Die Schweizer Eishockey-Nati verliert nach 2013 und 2018 den dritten WM-Final in den letzten elf Jahren. Es war ein starkes Turnier der Mannschaft von Patrick Fischer, auch wenn sie das nach der Enttäuschung im Endspiel selbst noch nicht so sehen wollen. Gefühlt war die Nati näher am Titel als 2018, obwohl dort Kevin Fiala in der Verlängerung gegen Schweden nur Zentimeter zum Titel fehlten.
Die Enttäuschung dürfte auch riesig sein, weil man nicht weiss, wann man das nächste Mal die Chance erhält, Weltmeister zu werden. Tschechien hat in Prag gezeigt, wie schön es ist, zuhause den grossen Triumph zu feiern. 2026 findet die WM dann in der Schweiz, in Zürich und Fribourg, statt. Doch auf dem Weg dorthin gibt es auch einige offene Fragen.
Ist die Schweizer Mannschaft abhängig von seinen NHL-Stars? Die Nati hat selbst schon bewiesen, dass es nicht so sein muss. 2013 war Roman Josi der einzige NHL-Spieler im Kader und in seiner zweiten Saison in Nordamerika längst noch kein Star. Nino Niederreiter spielte damals noch in der AHL, der Rest der Mannschaft in Europa. Trotzdem reichte es für Silber.
Finnland hat 2019 und 2022 den Titel mit kaum NHL-Spielern im Kader geholt und stand 2021 zudem noch im Final. Aber das sind wohl eher Ausnahmen. Dieses Jahr produzierten vor allem die NHL-Stars Punkte. Allerdings fehlten mit Denis Malgin, Grégory Hofmann oder Enzo Corvi auch drei der einflussreichsten WM-Spieler der letzten Jahre aus der National League.
Dennoch scheint es bei der Schweizer Nati in den letzten Jahren tatsächlich einen Trend der Abhängigkeit von den NHL-Verstärkungen zu geben. Und diesbezüglich gibt es künftig offene Fragen.
Roman Josi wird 2026 fast 36-jährig sein. Bislang hat der Nati-Captain keine Anstalten gemacht, vom fortschreitenden Alter aufgehalten zu werden. Aber das Risiko steigt natürlich mit jeder Saison, gerade da sein Spiel auf seinen starken läuferischen Fähigkeiten basiert. Zudem ist unklar, wie die Zukunft von Nashville aussieht – möglicherweise wird der Berner auch künftig wieder in den Stanley-Cup-Playoffs engagiert sein.
Dorthin wollen auch die New Jersey Devils. Die Schweizer Nico Hischier, Timo Meier und Jonas Siegenthaler sind langfristig an das Team gebunden. Wenn der Plan der Devils aufgeht und sie in den nächsten Jahren um den Stanley Cup spielen, werden Hischier und Co. Patrick Fischer wohl nur selten zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für Kevin Fiala, der in Los Angeles ebenfalls in einem Playoff-Team spielt.
Die Schweiz konnte an dieser WM wie schon 2018 auf einen überragenden Leonardo Genoni zählen. Ohne den Zuger Torhüter hätte die Nati wohl den Halbfinal gegen Kanada nicht gewonnen und wäre auch im Final gegen Tschechien schon früher geschlagen gewesen.
Genoni wird im August 37 Jahre alt. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass er auch in zwei Jahren noch auf Top-Niveau spielt und an der Heim-WM wieder für die Nati hext. Doch eine Suche nach Alternativen ist angezeigt.
Akira Schmid hat gerade seine erste WM hinter sich. Der Emmentaler wäre der logische Nachfolger. Allerdings sieht der 24-Jährige seine Zukunft in Nordamerika. Wenn er weiterhin Teil der New Jersey Devils bleibt, steht er genauso wie Hischier, Meier oder Fiala möglicherweise nur selten zur Verfügung.
Ansonsten wird die Rolle der neuen Nummer 1 in der Schweizer Nati wohl Connor Hughes oder Nordamerika-Rückkehrer Ludovic Waeber zufallen. Beide haben allerdings noch nie eine WM bestritten. Joren van Pottelberghe hat WM-Erfahrung, muss sich in Lugano aber erstmals wieder an die Nummer-1-Rolle gewöhnen. In weiterer Zukunft werden möglicherweise auch Kevin Pasche (21) oder Stéphane Charlin (23) zu einer Option.
Ein grosser Teil des diesjährigen Silberteams hat eine gute Chance, auch 2026 an der Heim-WM noch dabei zu sein. Doch Andres Ambühl (40), Romain Loeffel (33), Tristan Scherwey (33) oder Gaëtan Haas (32) befinden sich im oder erreichen langsam aber sicher das fortgeschrittene Sportleralter. Auch Dean Kukan (30), Christian Marti (31), Sven Andrighetto (31), Nino Niederreiter (31), Sven Senteler (31) und Dario Simion (30) haben bereits die drei auf dem Rücken und müssen irgendwann ersetzt werden.
Die NHL-Drafts der letzten Jahre haben gezeigt, dass das Schweizer Eishockey jüngst nicht gerade massenhaft Supertalente produziert hat. Lian Bichsel war der einzige Erstrundendraft der letzten sechs Jahre und er wurde von Patrick Fischer und Lars Weibel vorübergehend aus der Nati verbannt. Dieses Jahr sind die Verteidiger Leon Muggli und Daniil Ustinkov Kandidaten für die späte erste oder allenfalls zweite Runde.
Mit der Erhöhung des Ausländerkontingents in der National League wird sich die Lage sicherlich nicht entspannen. Ja, die jungen Schweizer messen sich so in einer hochklassigen Liga mit besseren Spielern. Aber sie werden auch weniger häufig in wichtigen Situationen (Powerplay, Unterzahl, Bullys) eingesetzt.
Trotzdem gibt es jüngere Spieler, die künftig in der Nati eine wichtige Rolle spielen könnten. Ken Jäger hat dieses Jahr sein Potenzial angedeutet. Théo Rochette (22) hat eine starke Rookie-Saison in Lausanne hinter sich. Attilio Biasca (21) ist ein vielversprechender Powerflügel. Die Verteidiger Brian Zanetti (21) und Noah Meier (bald 22) überzeugten in Langnau. Und Rodwin Dionicio (20) könnte der nächste geniale Schweizer Offensiv-Verteidiger sein.
Dass im Februar trotz vieler Niederlagen im Rahmen der Euro Hockey Tour vorzeitig mit Patrick Fischer verlängert wurde, ist vielen Schweizer Hockey-Fans sauer aufgestossen. Auch nach seiner dritten Silbermedaille (2013 als Assistent, 2018 und 2023 als Cheftrainer) hat er längst nicht alle Kritiker verstummen lassen. Schliesslich war Fischer zuvor nach jeweils starken Gruppenphasen dreimal im Viertelfinal gescheitert.
Aber Fischer hat gezeigt, dass er lernfähig und flexibel geworden ist. Er hat den mentalen Aspekt priorisiert und Performance-Coach Stefan Schwitter sowie Sporthypnose-Spezialist Adrian Brüngger an Bord geholt. Das klappte: Die Nati verlor an dieser WM auch in schwierigen Momenten nie die Nerven. Zudem hat der 48-Jährige die Schweizer NHL-Spieler immer für die Nati begeistern können.
Taktisch hat Fischer ebenfalls dazugelernt. Waren seine ersten Jahre als Nationaltrainer geprägt von Toren und Spektakel auf beiden Seiten des Eises, fand er dieses Jahr die perfekte Balance. Gegen schwächere Gegner wurde weiterhin Spektakel zelebriert. Gegen die Topteams wusste Fischer, wie man den Riegel vorschieben konnte. Die Hockey-Nati 2024 war defensiv so gut wie seit der Ära Ralph Krueger nicht mehr.
Im Sport kann es plötzlich schnell gehen. Aber mit dem Gewinn der Silbermedaille in Prag und der Vertragsverlängerung vom Februar dürfte die Trainerdiskussion im Schweizer Team vorerst vom Tisch sein.
War der gestrige Final also bereits die letzte Chance auf WM-Gold? Nein. Die Schweizer NHL-Stars sind gut genug, um noch mehrere Jahre die Nati tragen zu können und es gibt in der heimischen Liga interessante junge Spieler, die die anderen Rollen ausfüllen können.
Es bestehen aber gerade auch mit Blick auf die Heim-WM 2026 berechtigte Zweifel, wie viele NHL-Spieler dann dabei sind. Die Chance ist gross, dass Hischier, Meier, Siegenthaler und Fiala dann länger in den Playoffs beschäftigt sind. Ein Weltmeistertitel zuhause wäre ohne sie eine beinahe unmögliche Herausforderung.
Die Schweizer Hockey-Fans dürfen sich aber auch noch auf die Olympischen Spiele im gleichen Jahr in Italien freuen. Die NHL plant nämlich, seine Spieler an dieses Turnier zu schicken. Das bedeutet natürlich brutal starke Konkurrenz, aber auch eine Hockey-Nati in voller Pracht, wie wir sie bislang noch nie gesehen haben.
Realistisch ist:
1-2 x Final in 10 Jahren
3-4 x Halbfinal in 10 Jahren
9-10 x Viertelfinal in 10 Jahren