Diese 76. Minute würde Granit Xhaka wohl gerne noch einmal zurückhaben. Der Schweizer Führungsspieler zeigte gegen Weltmeister Frankreich eine hervorragende Partie und war trotz der vielen Weltstars beim Gegner der beste Spieler auf dem Platz. Doch im Viertelfinal gegen Spanien wird der Captain der Nati fehlen. Nach der Gelben Karte in ebenjener 76. Minute ist Xhaka gesperrt. Es war eine unnötige Verwarnung – der Mittelfeldakteur meckerte beim Schiedsrichter nach einem Foulpfiff gegen die Schweiz.
Es war bestimmt auch etwas Frust dabei, da das Tor von Paul Pogba zum 3:1 nur wenige Augenblicke her war und die Schweiz von einem nächsten Spiel, in dem Xhaka dann gesperrt wäre, meilenweit entfernt war. Bekanntermassen sollte es anders kommen, auch dank des 28-jährigen Arsenal-Söldners. Die Schweiz schaffte die Überraschung gegen den übermächtig scheinenden Weltmeister und so wird Xhakas Lamentieren ihn doch noch eines der grössten Spiele seiner Karriere kosten.
Nun steht Vladimir Petkovic vor einem Problem. Er muss einen Ersatz finden für seinen Captain, der in diesem Teamgefüge eigentlich unersetzbar ist. Der Stellenwert und der Einfluss von Granit Xhaka sind im Spiel gegen Frankreich, aber auch bereits gegen die Türkei, mehr als deutlich geworden.
Das Paradebeispiel für die Unersetzbarkeit des Captains ist aber wohl das EM-Quali-Spiel gegen Dänemark aus dem März 2019. Die Schweiz kontrollierte die Partie und führte souverän mit 3:0, als Nati-Trainer Petkovic den Torschützen zum 2:0 in der 79. Minute vom Spielfeld nahm. Ohne Xhaka veränderte sich das Auftreten der Schweizer im Handumdrehen – sie waren wie versteinert und die Souveränität der ersten achtzig Minuten wie verflogen. Innerhalb von zehn Minuten kassierte die Schweiz drei Tore und musste sich am Ende mit einem Unentschieden zufriedengeben.
Seit der Basler die Captainbinde übernommen hat, ist die Nati ohne ihn ein ganz anderes Team als mit ihm. Dies verdeutlichten auch die Freundschaftsspiele gegen Belgien und Finnland noch einmal. Im November 2020 geht Granit Xhaka gegen Belgien nach der ersten Halbzeit beim Stand von 1:0 aus Schweizer Sicht vom Feld. Die Nati verliert noch mit 1:2. Im März dieses Jahres liegt die Schweiz gegen Finnland zur Halbzeit zurück. Dann kommt Granit Xhaka, die Nati wird direkt besser und kann das Spiel noch drehen.
Im ersten Viertelfinalspiel der Schweiz an einem grossen Turnier seit 1954 wäre ein Spielertyp wie Xhaka essenziell, doch so sehr er und die Fans sich wünschen würden, dass er sich in der 76. Minute zurückgehalten hätte – er wird nicht dabei sein. Jetzt liegt es an Coach Vladimir Petkovic, die Mannschaft auch ohne ihren Captain so einzustellen, dass sie gegen Spanien bestehen kann. Für die Position neben Remo Freuler stehen ihm drei Optionen zur Verfügung.
Eins zu eins ersetzen kann man Granit Xhaka nicht, doch Denis Zakaria kommt ihm von den Möglichkeiten im Schweizer Team noch am nächsten. Ähnlich wie der Gesperrte ist der 24-jährige Genfer ein eher defensiver Mittelfeldspieler und konnte trotz seines jungen Alters bereits einige Erfahrungen auf höchstem Niveau sammeln. Aufgrund seiner Schnelligkeit könnte er gegen balldominante Spanier ein wichtiger Störfaktor im Passspiel des Gegners sein.
Zakaria startete mit Borussia Mönchengladbach nach überstandener Verletzung stark in die Saison und war einer der Leistungsträger beim Team von Marco Rose. In der Rückrunde konnte er jedoch kaum noch überzeugen und wurde an der EM auch für seine Leistung nach der Einwechslung gegen Wales scharf kritisiert. Bis zu seiner Verletzung war Zakaria in der Nationalmannschaft neben Granit Xhaka aber gesetzt und konnte regelmässig überzeugen. Der ehemalige YB-Spieler scheint die wahrscheinlichste Wahl von Petkovic zu sein.
Sow hat in Frankfurt eine gute Saison hinter sich. Beim Bundesliga-Fünften war er gesetzt und konnte vor allem in der Defensive überzeugen. Beim Stören des gegnerischen Passspiels gehörte er zu den besten Mittelfeldspielern der europäischen Topligen. Im Vergleich zu Zakaria kann er aber auch offensiv etwas mehr beitragen. Djibril Sow ist dem Gladbacher bei den Pässen nach vorne überlegen und hat insgesamt die bessere Saison gespielt als Zakaria.
Dennoch ist der 24-Jährige in der Nationalmannschaft noch nicht wirklich zum Zug gekommen. Erst zwei Freundschaftsspiele durfte er über 90 Minuten absolvieren. An der EM kam er bisher nur sechs Minuten gegen Italien zum Einsatz, als das Spiel schon längst entschieden war. Ob Petkovic dem zweifachen Schweizer Meister nun in einem so immens wichtigen Spiel das Vertrauen ausspricht, darf bezweifelt werden.
Die grösste Überraschung als Xhaka-Ersatz wäre Edimilson Fernandes. Der Mittelfeldspieler des FSV Mainz kam aufgrund von Verletzungen und Nichtberücksichtigung des Trainers im Klub nur wenig zum Einsatz. Sein letztes Pflichtspiel über mehr als 60 Minuten war im Januar. Die fehlende Spielpraxis spricht gegen den Cousin von Gelson Fernandes, der die Schweiz 2010 gegen Spanien zum Sieg schoss.
In der Nationalmannschaft hat Edimilson mit 22 Spielen aber sechs Einsätze mehr als Sow sammeln können und bekam das Vertrauen von Petkovic auch in Pflichtspielen bereits über 90 Minuten ausgesprochen. In den meisten Fällen spielte er dort aber auf der rechten Seite oder im offensiven Mittelfeld. An der EM stand er dreimal nicht im Kader und kam auch gegen Frankreich nicht zum Zug.
Falls Vladimir Petkovic bei seiner bevorzugten 3-4-1-2-Formation bleibt, sind Zakaria, Sow und Fernandes die drei möglichen Optionen für die Position im zentralen Mittelfeld neben Remo Freuler. Die Erfahrung in der Nationalmannschaft spricht für Zakaria, die Leistungen in der vergangenen Saison etwas mehr für Sow. Wem der Nati-Trainer das Vertrauen ausspricht, wissen wir spätestens am späten Freitagnachmittag. Doch nun seid ihr gefragt: