mehr das Zepter übernehmen.
So aufgestellt wie Reuteler sich in diesen Tagen präsentiert, ist sie aber nicht immer gewesen. Als sie mit 12 Jahren in die Nachwuchsakademie des Schweizerischen Fussballverbandes nach Huttwil kommt, vermisst sie ihre Familie schrecklich. Ähnlich ergeht es ihr zunächst nach ihrem Wechsel vom FC Luzern nach Frankfurt. Erst nach dem Umzug der Freundin wird es etwas besser. Doch auch so sagt sie, dass sie am liebsten in der Schweiz Fussball spielen würde, wenn es denn eine professionelle Liga gäbe.
Die Familie ist für Reuteler wichtig – und umgekehrt ist es genauso. Sie hat zwei ältere und zwei jüngere Brüder, so oft wie möglich unterstützen diese die talentierte Fussballerin. Bei der letzten Europameisterschaft in England fallen die Reutelers in den Trikots mit der Nummer 6 auf.
Auch in diesem Jahr haben es wieder mehrere Familienmitglieder an die Endrunde geschafft. Die beiden kleineren Brüder und die Eltern sind in Neuseeland bei allen Schweizer Spielen im Stadion. «Dass sie eine so lange Reise auf sich genommen haben, bedeutet mir mega viel», sagt Reuteler. «Nach dem Spiel tut es jeweils gut, von ihnen in die Arme genommen zu werden.» Die Tattooliebhaberin wird übrigens garantiert nie einen Geburtstag ihrer Liebsten vergessen. Auf ihrem Körper sind die Geburtsdaten der Brüder, der Eltern und eines guten Freundes verewigt.
Als Reuteler einige Wochen vor der WM zu ihren Zielen für das Turnier gefragt wurde, antwortete sie: «Eine gute WM spielen.» Und wann ist es eine gute WM? «Wenn ich von mir behaupten kann, dass ich zufrieden bin mit meinen Leistungen. Das kann ich dann sagen, wenn ich dem Team geholfen habe – womit auch immer.»
Geholfen hat die Mittelfeldspielerin schon im ersten Spiel gegen die Philippinen, nun will sie gegen Norwegen nachlegen. Reuteler ist optimistisch, dass es auch gegen die deutlich stärker zu erwartenden Gegnerinnen gut geht. «Wir möchten so lange wie möglich dabei sein. Denn es ist einiges möglich.» Für einmal wünscht sich Géraldine Reuteler nicht nach Hause, ihre Familie ist ja dabei.