Als Alphonso Davies am 2. November im Jahr 2000 das Licht der Welt erblickt, durchlebt seine Familie eine schwierige Phase. Victoria und Debeah Davies, die Eltern von Alphonso, leben zur Zeit im Flüchtlingscamp Buduburam im Süden Ghanas.
Die Familie Davies hat ihre Heimat Liberia kurz zuvor verlassen. Ein Bürgerkrieg wütet damals im ganzen Land, auch in der Hauptstadt Monrovia, wo Victoria und Debeah zuvor gelebt haben. Die Flucht nach Ghana, über 1000 Kilometer von zuhause entfernt, ist die einzige Option gewesen, um der Familie ein sicheres Leben zu ermöglichen.
Auch im Camp Buduburam ist das Leben der Familie Davies kein einfaches. «Es ist sicher, aber es ist hart», so wird es Vater Debeah Davies später beschreiben. Der Bürgerkrieg ist weit weg, doch der Hunger macht den Bewohnern des Camps zu schaffen. Die Eltern haben Schwierigkeiten damit, jeden Tag etwas Essbares für sich und den kleinen Alphonso zu finden.
Erst im Jahr 2005 darf sich die Familie Hoffnung machen, dass sie das Camp bald verlassen kann. Es gab ein Neueinsiedlungs-Programm, um einigen Flüchtlingen im Ausland ein neues Leben zu ermöglichen. Auch Debeah Davies meldet sich und bewirbt sich für ein Programm in Kanada. Und die Familie hat tatsächlich Glück. Nach einigen Gesprächen wird sie angenommen. So verlässt Alphonso Davies im Jahr 2006 im Alter von fünf Jahren erstmals Ghana. Windsor, eine Stadt im Bundesstaat Ontario, soll die neue Heimat der Familie Davies werden.
Doch auch in Kanada ist das Leben für die Flüchtlinge zu Beginn nicht leicht. In Windsor gelingt es den beiden Eltern nicht, Arbeit zu finden. Es folgt der nächste Umzug ins knapp 1600 Kilometer entfernte Edmonton. Und dort beginnt für die Familie ein neues Leben: Beide Eltern finden einen Job, beide müssen zwar Überstunden machen, doch so reicht es, um die Kinder zu versorgen. Auch der junge Alphonso muss somit schon früh zuhause mithelfen. Da seine Eltern jeweils lange arbeiten müssen, ist er nach der Schule für seine zwei kleinen Geschwister zuständig.
Trotz dieser Verantwortung hat der Junge Freude am Leben. Auch in der Schule fällt Alphonso positiv auf. Er ist ein fröhlicher Bub, immer mit einem Lächeln im Gesicht. Melissa Guzzo, die Lehrerin von Davies an der Mother Teresa Catholic School, hat Freude am Jungen, der erst seit Kurzem nach Kanada gekommen ist. Zudem fällt ihr sofort auf: Alphonso spielt richtig gut Fussball.
So nimmt Guzzo mit Tim Adams Kontakt auf. Adams ist der Gründer von Free Footie, einer Fussball-Liga für Schulkinder. Und auch dieser ist sogleich begeistert von den Fähigkeiten des Alphonso Davies. Nicht nur das fussballerische Talent imponiert Adams – er merkt gleich, dass Davies noch eine zweite wichtige Komponente mitbringt. Auch später wird er sich noch erinnern: «Alphonso hatte die richtige Einstellung. Er war viel mehr als ein Kind, das den Ball ins Netz schiessen konnte.»
Adams wird sogleich bewusst, dass Davies' Talent gefördert werden soll. Er meldet sich bei Marco Bossio, dem Trainer der Fussball-Akademie der lokalen St. Nicholas Catholic Junior High. Er solle den jungen Davies bei einem Turnier beobachten, bittet Adams. Und auch Bossio ist sofort überzeugt von den Qualitäten des jungen Talentes. Er ist sich mit Adams einig: Dieser Junge ist etwas Besonderes. So bittet er Alphonso einen Platz in seiner Mannschaft an – und dieser akzeptiert sogleich.
Während seiner Zeit an der St. Nicholas Catholic Junior High School beginnt Davies damit, von einer Karriere als Profi zu träumen. Wie es Adams und Bossio geahnt haben, trainiert Davies seriös weiter, auch wenn er bereits zu den Besten der Schule gehört. «Be humble. Keep working», «sei bescheiden, arbeite weiter», hört er immer wieder von seiner Mutter Victoria.
Und so geht der Aufstieg weiter: Erst spielt Davies für die Edmonton Internationals, dann für die Edmonton Strikers. Vor allem bei den Strikers fühlt sich Davies von Beginn weg richtig wohl. Der junge Alphonso hat eine enge Verbindung zu Trainer Nick Huoseh, der sein Talent sofort erkennt. Wenn die Eltern arbeiten müssen, fährt Huoseh den Youngster an seine Spiele. Wenn die Familie knapp bei Kasse ist, kauft er ihm ein neues Paar Schuhe.
Im Jahr 2013 kommt Davies erstmals mit einem grossen Klub in Kontakt. Das MLS-Team der Vancouver Whitecaps ist auf den Shootingstar aufmerksam geworden und lädt ihn zu einem Probetraining ein. Doch der Schritt ist noch zu gross: Der 13-jährige Davies ist schüchtern und zurückhaltend, Vancouver entscheidet sich gegen eine Verpflichtung – noch.
Dennoch bleiben die Whitecaps an Davies dran. Sie verfolgen seine Leistungen weiter und laden ihn ein Jahr später erneut zu einem Probetraining ein. Alphonso ist gewachsen, er ist nochmals selbstbewusster, kräftiger und besser geworden. So packt er die Chance und Vancouver bietet ihm einen Platz in der Akademie an. Davies nimmt sofort an, auch wenn er weiss, dass so der nächste Umzug ansteht. Weg aus Edmonton, erstmals weg von den Eltern.
Seine Mutter ist besorgt und will ihn erst nicht gehen lassen. Erst nach einem Gespräch mit Trainer Huoseh, der mittlerweile zum Familienfreund geworden ist, kann sie sich so langsam mit dem Gedanken anfreunden. Als ihr Alphonso verspricht, dass er abseits der Familie nicht zum Bad Boy wird und die Schule abschliesst, lässt Victoria Alphonso schliesslich ziehen. Gleichzeitig überzeugt sie Huoseh, ihrem Sohn als Berater zur Seite zu stehen. Dieser zögert, schliesslich hat er als Elektroingenieur keinerlei Erfahrung im Agenten-Business, sagt dann aber doch zu – und sollte bis heute Berater von Davies bleiben.
Family friend Nick Huoseh helping guide Canadian teenager Alphonso Davies’ soccer career https://t.co/OxJ12zYmRJ @Globe_Sports pic.twitter.com/h4QQV8oOET
— The Globe and Mail (@globeandmail) April 29, 2020
In Vancouver legt Davies einen kometenhaften Aufstieg hin, den die Whitecaps in dieser Form noch nie erlebt haben. Eigentlich soll Davies in der U16 behutsam aufgebaut werden. Doch er spielt so gut, dass er innerhalb von wenigen Monaten erst in die U18, dann in die Reserven und schliesslich in die erste Mannschaft geholt wird. Am 17. Juli 2016 gibt er schliesslich als 15-Jähriger sein Debüt in der MLS. Damit ist er nach Freddy Adu der zweitjüngste Debütant der Geschichte der Liga.
Nach seinem Wechsel nach Vancouver schreibt Alphonso Davies auch für die Nationalmannschaft Geschichte. Eine Woche nach seiner Einbürgerung kommt er am 14. Juni 2017 zu seinem ersten Einsatz für Kanada, in einem Testspiel gegen Curaçao. Mit 16 Jahren wird er so zum jüngsten Länderspiel-Debütanten der Geschichte, einen knappen Monat später ist er nach einem Tor gegen Französisch-Guyana ausserdem der jüngste kanadische Torschütze.
In der MLS muss sich Davies ebenfalls nicht lange gedulden, bis er regelmässig zum Einsatz kommt. In der Saison 2017 kommt er vermehrt als Joker zum Einsatz, 2018 ist er noch vor seinem 18. Geburtstag Stammspieler. Acht Tore und zehn Assists gelingen Davies, damals noch als Flügelstürmer im Einsatz, in den 31 Saisonspielen. So werden auch die ganz grossen Vereine der Welt auf den Offensivspieler aufmerksam. Im Sommer 2018 verpflichtet schliesslich Bayern München per Anfang 2019 das Supertalent. Gut 10 Millionen lässt sich der deutsche Rekordmeister Davies kosten. Damit ist er heute noch der zweitteuerste Abgang der MLS.
Trotz den guten Leistungen in Nordamerika sind viele Fussball-Fans in Europa zu Beginn etwas skeptisch. Ein Kanadier? Aus der MLS? Viele trauen Davies den Sprung in ein Topteam nicht zu. Schliesslich sind beim grossen FC Bayern immer wieder Talente gescheitert, wie etwa zuletzt der einstige portugiesische Shootingstar Renato Sanches.
Doch Davies setzt sich nach etwas Anlaufzeit tatsächlich durch. In der Rückrunde der Saison 2018/19 kommt er unter Niko Kovac zu ersten Teileinsätzen und in der laufenden Spielzeit schafft er unter Hansi Flick endgültig den Durchbruch.
Als linker Aussenverteidiger brilliert Davies mit seinem Tempo und seinem Offensivdrang. Vor allem zum Ende der Saison hin spielt er stark auf, wird im Mai Spieler des Monats bei den Bayern. Auch dank den überraschend starken Leistungen des Kanadiers fängt sich der Rekordmeister nach verpatztem Saisonstart und holt sich doch noch den achten Meistertitel in Serie. Zweifel am Davies-Transfer hat mittlerweile niemand mehr. Im Gegenteil: Die gut 10 Millionen Euro Ablösesumme stellt mittlerweile niemand mehr in Frage, mittlerweile ist sein Marktwert auf 41 Millionen angestiegen. Auch deshalb haben die Bayern Davies' Vertrag vorzeitig bis 2025 verlängert.
Trotz seines momentanen Erfolges hat Alphonso Davies das Kredo seiner Mutter nie vergessen. «Be humble. Keep working», dies lebt der Shootingstar weiterhin. Mittlerweile setzt sich Davies selbst aktiv für Flüchtlinge ein. Er unterstützt etwa den Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen UNHCR. Damit vielleicht eines Tages weitere Kinder aus schwierigen Verhältnissen die Chance haben können, eine Geschichte wie die seine zu schreiben.