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EM 2020: So zerfleischen sich die Franzosen nach dem Achtelfinal-Aus

France's Kylian Mbappe reacts after a missed scoring opportunity during the Euro 2020 soccer championship round of 16 match between France and Switzerland at the National Arena stadium, in Buchar ...
Kylian Mbappé verschoss gegen die Schweiz den entscheidenden Elfmeter.Bild: keystone

«Kein Miteinander, kein Spirit» – wie sich die Franzosen nun selbst zerfleischen

In Frankreich beginnt nach dem Achtelfinal-Out gegen die Schweiz die Abrechnung mit Team und Trainer. Der Weltmeister sei für seine Leistung zu Recht bestraft worden, so der Tenor.
29.06.2021, 13:1629.06.2021, 15:39
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Frankreich war nach dem Achtelfinal-Schock zu sehr mit sich selber und seinen Schwächen beschäftigt, um im Detail auf die Leistung der Schweizer einzugehen. Didier Deschamps musste Fragen zu seiner Taktik und auch zu seiner Zukunft beantworten. Der Gegner war weniger ein Thema, auch wenn der Nationaltrainer betonte: «Wir haben gegen eine starke Schweizer Mannschaft verloren.»

Konkreter wurde der frühere französische Internationale Patrick Vieira, der für einen englischen TV-Sender arbeitet: «Wir müssen der Schweiz gratulieren, weil ich davon überzeugt bin, dass die bessere Mannschaft gewonnen hat. Ich bin wirklich enttäuscht von der Einstellung, die die Franzosen auf dem Platz gezeigt haben. Es gab kein Miteinander, keinen Spirit. Es war eine schlechte französische Mannschaft.»

Vor allem Pogba wird von Vieira und Co. harsch kritisiert.Video: streamable

«L'Equipe», die massgebliche Stimme im französischen Sport, sah das ähnlich wie Vieira, der ehemalige Teamkollege von Deschamps. Sie schrieb, Frankreich habe den Achtelfinal konzeptlos begonnen und kopflos beendet. Das Team sei nicht zufällig bestraft worden, zu vieles hätte nicht gestimmt, beginnend bei der defensiven Leistungen. Es habe spätestens ab dem zweiten EM-Spiel der klare taktische Rahmen gefehlt. Die Folge waren auch Fehler, wie jener von Paul Pogba vor dem 3:3, «ein Ballverlust in einer Zone und zu einem Zeitpunkt, den sich ein Spieler seines Niveaus nicht verzeihen kann».

«Wohl nicht mehr verdient»

Frankreichs Spieler und Trainer tun wohl gut daran, in den nächsten Tagen den Sportteil in den Medien zu meiden. Auch wenn die letzten neun Jahre unter Deschamps bis zur Niederlage gegen die Schweiz ein stetiger Aufstieg waren, werden die Entscheide des Coaches während der letzten Woche speziell seziert. «Er hinterliess den Eindruck, als würde er nichts im Griff haben bei dieser EM», gab «L'Equipe» schon mal den Ton vor.

«Ich sage, er ist nicht weit davon entfernt, zurückzutreten», sagte Jeremy Rothen, Ex-Nationalspieler und Experte beim Sender RMC: «Da ist etwas kaputtgegangen, und er muss sich fragen, ob er die Kraft hat, sich neu zu erfinden.» Sollte er einen «Lichtblick erkennen» werde er sicher weitermachen, glaubt Rothen, der einst unter Deschamps in Monaco spielte und ein gutes Verhältnis zu ihm pflegt. Er glaubt jedoch, dass sich der Trainer «nur schwer davon erholen» wird. Deschamps ist seit 2012 im Amt und hat einen Vertrag bis nach der WM 2022 in Katar.

Der frühere Bayern-Profi Willy Sagnol kritisierte als Experte der «Equipe» die vielen taktischen Wechselspiele des Weltmeister-Trainers. «Ich war sehr überrascht über all diese Tests. Das war unser viertes Spiel, das sechste inklusive der Vorbereitung, und in sechs Spielen haben wir vier verschiedene Systeme ausprobiert», beklagte Sagnol: «War das nötig? In der ersten Halbzeit hat das Team alle Orientierung verloren. Und das war fatal.»

Deschamps misslang definitiv, was er sich vorgenommen hatte. Er wollte seinem Team neues offensives Leben einhauchen und holte dafür Karim Benzema in die Mannschaft zurück. Dieser war an der EM zwar der mit Abstand beste Torschütze der Franzosen, er machte aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger Olivier Giroud die anderen Stürmer nicht besser. Es ging bei der EM verloren, was noch die grosse Stärke bei der WM gewesen war: defensive Sicherheit und gelebte Solidarität.

Wie Deschamps nun den Schaden beheben will, liess er in seinen ersten Reaktionen offen. «Es wird Zeit brauchen, um das zu verdauen», sagte der 52-Jährige. «Wir müssen uns eingestehen, dass wir wohl nicht mehr verdient haben.» Man habe zusammen wundervolle Dinge erlebt, nun sei die Zeit gekommen, auch in einem schwierigen Moment zusammen zu stehen. (pre/sda)

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Damorino
29.06.2021 13:39registriert Juli 2017
Es braucht schon brutale Willensstärke, ein 3:1 gegen den amtierenden Weltmeister aufzuholen und dann im Elfmeterschiessen konzentriert jeden Elfer zu versenken. Trotzdem finde ich es in Ordnung, dass sich Frankreich jetzt auf die eigenen Baustellen konzentriert und Massnahmen einleitet - Sie sind momentan in einer "Waren wir schwächer oder der Gegner stärker?"-Phase, und die Verarbeitung braucht Zeit. Trotzdem Glückwunsch an unsere Jungs, 120 Minuten kühlen Kopf bewahrt zu haben.
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Glenn Quagmire
29.06.2021 13:38registriert Juli 2015
Immer diese Experten...vor allem Ex Spieler sollten einfach mal die Fre**e halten. Sie haben auch Fehler gemacht als sie aktiv waren.

Wahre Grösse zeigt sich halt erst in der Niederlage.
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bossac
29.06.2021 14:23registriert Juni 2014
Vielleicht habe ich ja jetzt einfach die Schweiz-Brille auf, aber so schlecht wie hier dargestellt haben die Franzosen nicht gespielt. Es gab bestimmt einige Schwächen, aber immerhin haben sie 3 Tore geschossen und waren kurz vor dem Sieg. Am Ende hat die Schweiz sackstark gekämpft und auf Augenhöhe zurück ins Spiel gefunden. Das Penalty-Schiessen war dann sicherlich auch ein bisschen Glück, jedoch verdient gewonnen :)
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