Nein, es ist kein alltäglicher Cupfinal, der am Sonntag (14 Uhr im watson-Liveticker) im Berner Wankdorf ansteht; Servette gegen Lugano, diese Konstellation gab es erst einmal, vor über 50 Jahren, im Jahr 1971. Die Genfer gewannen damals 2:0.
Jetzt also wieder: Servette gegen Lugano, im Cupfinal, und diesmal steht die Affiche für etwas Grösseres. Sie bringt eine Entwicklung im Schweizer Klubfussball auf den Punkt, oder, wer es gerne etwas grösser hat: eine Machtverschiebung.
Die Young Boys sind der unangefochtene Dominator und bleiben das auf Sicht auch. Doch die Nummern zwei und drei heissen jetzt nicht mehr Basel, heissen auch nicht Zürich, Luzern, St. Gallen oder gar GC, nein: Sie heissen Lugano und Servette.
Zuletzt waren die beiden Klubs zwei Mal die ersten Verfolger der Berner, belegten je einmal den zweiten und dritten Platz. Lugano gewann daneben 2022 den Cup und steht am Sonntag zum dritten Mal in Folge im Final.
Die lateinische Schweiz ist zurück an der Spitze des Schweizer Fussballs, und zwar in Gestalt zweier Klubs, deren jüngere Geschichte von vielen Turbulenzen geprägt ist. Servette und Lugano waren seit der Jahrtausendwende öfter mal die Sorgenkinder der Fussball-Schweiz.
In beiden Klubs waren zwielichtige Figuren am Werk, die viel versprachen und wenig hielten. Die Geld ausgaben, das gar nicht da war, oder solches, das sie anderswo aus der Kasse genommen hatten.
Beide Klubs gingen Konkurs, versanken in unteren Ligen, rappelten sich wieder auf. Servette spielte noch im Jahr 2016 in der drittklassigen Promotion League. Lugano verlor einst gar seinen Namen, hiess vorübergehend AC statt FC.
Zuvor war Helios Jermini Präsident gewesen. Der Treuhänder hatte den Klub jahrelang geführt – und steuerte 2002 sein Auto in den Luganersee. Später stellte sich heraus, dass Jermini Dutzende Millionen veruntreut und auch in die Kassen von Lugano geleitet hatte.
Im gleichen Jahr übernahm in Genf ein gewisser Marc Roger die Macht. Der Franzose warf mit Geld um sich, unter anderem für Christian Karembeu, den französischen Weltmeister. Doch bald war Servette insolvent. Und Roger im Gefängnis.
Ein paar Jahre später kaufte der Iraner Majid Pishyar den Klub, auch er hatte grosse Pläne im Gepäck. Die entpuppten sich bald wieder als heisse Luft, und wieder drohte der Konkurs. Diesmal rettete Hugh Quennec den Klub, das war 2012. Und dann brauchte Quennec 2015 selbst Hilfe.
Wilde Geschichten sind das, doch sie gehören der Vergangenheit an, in Lugano wie in Genf. An beiden Standorten gibt es jetzt zwei Zutaten, die andernorts fehlen: Geld und Geduld.
Als Hugh Quennec 2015 in Genf um Hilfe rief, antwortete Didier Fischer, ein lokaler Unternehmer. Er brachte gute Kontakte mit – und die Millionen der Stiftung von Hans Wildorf, dem Rolex-Gründer. Seither wächst der Klub kontinuierlich, aber mit Bedacht. 2019 kam er wieder in der Super League an.
Während anderswo – ja, gemeint ist gerade Basel – zuletzt Sommer für Sommer kein Stein auf dem anderen blieb, haben bei Servette fünf Spieler aus dem Aufstiegsteam bis heute zentrale Rollen inne, etwa Goalie Frick oder Mittelfeldmann Cognat. Trainer hatte Servette seit Sommer 2018 zwei, in Basel waren es neun, beim FCZ acht.
In Lugano wiederum beweist Besitzer Joe Mansueto, dass es für einen Schweizer Klub auch ein Segen sein kann, zu einem der Fussball-Netzwerke zu gehören, die gerade um die ganze Welt gespannt werden. Mansueto, ein US-Milliardär, hat den Klub 2021 übernommen.
Die Idee stammte von Georg Heitz, dem langjährigen Sportchef des FC Basel, der für Mansueto auch den US-Klub Chicago Fire führt. In Lugano hat Heitz nun eine Führungscrew installiert, die den Klub und etwas vom Schweizer Fussball versteht. Die - etwa mit Trainer Mattia Croci-Torti - Tessiner Lokalkolorit verströmt. Und sie mit Mitteln ausgerüstet, um einen gut abgemischten Kader zusammenzustellen. Lausanne und GC, den anderen Schweizer Netzwerk-Klubs, fehlen diese Ingredienzien schmerzlich.
Ohne Geld wäre die Aufstiegsgeschichte von Lugano und Servette freilich nicht möglich gewesen. Und damit, zum Schluss, zum ihrem Schönheitsfehler. Beide Klubs, Lugano und Servette, hantieren mit Millionen, die sie nicht selbst erwirtschaften können, sie stammen aus der Kasse von Mansueto und Rolex. Das ungefähre Ausmass zeigen die SFL-Finanzkennzahlen, Posten «sonstige betriebliche Erträge». In Lugano haben sie für 2023 fast 20 Millionen angegeben, in Genf 14, bei Einkünften von insgesamt 29,5 (Lugano) und 23,4 Millionen.