An Begeisterung für den Fussball mangelt es den Griechinnen und Griechen eigentlich nicht – der Klub Olympiakos Piräus gehört mit 100'000 zahlenden Mitgliedern zu den grössten Sportklubs der Welt. Trotz – oder wohl eher wegen – dieser Leidenschaft für das runde Leder liegt in der griechischen Fussballwelt aber einiges im Argen. Für Aufmerksamkeit sorgten in der Vergangenheit nicht etwa Exploits auf der europäischen Bühne, sondern bittere Fanrivalitäten, die gar Todesopfer fordern.
In der Conference League hat Olympiakos heute Abend (21 Uhr) gegen die Fiorentina also die Möglichkeit, für einen kleinen Lichtblick in einem düsteren Fussballjahr an der Ägäis zu sorgen.
Zwei Ereignisse aus der Saison 2023/24 zeigten deutlich, was eigentlich schon lange offensichtlich war: Der griechische Fussball leidet unter einem massiven Gewaltproblem. Im vergangenen August wurde am Rande eines Champions-League-Qualifikationsspiels zwischen Steven Zubers AEK Athen und Dinamo Zagreb ein Fan mit einem Messer ermordet. Die Tat ereignete sich bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen AEK- und Dynamo-Zagreb-Fans, wobei die Kroaten von Fans des AEK-Stadtrivalen Panathinaikos unterstützt wurden.
Die Gewalt im griechischen Sport beschränkt sich nicht nur auf den Fussball, denn die zuweilen bitter verfeindeten Klubs vereinen verschiedene Sportarten unter einem Dach. Rund um das Derby zwischen den Volleyball-Teams von Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen kam es im Dezember zu wüsten Auseinandersetzungen, bei der ein Polizist mit einem Leuchtkörper schwer verletzt wurde. Der Mann verstarb später im Spital.
Die Folge der Gewaltexzesse: Der Fussball-Liga-Präsident Evangelos Marinakis trat von seinem Amt zurück, die Schiedsrichter traten aufgrund von Sicherheitsbedenken vorübergehend in einen Streik und für rund zwei Monate fanden Fussballspiele vor leeren Zuschauerrängen statt. Heute gelten strengere Regeln in den griechischen Stadien. In den höchsten Ligen sind hochauflösende Kameras vorgeschrieben, Fans erhalten nur noch mit elektronisch registrierten Karten Zutritt und auch vergleichsweise geringfügige Verstösse haben in Zukunft Geisterspiele zur Folge.
Trotzdem trugen die Fans von Olympiakos und Panathinaikos Athen ihre Rivalität am vergangenen Wochenende gar bis nach Berlin. Am Rande des Finalturniers der EuroLeague im Basketball kam es zu einer Massenschlägerei mit einem Schwerverletzten.
Aber nicht nur die Fans begeben sich mit ihren Aktionen auf unsicheres Terrain. Auch Evangelos Marinakis gerät immer wieder ins Visier der Justiz. Der zurückgetretene Liga-Präsident amtet noch immer als Präsident von Olympiakos Piräus und besitzt auch den Premier-League-Verein Nottingham Forest sowie den portugiesischen Erstligisten Rio Ave. Dem 57-jährigen Unternehmer werden immer wieder illegale Machenschaften vorgeworfen, darunter Korruption und Bestechung von Unparteiischen. Auch mit Heroinschmuggel wurde er schon in Verbindung gebracht. Verurteilt wurde Marinakis nie.
Dass der griechische Fussball hierzulande vor allem mit Negativschlagzeilen aufgrund von Gewaltexzessen auf sich aufmerksam macht, dürfte auch an den bescheidenen Leistungen in europäischen Wettbewerben liegen. In der letztjährigen Fünfjahreswertung der UEFA liegt die griechische Liga auf Platz 16 – hinter der Schweiz, Dänemark und Norwegen.
Olympiakos ist erst der zweite griechische Finalteilnehmer in einem europäischen Klub-Wettbewerb. 1971 stand Panathinaikos im Final des Pokals der Landesmeister, unterlag dort aber Ajax Amsterdam. Olympiakos hat also im diesjährigen Conference-Final die Möglichkeit, den ersten europäischen Klub-Titel nach Griechenland zu holen und den Fussball in der Geburtsstätte der Demokratie für einmal in ein positives Licht zu rücken.
Baumeister des Erfolgs in Piräus gibt es einige. Da wäre beispielsweise der junge, äusserst talentierte Torhüter Konstantinos Tzolakis, der Olympiakos auswärts in der «Hölle von Istanbul» gegen Fenerbahce mit drei gehaltenen Penaltys in den Halbfinal hexte. Oder der Stürmer Ayoub al-Kaabi, der in den beiden Halbfinalspielen gegen den Premier-League-Verein Aston Villa fünf der sechs Treffer erzielte, die den Finaleinzug besiegelten.
Für den letzten Schliff des Rohdiamanten, der jetzt im Conference-League-Final steht, sorgte der Trainer José Luis Mendilibar. Wie man gewinnt, weiss der Baske: Vor einem Jahr triumphierte er mit Sevilla in der Europa League, wurde im vergangenen Herbst jedoch entlassen. Gelingt Olympiakos heute Abend der Coup, so wäre Medilibar der erste Trainer, der mit zwei verschiedenen Teams innerhalb von zwei Jahren zwei Europacup-Titel gewinnt.
🔴⚪️ Ayoub El Kaabi reflects on his journey to the #UECLfinal 🌟
— UEFA Europa Conference League (@europacnfleague) May 28, 2024
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Schon auf dem Weg bis in den Final hatte Olympiakos einige grosse Hürden zu überwinden. Bereits im Achtelfinal stand das Team um Mendilibar mit dem Rücken zur Wand. Gegen Maccabi Tel Aviv unterlagen die Griechen im Hinspiel gleich mit 1:4. Im Rückspiel, das aufgrund des Nahost-Konflikts in Serbien ausgetragen wurde, kam dann die grosse Wende: Dank zwei Toren in der Verlängerung und einem Schlussstand von 6:1 hievte sich Olympiakos doch noch in den Viertelfinal.
Man kann es Zufall, aber auch Schicksal nennen, dass Piräus ausgerechnet in Athen nach dem historischen Erfolg greift. Zwischen dem Piräus-Stadion beim Hafen von Athen und dem Final-Stadion, das die Heimstätte von AEK Athen ist, liegen nur 15 Kilometer.
Wie die gewalttätigen Auseinandersetzungen der Vergangenheit zeigen, bedeutet die Tatsache, dass die Partie in Athen austragen wird, nicht nur einen Heimvorteil für die Griechen, sondern vor allem ein enormes Sicherheitsrisiko. Die grösste Gefahr liegt dabei aber nicht etwa in Zusammenstössen zwischen Fans der Gäste aus Florenz und Olympiakos-Anhängern, sondern in einer Besonderheit des griechischen Fussballs.
Bei Ligaspielen sind in der höchsten griechischen Liga eigentlich keine Gästefans bei besonders heiklen Begegnungen erlaubt. Nun begeben sich im Rahmen des Conference-League-Finals aber Tausende Piräus-Fans ins AEK-Stadion und in den AEK-geprägten Stadtteil Nea Filadelfia. Dass dieser Umstand reichlich Zündstoff für eine Gewaltexplosion liefert, weiss auch die griechische Polizei. Seit Sonntag beschäftigt sich Athen mit der Umsetzung verschiedener Sicherheitsmassnahmen.
Für den Gegner aus Italien ist der Final auch eine Möglichkeit, eine verpasste Chance vergessen zu machen. Im letzten Jahr unterlag die Fiorentina nämlich im Final der Conference League gegen West Ham, nachdem der Achtplatzierte der Serie A im Halbfinal den FC Basel aus dem Turnier geworfen hatte. Auch das Team aus Florenz könnte mit einem Europacup-Erfolg also eine schöne Geschichte schreiben und nach Atalantas Europa-League-Triumph den zweiten europäischen Titel nach Italien holen.
Piräus hat jedoch ebenfalls gute Gründe, den Titel nach Griechenland zu holen. Nachdem die Nationalmannschaft die EM-Endrunde erneut verpasst hat, liegt es heute Abend an Olympiakos, die Fahne des griechischen Fussballs hochzuhalten und gewissermassen das griechische EM-Märchen von 2004 in Miniformat zu reproduzieren. Was für den griechischen Fussball aber noch viel wichtiger sein dürfte als ein sportlicher Erfolg: Die Fans haben heute Abend die Möglichkeit zu zeigen, dass griechischer Fussball auch friedlich geht.