«Es reicht – alle nach Bern!»: Dieser Aufruf macht gerade die Runde unter Schweizer Fussballfans. Er steht auf der Website der Basler Muttenzer- und der Zürcher Südkurve, auf jener des Espenblocks aus St. Gallen wie der United Supporters Luzern. Auch die Fans von kleineren Klubs machen mit, etwa in Aarau oder Thun.
Normalerweise haben diese Fankurven nicht viel gemein, teilweise sind sie sich sogar spinnefeind. Doch jetzt spannen sie alle zusammen. Es geht um einen Machtkampf, der im Schweizer Fussball schon länger schwelt. Hier die Fussballfans. Dort die Behörden, die in den letzten Monaten ihre Gangart deutlich verschärften – und immer wieder zu einem Instrument griffen, das Fussballfans seit jeher bekämpfen: Kollektivstrafen.
«Auf Kollektivstrafen folgen kollektive Antworten», steht im Aufruf, den die Kurven wortgleich aufgeschaltet haben. Und weiter: Die Behörden hätten seit Saisonbeginn schweizweit eine «Eskalationsspirale» in Gang gesetzt. Dem sage man den Kampf an, und zwar gemeinsam. Schon in der Vorrunde hatten die Fans Aktionen organisiert, verliessen etwa ihren Sektor bei Heimspielen oder erzwangen Spielunterbrüche, indem sie Pyros zündeten.
Alain Brechbühl ist der bekannteste Fanforscher im Land. Er ist Projektverantwortlicher der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen der Universität Bern. Der Berner beobachtet die hiesigen Fussballfans schon länger. Er sagt, es sei schon öfter vorgekommen, dass Fanlager gemeinsam Zeichen aussendeten. «Ein solcher Aufruf ist für mich aber etwas Neues», so Brechbühl.
Am Wochenende, wenn die Super League nach der Winterpause ihren Betrieb wieder aufnimmt, sind in Bern und in Lausanne die Sektoren der Heimfans gesperrt. Die Behörden reagieren damit auf Zwischenfälle bei Spielen in der Hinrunde.
Am 9. Dezember war es beim Spiel zwischen Lausanne und Servette zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen gekommen. Sicherheitskräfte wurden angegriffen, ein Polizist verletzt. In der Folge sperrte die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden die Heimsektoren beider Fanlager beim nächsten Heimspiel.
Bereits Ende September hatten Fans der Berner Young Boys beim Gastspiel ihres Klubs in Zürich Busse der Zürcher Verkehrsbetriebe beschädigt und einen Chauffeur laut Behördenmitteilung «mit dem Tod» bedroht. Auch hier reagierten die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden mit einer Sektorsperrung – in diesem Fall aber nicht für das nächste YB-Heimspiel, sondern für das nächste Spiel gegen GC.
Die Sektorsperrungen zeugen von der neuen Härte, mit der die Behörden seit einem guten Jahr gegen Fangewalt vorgehen. Lange machten die lokalen Bewilligungsbehörden – mal die Stadt, mal der Kanton – was sie gerade für richtig hielten. Doch seit dem letzten Jahr gehen die Behörden einheitlicher vor. Sie tun das nach Zwischenfällen bereits seit dem letzten Sommer – und arbeiten parallel an einem Kaskadenmodell, das genau festlegen soll, wann welche Massnahme greift.
Dieses Modell soll Ende Februar vorliegen. Wohin die Reise geht, zeigen schon der Vernehmlassungsentwurf und die zuletzt verhängten Sektorensperrungen, Stichwort eben: Kollektivstrafen.
In Bern, wo sich die Fans am kommenden Wochenende versammeln wollen, heisst der Sicherheitsdirektor Reto Nause. Ihn sprechen die Anhänger in ihrem Aufruf ganz direkt an als «eine der treibenden Kräfte der Eskalationsstrategie». Der Mitte-Gemeinderat sagt dazu: «Es ist normal, dass man als Politiker hin und wieder den Kopf hinhalten muss.»
Zur Ankündigung der Fans mag er sich nicht gross äussern. Sagt nur, dass man Kenntnis habe vom Aufruf im Netz. Und sich entsprechend vorbereite. Ein Demonstrationsgesuch der Fussballfans ist in Bern nicht eingegangen. Nause bedauert das. «Auf diese Weise liesse sich ein Dialog etablieren, die Situation wäre verlässlicher», sagt er.
Eine verlässliche Situation soll es am Wochenende wohl gerade nicht werden für die Behörden. Doch was sind mögliche Szenarien? Fanforscher Brechbühl sagt, auch für ihn sei die Fan-Aktion eine «Blackbox», der Aufruf lasse viele Fragen offen.
Es gibt laut Brechbühl verschiedene Szenarien. Denkbar sei etwa eine gemeinsame Demonstration. Aber auch, dass die Fangruppen sich an verschiedenen Orten aufhalten, eine Art Katz-und-Maus-Spiel – mit dem Ziel, die Massnahmen der Behörden «ins Leere laufen zu lassen», wie Brechbühl es formuliert. Generell geht er davon aus, dass die Fussballfans «eine kreative, friedliche Antwort» geben werden auf die jüngsten Entscheide der Behörden.
Und was sagen eigentlich die Fussballklubs? Der FC St. Gallen, der FC Luzern und der FC Basel liessen lediglich und unisono wissen, dass man Kenntnis habe vom Aufruf, ihn aber nicht weiter kommentieren werde.
Wenn man diese nicht selber aus der Fangruppe/Kurve wirft, ja was sollen die Behörden dann machen? Weiterhin einfach zuschauen??