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Frauen-EM: Auch Machos mögen Frauenfussball – gibt es bald mehr Geld?

epa10055784 England's Beth Mead (2-nd L) scores the opening goal against Austria for the 1-0 lead during the opening match of the UEFA Women's EURO 2022 between England and Austria at the Ol ...
Das erste Tor der Frauen-EM: Englands Beth Mead trifft gegen Österreich elegant per Lob.Bild: keystone

Mehr Geld? Mehr Akzeptanz? «Hören wir auf, Dinge erzwingen zu wollen!»

Seit Mittwoch läuft die Frauen-EM 2022. Wie steht es um die Akzeptanz des weiblichen Fussballs in der Gesellschaft? Fliesst bald so viel Geld wie bei den Männern? Eine Spurensuche.
08.07.2022, 12:04
Etienne Wuillemin / ch media
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Ein Mittagessen kurz vor den Sommerferien. Der 9-Jährige ist entsetzt. «Warum tauscht in diesem Jahr auf dem Pausenplatz niemand Panini-Bildli», fragt er? Als er keine Antwort erhält und in ein zögerndes Gesicht blickt, legt er nach: «Es gibt doch Bildli, ich habe sie am Kiosk gesehen.»

Die Panini-Bilder zur Frauen-EM 2022.
Die Panini-Bilder zur Frauen-EM 2022.bild: panini.ch

Vielleicht passt dieser letzte Satz ganz gut zum Frauenfussball im Jahr 2022. Er ist angekommen in der Gesellschaft. In seinen eigenen Dimensionen. Vergleich mit den Männern? Muss nicht sein. Sammelfieber auf dem Pausenplatz? Wird auch irgendwann kommen.

Am Mittwoch hat die EM 2022 der Frauen begonnen. 68'871 Fans sahen das 1:0 von Gastgeber England gegen Österreich im ausverkauften Old Trafford in Manchester. Die Schweizerinnen verfolgten das Eröffnungsspiel gemeinsam vor dem TV im Teamhotel in Leeds. Für die Nati beginnt die EM dann am Samstag mit dem Spiel gegen Portugal.

«Alles super bei uns! Die Vorfreude steigt!», sagt Tatjana Haenni. Ihre ersten Eindrücke vor Ort bestätigen, was längst erwartet wurde: Diese EM wird ein Turnier der Rekorde. Über 500'000 Tickets wurden bereits verkauft, mehr als doppelt so viele wie bei der EM 2017, «aber auch, was die TV-Zuschauer-Zahlen angeht oder Social-Media-Aktivitäten – das alles explodiert gerade ziemlich im Moment», sagt Haenni.

Ein gutes Gefühl – die Frauen-Nati vor dem EM-StartVideo: YouTube/SRF Sport

Haenni hat als Verantwortliche für den Frauenfussball im Schweizerischen Fussballverband in den letzten Jahren so manches Projekt angestossen und so manchen Kampf ausgefochten. Ihr nächstes grosses Ziel: dass die EM 2025 in der Schweiz stattfindet. Am 25. Januar entscheidet die UEFA. Ein Fazit kann Haenni bereits heute ziehen: «Die Unterstützung, die wir aus der Politik und der Gesellschaft erhalten, ist überwältigend. Da hat ein ziemlicher Wandel stattgefunden.»

Wenn Haenni gebeten wird, diesen Wandel zu erläutern, sagt sie: «Wenn ich jemandem erzählt habe, ich gehe jetzt dann an die EM, hörte ich danach meist: ‹Ah, cool, viel Glück!›. Viele Leute wissen, dass die Fussballerinnen in diesem Sommer die EM bestreiten. Früher musste ich das jeweils noch erklären.»

Tatjana Haenni, right, Director of Women's Football at the Swiss national Soccer Federation SFV, talks with Switzerland's players forward Fabienne Humm, left, defender Rahel Kiwic and midfie ...
Tatjana Hänni fühlt den Puls bei den Schweizer Nationalspielerinnen.Bild: keystone

Wie aber sieht sie die Entwicklung der Akzeptanz des Frauenfussballs? «Ganz früher hiess es: ‹Wenn die Frauen Fussball spielen wollen, sollen sie halt›. Dann: ‹Ganz ok, wenn sie spielen. Schauen wir mal, ob wir helfen können.› Dann plötzlich: ‹Cool, sind sie dabei, und es gibt sogar Sponsoren!›. Und heute heisst es: ‹Frauenfussball, super, das ist ja ein Business – da müssen wir mitmachen.›»

Die Vision: Fussball ohne Geschlechter-Unterschiede

Anruf bei Martina Voss-Tecklenburg. Die 54-jährige Deutsche trainierte zwischen 2012 und 2018 die Schweizer Nationalspielerinnen, mittlerweile hat sie Deutschland übernommen. Sie kämpft seit jeher, dass der weibliche Fussball sichtbarer wird.

Sie sagt: «Ich glaube fest daran, dass es irgendwann so sein wird, dass jemand den Fernseher einschaltet und sagt: ‹Wow, das ist ein geiles Fussballspiel!› und eben explizit nicht: ‹ein geiles Frauenfussballspiel›. Zumindest im Spitzenbereich werden wir dahin kommen.»

Germany's coach Martina Voss-Tecklenburg gives instructions during the Women's World Cup Group H qualifying soccer match between Serbia and Germany at Sports Center of FA of Serbia stadium i ...
Voss-Tecklenburg gibt bei Deutschland die Richtung vor.Bild: keystone

Eine Frau, die die Entwicklungen sehr genau verfolgt, ist Jasmina Covic. Die 29-Jährige ist eine der wenigen Spielerberaterinnen im Fussball-Business. Auch einige Schweizer Nationalspielerinnen vertritt sie, darunter Rekordtorschützin Ana Maria Crnogorcevic.

Covic sagt: «Den grössten Sprung an Anerkennung und Wertschätzung im Frauenfussball gab es in den letzten Jahren – neben England – in Spanien und Italien. Ausgerechnet in jenen Ländern also, wo man denken könnte, dass die Macho-Kultur gross und darum das Interesse am weiblichen Fussball klein sei.»

«Hören wir auf, Dinge erzwingen zu wollen!»

Mittlerweile sei auch das Gerangel unter Beratungsagenturen grösser geworden im Kampf um die Topspielerinnen. Es ist ein deutliches Zeichen, dass immer mehr Geld in den Frauenfussball fliesst. Die Frage ist einfach: Wie gross ist das Potenzial? Und: Woher kommt dieses Geld? Covic sagt: «Es ist nicht auszuschliessen, dass die Frauen langfristig ein kleines Stück des Männerfussball-Kuchens bekommen. Aber ich würde nicht davon ausgehen, dass sich die Gelder in grossen Dimensionen verschieben.»

Und eines betont Covic mit Nachdruck: «Hören wir auf, Dinge erzwingen zu wollen! Man kann Leute an den Frauenfussball heranführen – aber Wachstum erzwingen? Das funktioniert nicht.»

Entsprechend stört sich Covic auch nicht daran, dass die UEFA an der EM in diesem Sommer gesamthaft nur 16 Millionen Euro ausschüttet, verglichen mit den 232 Millionen bei den Männern vor einem Jahr. «Um ein Produkt so richtig zum Fliegen zu bringen, muss man zunächst investieren. Das betrifft vor allem die Klubs selbst und die Sponsoren. Wenn das geschieht, dann folgen die grösseren Summen automatisch.»

Und dann ist es eines Tages auch ganz normal, dass auf dem Pausenplatz die Panini-Bilder der EM-Spielerinnen getauscht werden.

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Die Stadien der Frauen-EM 2022 in England
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Die Stadien der Frauen-EM 2022 in England
Vom 6. bis 31. Juli findet die Fussball-EM 2022 der Frauen in England statt. Die Schweiz trifft auf Portugal, Schweden und die Niederlande.
quelle: keystone / robert ghement
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Video: watson
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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Alter Mann
08.07.2022 12:50registriert September 2020
Ich hoffe, dass sich der Männerfussball wieder zurückbewegt auf ein Niveau wo von Anstand gesprochen werden kann. Die heutigen Summen sind nämlich mehr als unanständig. Es wäre auch schön wenn sämtliche Fans vom Bezahlfernsehen Abstand nehmen würden und keine mit Sklavenarbeit gefertigten Trikots, Schals und andere Fanartikel mehr kaufen würden. Dann könnten nämlich beide Geschlechter auf einem erträglichen Niveau existieren. Ich weiss jetzt wird es Blitze hageln.
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Bruno Wüthrich
08.07.2022 12:40registriert August 2014
Der Weg der Fussballerinnen ist noch weit. Das erste Spiel habe ich verschlafen, aber das Zweite habe ich angeschaut. Was der TV-Kommentator über den Klee rühmte, war weit weg vom Niveau, wie wir es vom Männerfussball kennen. Die Frauen können am Ball viel, aber nicht alle sind taktisch auf der Höhe. Die Spiele (ich kenne nicht nur die EM) sind heute gut um Anschauen. Trotzdem: Insgesamt ist es ein gemütlicher Fussball. Die Spielerinnen erhalten viel Zeit bei der Ballannahme wie auch danach. Dies ist bei den Männern völlig anders. Da stehen sich die Spieler viel mehr auf den Füssen herum.
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sweeneytodd
08.07.2022 12:47registriert September 2018
Wieso wird immer argumentiert, dass die Macho-Kultur ein Grund für das lange bescheidene Dasein des Frauenfussballs war. Frauenfussball war bis vor ca. 5 Jahren schlimmstes 3.Liga gekicke. Langsam wird es besser und somit zieht auch die Popularität allgemein an. Von Vorteil ist auf jedenfall, dass dieses Jahr die WM der Herren im Winter ist, sonst würden wir wohl nicht so viel von der Frauenfussball EM hören. Aber ich freue mich über die steigende Spielqualität und gönne es den Profidamen welche soviel Herzblut in ihr Hobby stecken.
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