Im vergangenen Februar war die Welt eigentlich noch in Ordnung. Der FC Bayern hatte gegen Hertha BSC mit 1:0 gewonnen und den Rückstand auf Tabellenführer Borussia Dortmund auf drei Punkte reduziert. Damit auch ganz Deutschland wissen konnt, dass die kriselnden Bayern wieder da sind, hatte sich Präsident Uli Hoeness höchstpersönlich in den «Sport1»-Talk «Doppelpass» gesetzt und eine glorreiche Zukunft versprochen: «Wenn sie wüssten, was wir alles schon sicher haben für die neue Saison», prophezeihte er damals. Monate später scheint klar: Er sprach von Ivan Perisic, Lucas Hernández und Jann-Fiete Arp.
Fakt ist nach der Verletzung von Transfer-Flirt Leroy Sané: Die Bayern sind ein halbes Jahr nach der Hoeness-Aussage wenig zufrieden mit der eigenen Bilanz auf dem Transfermarkt. Die Saison läuft schon, doch trotzdem fordern Fans, eigene Spieler und Trainer nach weiteren Verpflichtungen in der Offensive. Bayern-Coach Niko Kovac betonte am Mittwoch: «Es ist Fakt, dass wir noch etwas brauchen.»
Aber warum taten und tun sich die Bayern derzeit so schwer bei den Spielerwechseln? Liegt das nur an der plötzlichen Sané-Verletzung und an den Fehlern von Sportdirektor Hasan Salihamidzic, die Fans und Medien immer wieder hervorheben? »Nein«, sagt Nicolas Fink. Fink ist Experte für Markenmanagement und Öffentlichkeitsarbeit im Sport und lehrt an der SRH Fernhochschule »The Mobile University«. Er forscht seit Jahren im Bereich »Strategische Entwicklung von Sportvereinen" und erklärt, dass beim FC Bayern sehr tiefgründige Probleme zusammen kommen.
«Es herrschen Unruhe und ungewohnte Zweifel beim FC Bayern, denn selbst die eigenen Spieler, wie zum Beispiel Robert Lewandowski oder Manuel Neuer, fordern Transfers», erklärt Fink. Für die neuen Transfers rennt den Verantwortlichen jedoch die Zeit davon und der Druck ist enorm: «Alle wissen, dass der FC Bayern unbedingt noch Spieler braucht, wodurch alle anderen Klubs somit höhere Preise fordern können als noch vor einigen Monaten», sagt Fink.
Geld ist ohnehin die grosse Frage des FC Bayern. Das berühmte Festgeldkonto des Rekordmeisters ist zwar noch immer prall gefüllt, doch die Preise für Spieler sind in den vergangenen Jahren explodiert. Uli Hoeness erklärte zuletzt, dass die neuen finanziellen Dimensionen auf dem Transfermarkt auch damit zusammenhängen, «dass ausländische Investoren, Oligarchen, amerikanische Hedgefonds und sogar ganze Staaten wie Abu Dhabi und Katar ins Fussballgeschäft eingestiegen sind.»
An diese veränderten Bedingungen habe sich der deutsche Primus noch nicht gewöhnt, erklärt Fink: «Der FC Bayern scheint derzeit ein grosser Verlierer auf dem Transfermarkt zu sein – denn die Verantwortlichen merken, dass es für den FC Bayern eben nicht mehr so einfach ist, wie noch vor einigen Jahren.» Auch der langjährige Leverkusen-Manager Reiner Calmund erklärte vor einer Woche: »Wenn die Münchner früher jemanden angerufen haben, sass der schon zwei Stunden später im Flieger. Heute hast du zehn Konkurrenten, die mehr Kohle im Sack haben als Bayern München."
Der FC Bayern hat mit Abwehrspieler Lucas Hernandez, der für 80 Millionen Euro von Atlético Madrid kam, schon seinen eigenen Ablöse-Rekord gebrochen. Insgesamt gaben die Münchener 123 Millionen Euro aus. Zum Vergleich: Real Madrid investierte 305 Millionen Euro in neue Spieler, der FC Barcelona 255, Juventus Turin 188 Millionen. Während Klubs, mit denen sich der FC Bayern gerne auf eine Stufe stellt, munter einkaufen, guckte der FC Bayern öfter in die Röhre.
Es ist Fakt: Der FC Bayern kann nicht mehr jeden Spieler kaufen. Beispiel Gareth Bale. Der Waliser darf Real Madrid verlassen und wäre eigentlich der perfekte Spieler für die Aussenbahn der Bayern. Doch über den 30-Jährigen, der seit Wochen keinen Klub findet, wurde offenbar wegen dessen hohen Gehaltsvorstellungen erst gar nicht nachgedacht.
Der Perisic-Transfer passe in dieses Bild, erklärt Fink: «Bei Perisic ist interessant, dass er bei seiner Vorstellung auch unmittelbar festgehalten hatte, dass sobald der FC Bayern anruft, man diesem Klub auch zusagen muss.» Die Leihe von Perisic kostet den FC Bayern lediglich fünf Millionen Euro. Perisic ist zwar amtierender Vizeweltmeister, er hat jedoch nicht den Ruf ein Weltstar zu sein.
Zuletzt wurde dem Rekordmeister auch ein reges Interesse an Barca-Star Philippe Coutinho nachgesagt. Der Brasilianer kostete die Katalanen vor anderthalb Jahren noch 160 Millionen Euro. «Bei Coutinho wurde seitens des Spielers aber auch des Klubs geäussert, dass das Angebot nicht den Ansprüchen gerecht wird», erklärt Fink. «Woraus deutlich wird, dass finanzielle Aspekte doch überwiegen im Gegensatz zu sportlicher Entwicklung oder einer europäischen Stellung des bayerischen Klubs.»
Es geht aber nicht nur um Geld. Das Transfer-Dilemma des Klubs ist aber viel tiefgründiger, sagt Fink: «Der FC Bayern merkt, dass es nicht nur um neue Spieler geht, sondern auch um das Selbstverständnis des Vereins.» Zuletzt zweifelten Fans und auch potenzielle Neuzugänge am «Mia san Mia»-Selbstverständnis des FC Bayern. Will heissen: «Uns kann keiner was». Fink sagt: «Ein Transfer von Sané wäre von der Grösse und Tragweite wichtig gewesen, weil die Verantwortlichen damit selbst klarstellen, dass man noch immer der grosse FC Bayern München ist.»
Anders als beispielsweise sein grösster Kontrahent Borussia Dortmund. Der BVB kaufte innerhalb von nur wenigen Tagen mit Julian Brandt, Thorgan Hazard und Nico Schulz drei starke Spieler, die der Klub zu Stars weiterentwickeln will. «Der BVB hat sich über die vergangenen Jahre als Marke positioniert, die für emotionalen und leidenschaftlichen Fussball steht», erklärt Fink. Die Bayern haben es schwerer, da sie sich anders als der BVB schon fertige Superstars kaufen wollen. «Der FC Bayern hat eine andere Klientel: Sie haben den Champion-Anspruch und alles wird an Titeln gemessen – was auch vollkommen okay ist.»
Das Problem der Bayern: Während die Superstars zu teuer waren, sind die günstigeren Spieler für die Bayern offenbar keine Option. Hakim Ziyech, Steven Bergwijn oder Timo Werner wären alle bezahlbar für den FC Bayern, doch zuletzt hiess es von einigen dieser Spieler, dass sie sehr lange auf eine Antwort der Bayern warten mussten, weil die von Leroy Sané träumten. Verständlich
Sané würde perfekt zum Bayern-Anspruch passen: Der 23 Jahre alte Nationalspieler Sané ist noch jung, hat sich bei Manchester City schon einen Namen als kommender Superstar gemacht und wäre ein Ausrufezeichen des FC Bayern. Sané ist der kommende deutsche Superstar. Er könnte sich in den nächsten Jahren bei konstanten Leistungen zum Weltfussballer schiessen und eine ganze Ära prägen. Für die Bayern, die stets die besten deutschen Spieler in ihren eigenen Reihen haben wollen, wäre er ein wichtiges Mosaiksteinchen.
Ein Sané-Wechsel ist nach wie vor möglich. Sportmarketing-Experte Fink: «Sané ist meiner Ansicht nach immer noch ein interessanter Transfer, welchen man eventuell nach der Verletzung auch zu günstigeren Konditionen abwickeln könnte, allerdings muss man anmerken, dass Manchester City keinerlei Zugzwang hat den Spieler abzugeben.»
Ob ein Coutinho, Bale oder Sané nun vor dem 2. September zum FC Bayern kommen, wird einiges über die Ruhe und Unruhe im Verein entscheiden. Nicolas Fink sagt aber, dass vor allem nur Pokale helfen, um aus dieser Krise herauszukommen: «Der FC Bayern München kann ein klares Statement hierzu auf dem Fussballplatz abliefern.» Und das heisst beim Saisonauftakt gegen Hertha am Freitagabend zu gewinnen. Und am besten dann sofort die Champions League. (tam)
Diese Aussage zeigt doch die aktuelle herreschende Perversion perfekt. Ein Topklub zeichnet sicher scheinbar dadurch aus, möglichst viel Geld zu verbrennen.
Das Bayern da zurückhält ist nur vernüftig. Auf Ölscheichs oder ähnlichem baut man kein solides Fundament.
Grossen Dank!