Was bleibt von dieser EM? Wenn der Schmerz über das dramatische Aus einmal abgeklungen ist, wird die Erkenntnis reifen, dass die Schweizer ein hervorragendes Turnier gezeigt haben. Der abgeklärte Auftaktsieg über Ungarn. Der grosse Kampf gegen Schottland. Gastgeber Deutschland an den Rand der Niederlage gebracht. Italien im Achtelfinal so sehr dominiert wie noch nie einen grossen Namen des Weltfussballs.
Wer das alles im letzten Herbst prophezeit hätte, wäre für verrückt erklärt worden. Es hat etwas Faszinierendes, wie sich die Schweizer nach der vermaledeiten Qualifikation, nach Monaten der Krise aufgerappelt haben. Und sich nun in Deutschland von ihrer besten Seite zeigten.
Trainer Yakin und Captain Xhaka haben in vielen Gesprächen zueinandergefunden. Sie beide waren in grosser Form. Der Trainer mit seinem Gespür für die richtigen Entscheidungen. Der Captain als Spiritus Rektor einer Mannschaft, die an seinem Selbstvertrauen gewachsen und mit so breiten Schultern aufgetreten ist wie schon lange nicht mehr.
Das Lob aber darf sich nicht auf Yakin und Xhaka beschränken. Die Schweizer haben als Einheit überzeugt. Es sind einige Sterne aufgegangen. Und andere leuchten so hell wie noch nie. Akanji als Abwehrboss? Herausragend. Da ändert auch der verschossene Penalty nichts daran. Das Duo Schär/Rodriguez daneben? Sehr stark. Ndoye, Rieder und Vargas? Raketen, die diese Nati auf Jahre hinaus bereichern werden. Aebischer links aussen? Auf diese Idee wäre kaum jemand gekommen – und schon scheint er unverzichtbar. Embolo? Ist immer noch erst 27 Jahre jung. Möge er sich in den nächsten Jahren nicht mehr so häufig verletzen.
Wie geht es nun weiter? Zunächst einmal stellt sich diese Frage bei Trainer Yakin. Sein Vertrag ist mit dem Ende der EM ausgelaufen. Bleibt er? Oder geht er? Klar ist: Aus Sicht des Schweizerischen Fussballverbands gibt es nach diesem Turnier keinen Grund für einen Wechsel. Yakin hat alle seine Ziele erreicht. Er hat die Schweiz an die WM 2022 (und dort in den Achtelfinal) geführt. Er hat nun sogar den EM-Viertelfinal erreicht. Und dabei obendrein bewiesen, dass er auch einer Krise gewachsen ist. Der SFV müsste darum alles daran setzen, dass es eine Zukunft gibt mit Yakin und Giorgio Contini. Dieser hat sich als perfekte Ergänzung zu Yakin entpuppt.
Die Frage ist aber, ob Yakin selbst den Vertrag verlängern mag. Ein erstes Angebot im Frühjahr hat er ausgeschlagen. Die Klausel, dass er den Viertelfinal erreichen muss, damit der Kontrakt auch wirklich Gültigkeit behält, hat ihn irritiert. Yakin beschloss, sich ganz auf die EM zu konzentrieren. Es war ein Poker, der für ihn mehr als aufgegangen ist. Seine Verhandlungsposition ist gut. Und wenn es doch nicht weitergehen sollte? Dann hat Yakin den Abgang durch die grosse Tür verdient.
Bald ist es zehn Jahre her, seit Yann Sommer den Posten als Nummer 1 im Tor der Nati übernahm. Fünf grosse Turniere hat die Schweiz mit Sommer bestritten. Sommer hat den Fans einige magische Momente beschert. Spätestens mit dem gewonnenen Penaltyschiessen im EM-Achtelfinal 2021 wird er zum Volkshelden.
35-jährig ist Sommer mittlerweile. Niemandem hätte die Schweiz den Halbfinal oder sogar den Final mehr gegönnt als ihm. Nun endet die Reise wie 2021 im Viertelfinal auf bitterste Art. Und vielleicht war das Spiel gegen England tatsächlich das letzte für Sommer im Nati-Dress. Sein Rücktritt käme nicht überraschend. Nachfolger Gregor Kobel scharrt unüberhörbar mit seinen Hufen.
Xherdan Shaqiri hatte auch an diesem Turnier seinen grossen Moment. Sein Tor gegen Schottland im zweiten Gruppenspiel war herausragend. Aber die EM 2024 steht eben auch für den Anfang vom Ende von Shaqiris Nati-Karriere. Der Einsatz gegen Schottland war der einzige an diesem Turnier von Beginn weg. Immerhin hat er seit Freitagabend diese Gewissheit: Weil Cristiano Ronaldo an dieser EM nicht traf, ist Shaqiri der einzige Spieler, der seit der WM 2014 an jedem der sechs grossen Turniere getroffen hat.
Bleibt Shaqiri auch über den Sommer hinaus Nationalspieler? Die Türe für einen wie ihn wird nie zu sein. Und vielleicht greift er ja tatsächlich nochmals an. Die Voraussetzung dafür: Shaqiri muss von Chicago nach Europa zurückkehren. Und stark an seiner Fitness arbeiten. Dem horrenden Tempo der Nati des Sommers 2024 ist er derzeit nicht gewachsen.
Die nächsten Schweizer Länderspiele finden im September im Rahmen der Nations League statt. Die Nati trifft in der Gruppe A4 auf Spanien, Dänemark und Serbien. Am 5. September spielt die Nati in Dänemark, drei Tage später folgt das Heimspiel gegen Spanien, ehe es am 12. Oktober in Belgrad wieder einmal zum allseits beliebten Duell mit den Serben kommt.
Die Qualifikation für die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko beginnt erst im März 2025. Die Auslosung dafür findet voraussichtlich im Dezember statt. Es wird 12 Gruppen geben, nur der Gruppensieger qualifiziert sich direkt für die WM. Die 12 Zweiten werden zusammen mit vier Mannschaften, die sich via Nations League qualifizieren, eine Barrage absolvieren, wo weitere vier WM-Starplätze verteilt werden. Bei der WM 2026 werden erstmals 48 Mannschaften teilnehmen, 16 davon aus Europa.
Das alles ist in den Momenten des schmerzhaften Aus aber noch ganz weit weg.
Wenn Shaq sich mit seiner Joker-Rolle abfindet, würde ich ihn ebenfalls weiter aufbieten.
Lediglich bei Yann Sommer hoffe ich, dass er die Zeichen der Zeit erkennt und von sich aus Schluss macht.
Die Nati hat an dieser EM nie wegen ihm Punkte gelassen, aber...