Acht Treffer in 180 spektakulären Champions-League-Minuten gegen den FC Valencia und ein märchenhafter Vorstoss in die Viertelfinals des besten Klubwettbewerbs: Unter normalen Umständen wären Atalanta Bergamos Helden in der Nacht auf Mittwoch von ihrer Tifoseria auf Händen getragen worden. So wie früher ist in Bergamo seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie aber nichts mehr. Das öffentliche Leben ist von Amtes wegen stillgelegt. Ganz Italien hat den Notstand ausgerufen.
Ein globaler Krankheitserreger relativiert die beste Phase der Klubgeschichte vollumfänglich. Remo Freuler wird mit einer grotesken Situation konfrontiert. Der Schweizer Internationale hat die Europacup-Partien seines Lebens hinter sich und schildert während eines Telefonats mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA seine diffusen Achtelfinal-Eindrücke: «Man geht auf den Platz, hört die Champions-League-Hymne und später jeden einzelnen Schrei der anderen Spieler. Das ist schon sehr frustrierend.»
Aber die Gesundheit gehe vor, stellt Freuler klar. Innerhalb weniger Tage habe sich der Alltag in Norditalien massiv verändert. «Bevor wir nach Spanien geflogen sind, ging es vor allem darum, die Hände gründlich zu waschen. Auf den Strassen sah man vielleicht zwei, drei Passanten mit Masken. Die Cafés waren gut besucht», so der 27-Jährige. «Dann wurden bis Dienstagabend drastische Massnahmen verhängt. Inzwischen ist alles komplett abgeriegelt. Einkaufen funktioniert knapp noch.»
Eine temporäre Flucht aus dem «Wuhan Italiens» («Die Welt») ist keine Option. «Ein Camp im Ausland war ein Thema. Aber wir können Italien momentan ohnehin nicht verlassen», so Freuler. Dem Verein bleiben nur schriftliche Anordnungen, die Gesundheit der international begehrten Spieler zu schützen: «Sie haben uns angeboten, in der Unterkunft unserer Trainingsanlage zu schlafen und geben uns Essen mit nach Hause.»
Freuler hat sich mit dem Leben in der Sperrzone so gut wie möglich arrangiert: «Garage, Trainingsplatz, Garage, Wohnung.» Für jede Fahrt ins Trainingszentrum der Bergamasken benötigt er die nötigen Dokumente. «Ohne spezielle Genehmigung der Polizei fährt niemand mehr in eine andere Stadt.»
Den rigiden Kurs der Behörden trägt Freuler mit: «Zuvor handelten sie zu wenig konsequent. Irgendwann muss man die Reissleine ziehen.» Nach über vierjährigem Engagement in der Serie A kennt Freuler den italienischen Krisenmechanismus. Mit etwas Verzögerung hätten nun alle die Dimension der Problematik erfasst und verstanden, «dass wir alle solidarisch handeln müssen».
Einen allzu weiten Ausblick will Freuler nicht wagen: «Ich male mir die unmittelbare Zukunft nicht im Detail aus. Aktuell überwiegt die Hoffnung auf eine spürbare Besserung. Erst danach müssen wir an neue Lösungen denken.» Bis zum 3. April ruht der Meisterschaftsbetrieb, bis sich die Pandemie womöglich abschwächt – aber davon geht derzeit kein Experte mehr aus. «Das ist zwar schade, aber der Sport muss in den Hintergrund rücken.» (pre/sda)