Geht die Gruppenphase eines Wettbewerbs zu Ende, werden Fussballerinnen und ihre Coaches immer auch ein wenig zu Mathematikerinnen. Denn in dieser Phase ist nicht nur das eigene Resultat von Bedeutung, sondern kann auch dasjenige im Parallelspiel der Gegnerinnen einen Einfluss darauf haben, wie viel das eigene Resultat wert ist.
Pia Sundhage sitzt am Montagmorgen auf dem Podium im Bauch des altehrwürdigen Stade de Tourbillon in Sion. Am Dienstag (20.00 Uhr) steht das letzte Spiel der Nations League gegen Norwegen an. Und die Schweizer Nationaltrainerin sagt das Wichtigste für ihr Team zuerst. «Wenn wir gewinnen, haben wir immer noch eine Chance, nicht abzusteigen.» Klingt simpel. Mit dem Gewinnen war es für die Schweizerinnen zuletzt aber so eine Sache.
Der letzte Sieg datiert vom 29. Oktober 2024, als die Schweiz in Genf überraschend Frankreich 2:1 düpierte. Dies war allerdings ein sportlich unbedeutendes Testspiel. In einem Ernstkampf dauert die Siegesdurststrecke noch länger an. Im Juli 2024 schlug die Schweiz Aserbaidschan 3:0 im letzten Spiel der EM-Qualifikation, wobei der Aufstieg in die Liga A der Nations League da bereits gesichert war.
Am Freitag lagen die Schweizerinnen gegen Frankreich nach 19 Minuten bereits 0:3 zurück und offenbarten defensive Mängel, die der Partie schnell die Spannung entzogen. Und offensiv kreierten sie so wenig, dass die französische Torhüterin Pauline Peyraud-Magnin nach dem Spiel vielleicht nur deshalb unter die Dusche ging, um sich in der Garderobe nicht alleine zu fühlen.
Es sind altbekannte Baustellen, welche Sundhage schon lange zu bearbeiten versucht. Insofern stellt sich die Frage, wie dieses Schweizer Team ausgerechnet jetzt in diesem kapitalen Spiel ein anderes Gesicht zeigen will. «Niemand ist glücklich mit der Leistung gegen Frankreich», sagt Sundhage. «Wir müssen aggressiver sein, damit wir früher den Ball gewinnen.»
Aggressiv in der Defensive, smart in der Offensive. So lautet Sundhages Devise. «Auf dem Papier sind wir ziemlich schlau. Wir müssen es einfach auf den Platz bringen.» Die Schwedin versucht, auch im Training kompetitive Situation zu schaffen, welche die Spielerinnen dazu zwingen, aggressiver zu sein, wobei sie auch feststellt, dass dies aufgrund der Mentalität eine Herausforderung ist. Schweizerinnen seien in manchen Situationen zu lieb, findet sie.
Doch die 65-Jährige hofft, dass eine andere Gegebenheit den Kampfgeist in den Spielerinnen noch zusätzlich befeuert. Am 23. Juni wird die Trainerin ihr EM-Kader bekannt geben. Und obwohl Sundhage bestrebt ist, «im Moment zu leben», wie sie es nennt und ergo noch nicht an den Auftakt in die Europameisterschaft am 2. Juli in Basel gegen denselben Gegner zu denken, sagt sie, dass jede Spielerin sich bis dahin noch bestmöglich präsentieren möchte. «Die Spielerinnen wissen nicht, wer an der EM dabei sein wird.»
Die EM. Sie ist noch weit weg. Und doch omnipräsent. Sundhage macht kein Geheimnis daraus, dass sie einen EM-Sieg gegen die Norwegerinnen einem Nations-League-Sieg am Dienstag vorziehen würde. Und doch hätte sie selbstredend am liebsten beides und würde die drei anstehenden Vorbereitungswochen gerne mit dem positiven Gefühl eines Sieges und des geschafften Ligaerhalts in Angriff nehmen.
Dazu gibt es verschiedene Formeln. Gewinnen die Schweizerinnen mit mindestens zwei Toren Unterschied gegen Norwegen, ist der direkte Wiederabstieg in die Liga B abgewendet, und sie hätten sich mindestens die Möglichkeit gesichert, gegen ein zweitplatziertes Team der Liga B den Platz in der Topliga in einer Barrage zu verteidigen.
Ein Sieg mit einem Tor Unterschied könnte ebenso reichen, falls die Isländerinnen den überlegenen und bereits fürs Finalturnier qualifizierten Französinnen einen Punkt abknöpfen. Dann würden die drei Punkte die Schweizerinnen vom Tabellenende direkt auf Platz 2 und damit zum gesicherten Ligaerhalt katapultieren. Sundhage sagt: «Es ist Mathematik. Es ist logisch.» (riz/sda)